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Börsenblatt f. d. Ttschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. ^ 145. 26. Juni lglS. In Berlin waren wir Ästheten, Christen, Juden, Aristokraten und Plebejer. Auf dem Kaserncnhose, der uns im Morgendäm mern des fünften Apriltages aufsog, um unsere gewollte Pflicht der Zählmaschine des Militarismus einzureihen, gingen wir erst scheu umeinander herum und nannten uns »Sie«; unsere Namen standen im Wortklange nebeneinander und froren in ihrer Nacktheit. Denn alles, was uns bekleidete und was wir an Äußerlichkeiten erworben hatten, fiel ab; wir traten nebeneinander, wie uns der Buchstabe warf, und kannten in uns nur Männer der Vaterlands- Pflicht. Namen und immer wieder Namen, Menschen und immer wieder Menschen. Zu Tausenden standen wir da, vom Morgen zum Abend; wer aber aufhorchte und wußte, fand darunter Grö ßen von Geist und Kapital, vom Katheder der Wissenschaft und von der Wissenschaft der Schönen Künste. Die Titel blieben drau ßen vor dem hohen Gittertor, und das Denken um sich packte man dazu — da wurden wir Kameraden und nannten uns »Du« und sangen miteinander von Vaterland und Freiheit und von der Kraft, die in uns war, und von dem Stolz, der sich auf- bäumtc Manch einer aber ballte die Finger zur Faust und preßte den Haß auf England durch seine Lippen. Berlin atmete den Tag aus, als wir auf dem Ostbahnhof an- kamcn — da wußten wir unser Ziel. Noch einmal dröhnte die Rheinwacht unter diesen eisernen Hallen, die den Tausendklang der Stimmen akustisch zusammenschweißten...., dann rückte un ser Zug an, und die Reichshauptstadt fiel zurück. Sechs Tage durchfuhren wir; sechs Tage mit ebensovielen Nächten. Wir nannten uns Nomaden und lernten die Primitivi tät kennen; wir mußten hart mit uns kämpfen und mit unserem Körper, der die Weichheit gewöhnt war und die nervöse Hast. Wir besiegten uns, denn das Mutz stand eisern dahinter und der Wille zur Tat steckte in uns. Im Rhythmus des Rollens sangen wir Melodien von Heimat und Wiedersehen und lullten uns näch tens in den harten Schlaf; wir lagen in den Gepäcknetzen, die wir mit Brettern überspannten, und drückten uns in die Ecken und streckten uns auf die Fußböden. So fanden wir Träume. Die Masurischen Seen hatten noch das Eis, das die große Winterschlacht mittrug, und die Narben versandeter Schützen gräben bluteten noch aus den Heldenhügeln deutscher Soldaten. Die Äcker Ostpreußens lagen brach, die Dörfer waren Trümmer und die Menschen fehlten. Aber über die Unendlichkeit dieses toten Schlachtfeldes zogen nicht mehr die Schwärme schwarzer Vögel — die Lerche kletterte wieder gegen die Sonne, und in ihrem Singen lag die Hoffnung Als der sechste Tag zu Ende ging, trafen wir in Suwalki ein. Da hörten wir von fernher den ersten Kanonendonner, sahen die Am bulanzen und Meldereiter und wußten uns dicht hinter der Front. Zwei Nächte lagen wir noch auf den Steinfliesen einer Husaren- kaserne*) aus französischem Gelds, gegen deren Schmutz die deut sche Reinlichkeit einen nicht ganz vergeblichen Kampf geführt hatte; unten im Trcppenraum brannte das Wachtfeuer, und oben hockten wir in langen, türlosen Sälen und durchsaugen die schlaflose 'si Sywalkt verfügt über sehr große Kasernements, die in den letzten Jahren — ein Zeichen der Rüstung — von französischem Gelbe erbaut wurden. Als unsere siegreichen Truppen diesen wichtigen Knotenpunkt nach der Masurischen Winterschlacht neu besetzten, fanden sie diese Gebäude i» einem unglaublich verwahrlosten Zustande vor. Der Zcmentboden war bis zu einem halben Meter hoch mit unbeschreib lichem Schmutz bedeckt; in den Ecken hatten die russischen Soldaten ihre Notdurft verrichtet, und die Spreu glich Kuhstallmist. In der Hauptsache bestehen die zwei Stock hohen Kasernen aus zwei iiber- cinanderliegendsn Korridoren, in denen sich alle 8 Meter etwa der Versuch einer ZImmcrabtrennung zeigt. Türen sind, außer am Par- tcrrc-Eiiigange, nicht vorhanden. Suwalki selbst hat sich unter der deutschen Verwaltung merklich zur Sauberkeit entwickelt. Unter den staunenden Augen der zum grüßten Teil verbliebenen Einwohner entrollt sich täglich das Bild der gründlichen Straßcnrctnigung, in der die Gefangenen langsam schon Geschick zeigen. Heute ist noch jedes Ge bäude militärisches Quartier, aber es läßt sich nicht verkennen, baß der hartumstrittene Ort mit seinen rund 20 000 Einwohnern zum idyllischen Landstädtchen werden wird. Et» unternehmender deutscher Sorti menter kann hier mit Sicherheit aus Erfolg rechnen; auch schon jetzt, wenn er in einer Kriegsbuchhandlung provisorisch billige Soldaten- iitcratur vertreibt. 