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166, 20. Juli 1S08. Nichtamtlicher Teil Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 7835 gewiesen war, da er sich nicht als hinreichend unverdächtig aus- weisen konnte. Ohne Schwierigkeit erlangte Ende desselben Jahres der Lithograph Julius Dütschke das Privileg zur Anlage einer Steindruckerei, 1845 wurde endlich Joseph v. Koszutski als Buch drucker konzessioniert* *). Aus diesen Angaben ersieht man die Zunahme der sür An fertigung und Verkauf von Waren des literarischen Marktes be stimmten Geschäfte in der Provinz gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts, und die Vorsicht, mit der die Behörden unter Berücksichtigung des politischen Moments bei ihrer Zulassung verfuhren. Wie die Schriftsteller und Redakteure hatten die Buchdrucker und Buchhändler einen unaufhörlichen Kampf um ihre Nieder lassung und dann um ihre Existenz zu bestehen. Manche von ihnen verschuldeten Kontraventionen durch bloße Unachtsamkeit**), aber manche liefen geradezu auf Übertretungen der Gesetze, um sich aus Gewinnrücksichten den Wünschen des Publikums ent sprechende verbotene geistige Speise unter Hintergehung der Auf sichtsbehörden zu verschaffen. Mit allen erdenklichen Mitteln suchten die Gewerbetreibenden das deshalb stetig über ihren Häuptern schwebende Unheil abzuwenden, aber fast alle ereilte gelegentlich einmal ihr Schicksal***). Mitunter kam der Konkurrenzneid der Kaufleute den Be amten auf ihrer Jagd nach verbotenen Schriften zu Hilfe. 1833 denunzierte Munk seinen Rivalen Heine wegen gesetzwidrigen Debits von Straszewicz' »Die Polen und Polinnen der Revo lution vom 29. November 1830« (Stuttgart 1832), was letzterer sofort mit gleicher Münze heimzahlte. Schließlich wurde freilich nur Heine und zwar zu 25 Rtr. Strafe verurteilt, da es sich bei Munk um eine Übersetzung des Buches handelte, von der sich nicht Nachweisen ließ, daß ihr Debitsverbot Munk durch die Polizei vorgeschriebenermaßen mitgeteilt worden warf). Jedenfalls ver fielen selbst zuverlässigere Firmeninhaber wie Günther und Lukaszewicz mehrfach in Geldbußen. Auf bedenkliche Motive wird man unbedingt schließen müssen, wenn z. B. 1844 Zupanski wegen des Debits polnischer, außer halb Preußens erschienener Werke in'50 Rtr., der Posener Re dakteur und Literat Woykowski und Moraczewski wegen Ver- * ) Stadtakten 0. XXI. 2. 3. — Bei v. Koszutski wurde eine Zeit lang die Zeitschrift 2resglgck poruaüslri gedruckt. **) Z. B. erhielten 1844 wegen Vertriebs einer inhaltlich ganz unverfänglichen, aber ohne Angabe von Drucker und Verleger er schienenen Schrift: »Mendelche und Mindilche oder der Schidoch« ein Lehrer Leszczynski in Jnowrazlaw 5, der Buchdrucker Frank in Ra- witsch 50 Rtr. Strafe; letzterer Betrag wurde allerdings vom Minister auf 20 Rtr. ermäßigt (Rekursbescheid v. 30. Juni Oberpräfekten X. 45 vol. I). ***) Vgl. Oberpräs.-Akten a. a. O. — Auch die Bestechung mag nicht verschmäht worden sein. Wenigstens liefen 1844 unbestimmte Anzeigen von der Schwatzhaftigkeit eines deutschen Polizeibeamten über bevorstehende Revisionen bei dem Minister des Innern Grafen Arnim ein, die er vertraulich zur Kenntnis des Oberpräsidenten v. Beur- mann brachte (30. Mai). f) Vgl. Oberpräs.-Akten X. 35.— Wie wenig engherzig Flottwell trotz aller Vorsicht in Zensursachen verfuhr, zeigt folgendes: Im Früh jahr 1831 stellte der Posener Buchhändler Carl Anton Simon nach Berliner Mustern in seiner Steindruckerei Musikalien mit Vignetten auf die polnischen Kriegstaten während der Insurrektion her, bzw. ließ sie sich von außerhalb schicken, wie sie damals seiner Aussage zufolge von allen Kunsthändlern der Monarchie, selbst in der Hauptstadt unter den Augen der höchsten Behörden, vertrieben wurden. Der interimistisch mit der Leitung des Posener Polizeiwesens betraute Oberregierungsrat v. Tenspolde untersagte indessen Simon das Ausstellen dieser Gegen stände. Auf Anfrage beim Oberpräsidium erhielt letzterer aber den Bescheid, er dürse die Sachen verkaufen und auch aushängen, so daß Tenspolde erklärte, auch er habe keineswegs ein Debitsverbot beab sichtigt und nur durch die Entfernung der Bilder aus dem Schaufenster den fortwährenden Andrang von Neugierigen, namentlich der niederen Volksklassen, vor Simons Laden verhüten wollen. Erst 1832 erging für ganz