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221, 22. September 1904. Nichtamtlicher Teil. 7955 Unklarheiten erzeugen könnte, wäre es vielleicht doch praktisch richtiger, auch in Zukunft beide in getrennten Gesetzen aus einander zu halten. Der Gegenstand des Schuhes. I. Das Werk der bildenden Kunst. »In Übereinstimmung mit dem geltenden Recht hat der Entwurf von einer näheren Erläuterung des Begriffs der bildenden Künste abgesehen.« Der Entwurf befindet sich damit in Übereinstimmung mit der ältern Gesetzgebung, namentlich auch mit dem Gesetz vom 19. Juni 1901, in dem die Begriffe Schriftwerke und Werke der Tonkunst ebenfalls nicht definiert werden. Der Verzicht auf solche Definitionen ist zu billigen, so lange die grundlegenden Prinzipien des Urheberrechts in der Praxis noch schwanken und in der Theorie viel um stritten sind. Die großen Aufgaben, die die Einführung des Bürger lichen Gesetzbuchs an die moderne Rechtswissenschaft gestellt hat, haben bedauerlicherweise die theoretische Erforschung der so interessanten, aber praktisch weniger schwerwiegenden Materien des Urheberrechts und des gewerblichen Rechts schutzes in den Hintergrund gedrängt. Die letzten zehn Jahre haben zum Beispiel kaum eine erhebliche theoretische Arbeit über das Urheberrecht zutage gefördert. Dies hat die Wirkung gehabt, daß bei allen Arbeiten über das Urheber recht die Nächstliegenden praktischen Gesichtspunkte über wiegen, und daß die Rechtsprechung mangels aufklärender Hilfsmittel in ihrer eignen Wissenschaft sich mehr und mehr auf das Urteil von Sachverständigen verläßt. Diese be herrschen zwar in der Regel die Technik ihres engeren Ge biets, sind aber meist nicht aus eignem Wissen in der Lage zu beurteilen, zu welchem Zweck und unter welchen Gesichts punkten sie ihre Gutachten erstatten sollen?) Diese Umstände haben bewirkt, daß bei der Bestimmung des Begriffs der bildenden Künste in der Rechtspraxis viel fach der Schwerpunkt auf Momente gelegt wird, die für die Fragen des Urheberrechts nur von sekundärer Be deutung sind. Wenn ich es daher nur billigen kann, daß der Ent wurf auf eine Definition des Begriffs bildende Kunst ver zichtet, möchte ich es mir doch nicht versagen, meine An schauungen zu dieser Frage darzulegen, die auch zum Ver ständnis meiner späteren Ausführungen über den Rechtsschutz der angewandten Kunst und der Baukunst beitragen werden. Zunächst sei bemerkt, daß die Versuche, Definitionen der Ästhetik oder der Kunstphilosophie heranzuziehen, meines Erachtens leicht auf Abwege führen. Denn man kann den Begriff Werk der bildenden Kunst nicht für sich allein be trachten, wie dies häufig der Ästhetiker tun wird. Vielmehr muß darauf Rücksicht genommen werden, in welchem Zu sammenhang und zu welchem Zweck der Ausdruck im Ge setz verwandt wird. Hierbei ist in erster Linie zu berück sichtigen, daß das Werk der bildenden Kunst in einer Reihe steht mit dem Schriftwerk und dem Werk der Tonkunst. Diese drei Gruppen bilden zusammengenommen die eigent lichen Gegenstände des Urheberrechts. Das gesamte Urheber recht beruht auf denselben rechtsphilosophischen, wirtschaft lichen und sozialen Erwägungen; es ist einheitlich zu kon struieren und ist hinsichtlich der Voraussetzungen, des In halts, des Umfangs des Rechts und seines Schutzes voll kommen einheitlich gestaltet. Daher liegen auch die we sentlichen Begriffsmerkmale jeder dieser drei Gruppen st Diese Kritik richtet sich nicht sowohl gegen die Sachoer- ständigenvereine als gegen die einzeln zugezogenen Sachverständigen. von Werken in dem, was ihnen gemeinsam ist, und