022 Stille mit deutschen Liedern. Dann wurden wir durch den Fah neneid zum Räderwerk der gewaltigen Kriegsmaschine und zogen am dritten Spätnachmittag in unsere Dorfquartierc zur Front. Als wir anlamen, hämmerten die Maschinengewehre gegen den zinnernen Abendhimmel Recht harmlos und idyllisch lag das Quartierdors meiner Kompagnie am Waldrande, es neigte sich sanft hügelabwärts, und hatte sich die Abendsonne in den üppigen Strohdachpelz gesetzt. »Kinder, herrlich I Wie auf 'ner Landpartie!« sagte einer, der den großen Berliner Mund noch hatte. — »Wie auf 'ner Landpartie«, sagte er mir aber auch zwei Stunden später und zeigte mit star rem Finger die krabbelnden Nähte seines ausgebreiteten Hemdes entlang. Doch warum über Läuse reden oder über Wanzen und Schwaben, das gehört nün mal zur russischen Behausung, wie Hühner zum Bauernhof; habe ich es doch erlebt, daß Russen diese Tierchen, wenn sie sich mal an einen gar zu kecken Platz gewagt hatten, mit aller Vorsicht abhoben, um sie an sicherer Stelle an die Wand zu setzen! Für uns war es jedenfalls genügend, zu wissen, daß wir hier für die nächsten Wochen Hausen sollten; was sich auf der Bahn zusammengefunden hatte, suchte sich schleunigst ein passendes Quartier. Unser »Treubund gegen Russen, Laus und Ungemach« hatte zwölf Mitglieder; es war also nicht leicht, in den engen Häusern auch dann noch unfern Unterschlupf zu finden, wenn man schließlich gar keinen Wert mehr aus die wenigstens eingebildete Abwesenheit des Ungeziefers legte. Endlich hatten wir aber ein Loch gefunden: 6 m lang und 2 m breit, sodatz also jeder von uns über die herrliche Dielenfläche von 2XV- m ver fügen konnte und außerdem noch ein Stuck Wand extra bekam, da reichlich »Liebesgaben« in Aussicht standen. Freilich gab es als Zugang nur das Fenster, dem wir mit einigem Geschick Papp- Ersatz-Scheiben eingesetzt hatten. Als wir uns verpustet hatten, kam der erste »Appell«. Da wurden wir in Korporalschaften zer gliedert und bekamen unsere »Uniform«: eine tüchtige Joppe und ebenso tüchtige Manchesterhosen mit den dazugehörigen Stiefeln. Vorn lagen all diese Herrlichkeiten (die schon eine Generation ziemlich heruntergearbeitet hatte) in großen Haufen; da mußte jeder mit vorgestreckten Armen einzeln Vorbeirücken, bekam das »Notwendigste« herausgeworfen und mutzte sich hinten zur Selbst anprobe wieder anschließen. Daß »alles Paßt«, wurde bei der Austeilung vorausgesetzt, alsomutzte alles passen — ausschauten wir freilich zunächst, als kämen wir vom Maskenball. Aber, als wir uns erst an die entströmenden Düfte gewöhnt und die nötig sten Einschläge vorgenommen hatten, fanden uns die Herren Un teroffiziere doch alle recht »proper«, wenn auch unsere bleichen Gesichter noch ein wenig mißtrauisch beäugelt wurden. Na, daß wir aber Soldaten geworden waren, merkten wir andern Tags, als man uns in aller Herrgottsfrühe aus den Betten trom melte. Wenn auch diese »Betten« nur aus dem harten Fußboden bestanden (denn Stroh war — auch m i t Läusen — lange nicht zu haben), so fiel es uns doch recht schwer, unsere tagelang durch rüttelten und durchschüttelten Glieder »schon« zur Arbeit zu er wecken. Unsere Toilette war schon beendet, als wir auf den Fü ßen standen, wir brauchten uns nicht erst umständlich anzuziehen, da wir ja alles aus dem Leibe hatten, und waschen? — waschen war uns ein seliger Traum, der schon weit in die Heimat hin übergreifen mußte. Unser Körper hatte bereits die Patina des Schmutzes, und wir hüteten uns Wohl, sie mit dem Typhuswasser des einzigen Ziehbrunnens zu verletzen, wir trugen sie eher mit einem gewissen Stolz, schon von Berlin her. Eine Sorge galt noch den Eßgefätzen, die wir uns nach 14 Tagen für nicht gerade billiges Geld kaufen konnten. Bis dahin mußten wir uns mit den unmöglichsten Sachen behelfen; aber was nützt's: der Hunger treibt. Ich denke heute noch mit Stolz an den Augenblick, in dem ich mit kühner Selbstverachtung eine halbverrostete und ganz verbeulte Konservenbüchse aus dem (russischen!) Misthaufen her vorzog — und wie mir das Essen unserer offenen Feldkessel trotz- alledem schmeckte. Das war am Abend des ersten Arbeitstages, an dem unsere entwöhnten großstädtischen Muskeln zwar schmerz ten — uns aber dafür den gesunden Soldatenappetit verschafft hatten. Unserer Kompagnie war der Ruf vorausgeeilt, bis in den vordersten Schützengraben. Man schätzte unter uns etliche Dutzend