Preußen ein Verkaufsverbot, worauf auch Simon den Ver breitung einer ohne Zensur angefertigten Lithographie in je 20 Rtr. Strafe genommen wurden*). Besonders verdächtig war den Behörden stets das Geschäft Valentin Stefanskis. Dieser hatte in jungen Jahren an der Warschauer Revolution teilgenommen und stand als Führer der kommunistischen Umtriebe in Posen 1845 an der Spitze des demo kratischen Bürgertums. Wie Kurnatowski gewährte er vorgeblich in seiner Offizin einer Reihe von Emissären und polnischen Flücht lingen Herberge und Beschäftigung. Eine gründliche Revision im Jahre 1841 verlief ziemlich ergebnislos; nur wegen eines gering fügigen Vergehens erkannte Flottwell auf 5 Rtr. Geldstrafe. Schon im folgenden Jahr ward wegen einer Zensursünde bei der Herausgabe von Woykowskis Zeitschrift P^goänL liteiaolri gegen diesen und Stefanski eine Untersuchung eingeleitet, die mit ihrer Verurteilung zu 20 bzw. 10 Rtr. endete. 1843 spielte gegen Stefanski eine Recherche wegen des unerlaubten Absatzes eines über 20 Bogen starken Werkes: Beiträge zur Geschichte der katho lischen Kirche und Religion in den Ländern unter russischer Herr schaft (polnisch)**). Der Fall wurde mit 50 Rtr. Strafe und Konfiskation des Buches geahndet. Jetzt erwachte die Aufmerk samkeit des Ministeriums des Innern, das auf die Möglichkeit hinwies, sich durch Entziehung der Konzession zum Gewerbe betriebe vor weiteren Übertretungen der Gesetze zu schützen. (Geh. Rat Bode an Beurmann 20. Sept. Oberpräs.-Akten X. 44.) Noch im Herbst gelang es dann den Behörden Stefanski des Debits der F l o t t w e l l s ch e n Denkschrift vom 15. März 1841 zu überführen, die nebst einem von mehreren Einwohnern der Provinz erteilten Antwortschreiben mit dem Druckort Straßburg erschienen war, mithin einer — jedoch nicht ergangenen — preußi schen Debitserlaubnis bedurfte; trotzdem hatte sie namentlich während des verflossenen Provinziallandtages unter dem polni schen Teil derEinwohner weite Verbreitung gefunden***). Diesmal wurde auf 80 Rtr. Sühne erkannt, von der Berliner Zentral behörde aber drei Achtel der Summe erlassen. Trotz der empfan genen Denkzettel setzte Stefanski sein gefährliches Treiben fort und verfiel schon 1845 in eine neue, bei seiner wenig günstigen Vermögenslage recht empfindliche Strafe von 50 Rtr., da bei einer Revision in seinem Hause verbotene Bücher vorgefunden schleiß einstellte. 1835 teilte dann Plötzlich das K. K. Landesgubernium in Lemberg dem schlesischen Oberpräsidenten v. Merckel mit, es seien 1832 von einer Lemberger Firma bei Simon Abbildungen von Schlachten der polnischen Revolution und andere diese berührende Darstellungen und Musikalien bestellt und die betreffenden Sendungen zunächst an eine Handlung in Pleß dirigiert worden. Simon schilderte aus eigenem Antrieb den Sachverhalt in der gleichen Weise, worauf ihm die in seinem Laden beschlagnahmten Musikalien usw. mit der Verpflichtung zurückgegeben wurden, sie unter Siegel zu halten und bei Vermeidung gesetzlicher Strafe aus dem Verkehr zu ziehen. Als Restbestünde hatte er unter anderem vorgewiesen: den Sensenträger, Marsch für den Auszug aus Warschau (99 Stück), den Marsch der Schlacht von Ostro- lenka, den des Generals Uminski, den der polnischen Nationalgarde (60 Stück) und der Scharfschützen, den der Lolonaisss köunios, das Bild eines Kosynier auf Velinpapier <75 Stück), das eines bei einem Erschlagenen sitzenden Kriegers mit dem Titel: 2'abanckoimS (114 Stück), das Bild berühmter Polen aus der Revolutionszeit (131 Stück). ^ Nach Oberpräs.-Akten X. 10 vol. I u. IX 2. 0. 3 Bl. 64 ff. *) Vgl. über andere, ln jenen Monaten sich auffallend vermehrende Straftaten Oberpräs.-Akten X. 45 vol. II. **) Posen 1843 anonym erschienen. — 1845 erteilte das Ober zensurgericht Stefanski die nachträglich erbetene, vom Posener Zensor versagte Druckerlaubnis bis auf wenige Stellen des Werks; vgl. Laubert: Studien usw. S. 326. tz ***) Polizeirat Bauer an Beurmann 24. Okt. Oberpräs.-Akten a. a. O. — Die Straßburger Ausgabe der Flottwellschen Denkschrift wurde noch ausdrücklich verboten durch einen Erlaß Arnims an Beur mann v. 3. Mai 1842. Nach vorläufigen Ermittelungen waren 300 Exem plare der »Flugschrift« an den vormaligen Ökonomen des Bazars in Posen, v. Laszewski, gesendet worden. (Nach Oberpräs.-Akten X. 40 vol. III.) 1021