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^ 22, 28 Januar 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 1188 (vr. Popert) Die Mitglieder des genannten Vereins verpflichten sich, der Schundliteratur jegliche Verwendung, sei es durch heimlichen Verkauf an der Straße, sei es durch Lieferung auf Bestellung ins Haus, zu entziehen. Sie werden dafür billige, interessante, aber gute Schriften verkaufen, z. B. die Hefte der »Deutschen Jugendbücherei«, die »Bunten Bücher« der Freien Lehrer vereinigung für Kunstpflege, Berlin, die »Wiesbadener Volks bücher« und die Volksbücher der Deutschen Dichter-Gedächtnis- Stiftung. Meine Herren! Trotz der vorgerückten Zeit war es nötig, daß wir diesen Männern die Ehre erweisen, die ihnen gebührt: Es ist wirklich der allergrößten Hochachtung wert, daß die Zeitungsstand-Jnhaber, die einen schweren Kampf ums Dasein führen, gegen ihre pekuniären Interessen diesen Beschluß gefaßt haben, der zweifellos der Sache, der wir alle dienen wollen, bedeutend vorwärts hilft. Um so notwendiger wird sein, nun auch, wie der Ausschußantrag Ihnen vorschlägt, auch die Schaufenster vom Schmutz zu reinigen, sonst würden gerade diese ehrenwerten Zeitungsstand-Jnhaber zu Gunsten einer Anzahl ge wissenloser Ladenbesitzer geschädigt werden. Im übrigen bitte ich Sie, die Ausschußanträge anzunehmen. Präsident: Ich eröffne die allgemeine Beratung. Das Wort hat Herr vr. Wolffson. vr. Wolffson: Meine sehr geehrten Herren! Es tut mir leid, daß ich Sie in dieser verhältnismäßig späten Stunde noch mit eingehenden Ausführungen aufhalten muß. Ich bitte Sie, diesen durch mich nicht verschuldeten Umstand mich nicht entgelten zu lassen. Wer es, m. g. H., mit unserer Jugend gutmeint, der wird die Bestrebungen derjenigen, die gegen die die Seele der Jugend vergiftende Literatur kämpfen, auf das wärmste unterstützen. Wir müssen den Lehrern, die durch ihr Wort auf die Eltern und Schüler zu wirken suchen, und den Vereinen, die durch Beschaffung guter Literatur den Kampf führen, von ganzem Herzen dankbar sein. Ich bin auch der Ansicht, daß der Kampf gegen den Einfluß der schlechten Literatur im eminenten Interesse der Allgemeinheit liegt, und ich möchte mir, wenn ich gegen den wesentlichen Teil der Ausschußanträge spreche, von keiner Seite erwidern lassen, daß ich die Bedeutung der Frage verkenne. Ich weiß die Wichtigkeit der Frage vollauf zu wür digen; ich will aber nicht weiter hierauf zurückkommen, weil ich der Überzeugung bin, daß diese Gesinnung allseitig, von Freunden und Gegnern des Antrages, geteilt wird. Da ich, wie gesagt, die Frage für eine Frage halte, die die Allgemeinheit in hohem Grade interessiert, so bin ich auch damit einverstanden, daß der Staat mit pekuniären Mitteln die Bewegung unterstützt. Ich habe daher gegen die Anträge, die der Ausschuß unter 2) stellt, ebensowenig etwas einzuwenden, wie gegen den heute auf der Tagesordnung stehenden, von Herrn vr. Philipp! und seinen Freunden gestellten Antrag. Dagegen halte ich den unter 1) ge stellten Antrag der Ausschußanträge, in dem der Erlaß gesetzlicher Bestimmungen verlangt wird, für verfehlt und gänzlich unannehm bar. Es ist wunderbar daß die Mitglieder aller Fraktionen in dem Ausschuß einstimmig diese Anträge gestellt haben. Von Ruwolt bis Krause! (Heiterkeit.) Dieser Umstand erweckt natürlich in mir das Bedenken, ob mein Widerspruch Sie von der Annahme der Anträge abhält; aber ich halte mich trotzdem für verpflichtet, meinen Widerspruch aufrecht zu erhalten und zu begründen, weil ich, aufrichtig gesagt, gern zu meinem Teil dazu beitragen möchte, daß die Bürgerschaft nicht durch die Annahme dieser Anträge eine Berühmtheit erlangt, um die sie kein deutsches Parlament beneiden, wird. M. H.! Da ich weiß, daß andere Mitglieder dieser Versammlung die rechtliche Unzulässigkeit der gestellten Anträge auf Grund des Reichsrechts dartun werden, so will ich von einer Erörterung dieser Frage Abstand nehmen. Ich will mich darauf beschränken, zu erklären, daß ich die Anträge in Rücksicht auf die Reichsgesetzgebung, die diese Materie behandelt hat, für ungesetz lich halte. Nur in einer Beziehung werde ich auf die Rechts frage nachher noch zurückkommen. — Sie dürfen aber nicht den Einwand entgegensetzen, daß die Straßenordnung, in welche die beantragten gesetzlichen Bestimmungen ausgenommen werden sollen, der Zuständigkeit der Partikulargesetzgebung unterliegt. Das ist zweifellos