nicht in dem, was sie trennt. Das gemeinsame Haupterfordernis jedes Werkes, das Gegenstand des Urheberrechts sein kann, ist, daß es sich als ein Geisteswerk darstellt, d. h. als ein Werk, das in seiner Eigenart durch die Individualität des Schöpfers bedingt ist. Als »geistiges Eigentum- des Urhebers gilt das, was er selbst geschaffen hat, und es kann seiner ausschließlichen Aneignung nur das überlassen werden, das seine eigene Existenz der ihm aufgedrllckten Individualität des Schöpfers verdankt. Es genügt infolgedessen nicht zum Urheberschutz, daß ein Werk das Ergebnis einer geistigen Tätigkeit sei. Viel mehr muß auch das Werk als solches individuell sein. Andere, verwandte geistige Leistungen, auf die viel fach im Zusammenhang mit dem Urheberrecht Bezug ge nommen wird, wie Entdeckungen und Erfindungen, unter scheiden sich von dem Geisteswerl dadurch, daß sie un persönlicher Art sind; d. h. sie verdanken ihre Eigenart den ihnen selbst innewohnenden natürlichen Eigenschaften, nicht aber dem Einfluß des Schöpfers. Eine Entdeckung oder eine Erfindung kann gleichzeitig von verschiedenen gemacht werden. Es wird aber immer — abgesehen von den ver schiedenen Ausführungsformen — dieselbe Entdeckung oder Erfindung bleiben. Bei dem Geisteswerk ist das aus geschlossen, was man Doppelentdeckung oder Doppelerfindung nennt. So wenig zwei Baumblätter einander gleich sind, so wenig zwei Menschen trotz aller zufälligen Ähnlichkeiten völlig gleich sind, ebenso sehr ist es ausgeschlossen, daß auf denjenigen Gebieten, in denen der Mensch schöpferisch mit seiner Person hervortritt, das Werk des einen mit dem eines andern vollkommen identisch sei. Es würde daher an sich genügen, einfach ein Gesetz über das Urheberrecht an Geisteswerken aufzustellen. Indessen hat die geschichtliche Entwicklung es mit sich gebracht, daß das Urheberrecht zunächst nur für einzelne Gruppen von Geistes werken anerkannt wurde. Durch allmähliches Erweitern des Schutzes ist es auf den heutigen Umfang gekommen, der aber noch Lücken enthält?) Die Dreiteilung der Geisteswerke in Schriftwerke, Ton werke und Werke der bildenden Künste st mag ganz zweckmäßig sein; sie ist aber im Grunde ebenso willkürlich, wie z. B. die Zweiteilung des französischen Rechts, das allgemein nur literarische und künstlerische Erzeugnisse kennt (ceuvrse littörairss et artietignes) oder die Einteilung des englischen Rechts, das folgende selbständige Gruppen umfaßt: Bücher, dramatische Werke, Vorträge, musikalische Werke, Stiche und andre Werke derselben Art, Gemälde, Zeichnungen, Photographien, Werke der Bildhauerkunst, st Hiernach könnte man die Gegenstände des Urheber rechts unsrer Gesetzgebung bezeichnen als Geisteswerke, die dem Schrifttum, der Tonkunst und der bildenden Kunst an gehören. Die besonder» Merkmale jeder dieser drei Kate gorien dienen nur zur Differenzierung der verschiedenen Gruppen von Geisteswerken, machen aber das eigentliche Wesen des Schutzobjekts nicht aus. Es ergibt sich hieraus, daß als Werk der bildenden Künste angesehen wird eine geistige Schöpfung, die ihrer st So besteht kein Schutz an choreographischen Werken, die nicht schriftlich fixiert sind, an Reden und Vorträgen, die nicht dem Zweck der Erbauung, Belehrung oder Unterhaltung dienen, an technischen Schöpfungen der Jngenieurkunst, an Gartenplänen, szenischen Schöpfungen des Schauspielers usw. st Eine vierte, nebensächliche Gruppe, wissenschaftliche oder technische Abbildungen, wird später behandelt. st Vgl. hierzu Osterrieth, Geschichte des Urheberrechts in England, Leipzig 1895, S. 182 ff. 1047>