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7956 Nichtamtlicher Teil. 221, 22. September 1904. Ausdrucksform nach in das Gebiet der bildenden Künste ge hört. Die Merkmale, die dem Begriff der bildenden Künste anhaften, die für den Ästhetiker in erster Linie maßgebend sind, haben auf dem Gebiet des Urheberrechts nur eine sekundäre Bedeutung. Sie dienen dazu, das Werk unter eine bestimmte Kategorie von Schutzgegenständen zu sub sumieren. Man könnte fast sagen, daß die besondern Be griffsmerkmale der drei Kategorien Schriftwerke, Tonwerke und Werke der bildenden Kunst für die Frage des Urheber schutzes nur negativer Art sind; d. h.; wenn ein Geisteswerk in keine dieser 3 Gruppen eingereiht werden kann, bleibt es schutzlos. Bei der Prüfung, ob ein Werk unter dem Schutz des Urheberrechts steht, ist also zuerst zu untersuchen, ob eine geistige, eine individuelle Schöpfung vorliegt, und dann in zweiter Reihe, in welche der drei Kategorien es seinen Aus drucksmitteln nach gehört. Fallen die Ausdrucksmittel, durch welche das Werk verkörpert wird, in das Gebiet der bilden den Künste, dann steht der Gegenstand unter dem Kunst urheberrecht, ohne daß irgend welche weiteren Erörterungen hinsichtlich der ästhetischen Natur oder des Zweckes in Be tracht kommen. Die Wirkung des Werkes, die in der Aesthetik eine so große Rolle spielt, ist hierbei ganz unerheblich. Sie ist bedingt einerseits durch die Disposition des Be schauers, vor allem durch natürliche, ererbte oder an erzogene Empfänglichkeit und anderseits eben durch die Eigenart 5> und die Stärke der im Werk verkörperten Persönlichkeit des Schöpfers. Die Wirkungen sind daher — weil zum Teil durch die Disposition des Empfangenden bestimmt — relativ und können einen sichern Maßstab dafür nicht abgeben, ob ein Gegenstand als Werk der bildenden Künste anzusehen ist. Anders dagegen, wenn man von der Wirkung auf die Ursache schließt. Dann gelangt man, allerdings auf einem Umwege, auf diejenige Betrachtungs weise, die meines Erachtens allein richtig ist, die genetische Analyse des Werkes. Zunächst sind die gegebenen Ele mente festzustellen. Gegenstand, Stoff, Stil, Material, Dar stellungsmittel, bestimmte Ideen, Vorstellungen, Empfin dungen usw. Hieraus gilt es, sich ein Bild des geistigen Schaffensvorgangs zu machen. Ausgehend von dem ersten Anstoß, der den Konzeptionsakt auslöst, wird man verfolgen, wie allmählich die gegebenen Elemente aus freier Bestim mung des Künstlers sich zu einem Ganzen vereinigen, das bald schon gewisse charakteristische Züge aufweist. >ft Ist diese Analyse zum fertigen Werk vorgeschritten, wird die individuelle Schöpfung klar zutage liegen. Dagegen ist es grundsätzlich unrichtig, die Wirkung, ohne Rücksicht auf den Schaffensoorgang, als etwas objektiv Ge gebenes, zum maßgebenden Kriterium zu machen. Noch weniger ist in Betracht zu ziehen der Zweck des Werkes. Dieser ist rein äußerlicher und zufälliger Natur, sofern man nicht vom theologischen Standpunkt aus die Wirkung als Zweck setzen will. Aus dem geistigen Zusammenhang der Künstler unter einander und mit denen der Vergangenheit, aus dem Um stand, daß jeder Schaffende unbewußt und bewußt unzählige ft Hierzu gehören die physiologischen Wirkungen sogenannter schöner Formen und Farben und die in der Regel unbewußte und unbestimmte emotionelle Wirkung, die wir in dem Begriff der Stimmung zusammenfafsen. ft Selbstverständlich kann man diese Analyse nicht nach einem festen Schema vornehmen. Dies würde ebenso falsch fein, als wenn man der psychologischen Beurteilung eines Menschen eine bestimmte Schablone zugrunde legen wollte. Jedes Werk ist vielmehr individuell zu behandeln. Wem ein reiches Erfahrungs- Material zu