richtig. Aber das bedeutet nicht, daß ei« Gesetz, ohne daß es mit der Straßenordnung etwas zu tun hat (Sehr richtig!), in die Straßenordnung eingefügt wird, dadurch nach Reichsgesetz zulässig wird. (Sehr richtig!) Ich habe nicht den geringsten Zweifel darüber, daß die Bestimmungen, die beantragt werden, soweit sie sich nicht auf den Gewerbebetrieb auf öffentlicher Straße, sondern auf den Gewerbebetrieb inner halb der Mauern eines Hauses beziehen, nicht in die Straßen- ordnung gehören. Die Straßenordnung ist bestimmt, dasjenige zu regeln, was sich auf der Straße abspielt und auf der Straße ereignet, während der Ausschuß der Meinung zu sein scheint, daß es Aufgabe der Straßenordnung ist, das zu regeln, was man von der Straße aus sieht. — Schon dieses Moment würde es mir, und ich glaube, allen Juristen des Hauses, unmöglich machen, für den Antrag des Ausschusses zu stimmen; denn die Bürgerschaft kann unmöglich bestimmen, daß einem Gesetz eine Bestimmung hinzugefügt wird, die gar nichts mit diesem Gesetz zu tun hat. Der Ausschuß will Vorschriften für die öffentlichen Verkaufs stände und für die Schaufenster der Läden erlassen. Er verlangt, daß bei den Strafen, die in der Straßenordnung vorgesehen sind — das sind Geldstrafen oder Haftstrafe — solche Bücher, Ab bildungen und Darstellungen, die in sittlicher Beziehung Ärgernis zu erregen oder durch Überreizung der Phantasie die gesunde Entwicklung der Jugend zu zerstören geeignet sind, weder in Verkaufsständen, noch in Verkaufsschaufenstern ausgelegt werden dürfen. Ich mache zuerst darauf aufmerksam, daß die Verkaufsftände, also der Gewerbebetrieb auf der Straße, der polizeilichen Ge nehmigung und polizeilichen Überwachung unterliegt und daß schon aus diesem Grunde die Bestimmungen, die der Ausschuß beantragt, für die Verkaufsstände zum mindesten vollständig über flüssig sind; denn die Polizei, welche die Genehmigung zum Ver kauf auf der Straße zu erteilen hat, kann natürlich die Genehmi gung auch an Bedingungen knüpfen, und der Ausschuß selbst hat uns in seinem Bericht erzählt, daß die Polizei von ihrem Recht, die Genehmigung an Bedingungen zu knüpfen und Schrifte», Abbildungen und Darstellungen, die ihr als ungeeignet erscheinen, zu verbieten, in hohem Maße Gebrauch gemacht hat. Der Aus schuß hält es auch für durchaus angemessen, daß die Behörde ihre Augen scharf auf die Verkaufsstände richtet und nicht duldet, daß irgendein Buch, das ihr nicht geeignet erscheint, verkauft wird. Dann ist es aber doch verkehrt, nun noch durch Gesetz zu be stimmen, welche Gegenstände die Polizei verbieten darf, — namentlich deshalb verkehrt, weil es nie ein erschöpfendes Gesetz sein wird — weil die Polizeibehörde kraft ihres Rechtes die Be- fugnis hat, aus zahlreichen anderen Gründen gleichfalls Verbote zu erlassen und die Nichtbefolgung der Verbote unter Strafe zu stellen. Die Polizei leitet ihre Zuständigkeit zum Erlaß von Vor schriften auf diesem Gebiete aus dem Reichsrecht her. Es ist da her verwirrend und verkehrt, wenn wir neben den reichsgesetz- lichen Bestimmungen partikulargesetzliche Bestimmungen treffen, durch die wir der Polizei auf demselben Gebiete Rechte geben» Die Bestimmungen, die vom Ausschuß beantragt sind, sind daher, soweit sie sich auf die Verkaufsstände beziehen, zum mindesten überflüssig. Wenn wir uns nun zum materiellen Teil des vorgeschlagenen Gesetzes wenden, so müssen wir uns in erster Linie mit dem An träge beschäftigen, der dahin geht, die Auslegung von Schriften usw. zu verbieten, die in sittlicher Beziehung Ärgernis zu erregen geeignet sind. Sie gestatten wohl, daß ich statt der weitläufigen Worte: »Verbot der Auslegung von Schriften« einfach von »Verbot der Schriften« spreche. Ich will zunächst darauf aufmerksam machen, daß bei diesem Anträge der Ausschuß die Grenze, die er sich selbst ge zogen hat, vollständig überschreitet. Der Ausschuß will lediglich Bestimmungen zum Schutze der Jugend treffen, und hier in seinem ersten Teil trifft er Bestimmungen zum Schutze der Jugend und zum Schutze des Alters. (Heiterkeit.) Er macht keinen Unterschied zwischen jungen und alten Personen; er schlägt vor, daß alle Schriften, die in sittlicher Be ziehung Ärgernis zu erregen geeignet sind, verboten werden sollen. Sie werden alle wie Kinder behandelt. (Heiterkeit.) Wir bekommen einen Bericht über die Fürsorge für die Jugend; es werden gesetzliche Bestimmungen mit der Überschrift »Zum 153»