Gebote steht, wird allerdings in gewissen typisch wiederkehrenden Fällen vielfache Analogien für spätere Fälle finden. Anregungen aus dem in der Kulturentwicklung angesammelten Geistesschatz entnimmt, und daß in jedem die Vorstellungen und Anschauungen seiner Zeit sich widerspiegeln, ergeben sich gewisse Übereinstimmungen in den Schöpfungen einer Zeit und eine Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung des geistigen Schaffens. Hierauf beruht die Ableitung der Entwicklungs gesetze der Kunst und der Ästhetik, welche letztere man direkt als die Lehre der Wirkungen der Kunstwerke be zeichnen kann. Über die Freude an der Auffindung der Entwicklungs gesetze und allgemeiner Prinzipien ist stellenweise das Bewußt sein verloren gegangen, daß jedes Kunstwerk ein Prisma ist, durch das die geistige Energie einer Persönlichkeit geht. Man begnügt sich mit der Zerlegung und Untersuchung der ein zelnen Strahlen auf ihre Eigenschaften und ihre Brechungs erscheinungen. Aber man versäumt, sie in einem Brenn punkt zu sammeln und die Individualität des Schöpfers als das Beherrschende und Maßgebende zu betrachten. Auf dieser Objektivierung der Wirkungen der Kunst werke, die ja an sich höchst wertvoll und interessant ist, aber die letzten Ursachen außer Betracht läßt, beruht die Auf fassung von einem an sich seienden »ästhetischen Zweck«.') In seiner wertvollen und geistreichen Schrift »Das literarische und artistische Kunstwerk und sein Autorschutz- (Mannheim, 1892) hebt Köhler in treffender Weise hervor, daß das Wesen jedes Kunstwerks in der individuellen Schöpfung liege. Doch macht er der von mir angefochtenen Auffassung ein m. E. zu weit gehendes Zugeständnis, wenn er sagt (S. 48): »Es (das imaginäre Bild des Kunstwerks) ist zu charakterisieren als die individuelle Weise, in welcher der Künstler seinen Stoff idealisiert, in Ideal- weise gebildet hat; das imaginäre Bild ist das Jdealisierungswerk des Künstlers.» Wozu das Hineinziehen der Jdealweise, das die im Anfang so richtige Definition unklar und unbrauchbar macht? Köhler gibt allerdings hierfür eine Erklärung: »Denn Jdealdarstellung ist die wesentliche Aufgabe der Kunst: Sache der Kunst ist es, durch sinnliche Dar stellung eine Idee der Welt in ihren Teilen und damit auch im ganzen zu geben.» Allein diese Ausführung hellt uns nicht mit wünschens werter Klarheit darüber auf, was er unter »Idealisieren« versteht. Denn im folgenden lehnt er die Auffassung ab — die übrigens die des allgemeinen Sprachgebrauchs ist —, als ob unter Ideal die Formschönheit oder große Motive oder großartige Ausführung zu verstehen seien. Er lehnt also mit Recht die Formschönheit der Antike oder der Raffaelschen Komposition, überhaupt formale Schönheits begriffe, als maßgebende Kriterien des Kunstwerks ab. Er läßt auch die Darstellung des Charakteristischen in der Natur, der Disharmonien, der Inkongruenzen als Kunst werk gelten: »denn gerade die Energie, mit welcher sie die selben wiedergeben, die plastische Kraft, mit welcher sie sich auf die Dinge werfen, ist idealisierend — mag es sich auch um den strengsten Realisten, um den kräftig derbsten Im pressionisten handeln.« ft So hat das Reichsgericht in der Entscheidung in Strafsachen vom 5. Juni 1882 (Bd. VI, 344) ausgeführt: »und andererseits kennzeichnet die, ästhetischem Zweck die nende, formbildende Tätigkeit des Urhebers die Eigenschaft der von diesem geschaffenen Originalzeichnung als eines Werkes der Kunst;« und ferner in der Entsch. in Zivilsachen vom 24. November 1886 (Band XVIII, 107): »Ein Weck der bildenden Kunst ist ein mit den Darstellungs mitteln der Kunst hergestelltes, für die Anregung des ästhetischen Gefühls durch Anschauen bestimmtes Werk.«