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22, 28. Januar 1910 Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dlschn. Buchhandel. 1187 (Pape) stimmungen enthalten sind, die sich auf Dinge beziehen, die sich nicht auf der Straße abspielen. Z. B. ich darf aus meinem Fenster nichts ausklopfen, denn es könnte ein wenig Staub auf Hut und Kleider fallen, was sich indessen doch leicht wieder ab bürsten ließe. Im Gegensatz dazu meine ich aber, daß man da für sorgen sollte, daß auf der Straße die Kindesseele nicht be- schädigt und verletzt wird für immer, und daß man bei dem Zu stande, wie er jetzt herrscht, bei der schrankenlosen Freiheit, alles auszustellen an Schriften, die in der Tat die Phantasie der Jugend überreizen und erregen und dann zu den schlimmsten Folgen führen, — daß man das auf Grund der Straßenordnung nicht einschränken kann, das will mir als Laien nicht einleuchten. Man müßte sich da allerdings dem Urteile der Juristen unterstellen; aber merkwürdig ist es doch, daß man in anderen Ländern wo man auch Juristen hat, ganz anders gegen solche Dinge vvrgeht. Sie werden aus dem Ausschußberichte ersehen haben, daß man in der Schweiz, im Kanton Basel-Stadt, gesetzliche Bestimmungen getroffen hat, die sich inhaltlich mit den von uns beantragten vollständig decken, und zwar auch auf Grund eines gesetzbuch in der Schweiz wird diejenigen Bestimmungen enthalten, auf Grund deren die Polizei Strafen verhängen kann. Es wird nicht so weit entfernt sein von dem, was wir unter einer Straßen ordnung verstehen. Ich darf vielleicht zwei Sätze aus der einleitenden Rede des Regierungsrats in Basel, womit er diesen Gesetzantrag im Großen Rat einbrachte, verlesen; es heißt darin: »Es geht jetzt eine mächtige Bewegung durch die Welt«, (nämlich gegen den Schmutz und Schund, den wir auch gern in unserm Hamburg aus den Läden heraushaben wollen) »der wir in Basel eigentlich nur nachhinken. Frankreich und die skandinavischen Länder sind mit scharfen Bestimmungen vorangegangen«. Sollten da die Gesetze nicht auch von Juristen gemacht sein? (Ruf: Was steht darin?) Ich habe sie nicht gelesen, ich verlasse mich darauf, daß, wenn man in Basel einen Gesetz entwurf einbringt, und der Vertreter der Regierung sagt, in Frank reich und Skandinavien hat man noch schärfere Bestimmungen, dies auch richtig ist (Ruf: Die Reichsgewerbeordnung gilt in der Schweiz nicht!), aber Gewerbefrciheit werden sie in der Schweiz auch haben. (Zuruf.) Erst recht! Gewiß werden sie dort andere Gesetze haben, aber jedenfalls ebenso freiheitlich wie die unsrigen, denn die Schweiz, meine ich, steht auf solchem Gebiete weit voran. Leider hat der Regierungsrat hierbei das Deutsche Reich nicht ge nannt, das Deutsche Reich ist tatsächlich noch etwas zurück; im Gegen teil, er führt das Deutsche Reich in seiner einleitenden Rede nur an, als Einfuhrland schlimmster Pornographie in die Schweiz, und leider wage ich dem garnicht zu widersprechen. Es ist tatsächlich in Deutsch land so, daß eine solche Unmenge von Pornographie in Schrift und Bild veröffentlicht wird, daß fast die ganze Welt damit versorgt wird. (Ruf: Das ist doch verboten nach § 184!) Es gibt auch solche Bilder und Schriften, die nicht unter den § 184 fallen, wenigstens, weil die Juristen sie darunter nicht summieren, die aber unsittlich und anstößig im höchsten Grade sind. (Ruf: Was ist das? — Ausreden lassen! — Auch die Madonna?) Jawohl, die und der gleichen auch. M. H.! Es hat mir leid getan, daß Herr vr. Wolffson bei seiner vortrefflichen Dialektik nicht wenigstens ein Wort gefunden hat für die große Not, in der das Volk und unsere Jugend sich befinden. (Ruf: Das habe ich ganz am Anfang getan!) Aber sehr schwach war das nur. (Heiterkeit) Herrvr.Wolffson möchte z. B. wissen, welche Schriften man treffen will, die nicht ausgestellt werden dürfen. Ich will Ihnen nur den Titel einer Schrift nennen, die in diesem Sommer erschienen ist, die Schrift heißt »Du darfst ehebrechen«, und solche Schrift darf meiner Meinung nach nicht öffentlich ausgestellt werden, die ist in der Tat geeignet, die sittlichen Begriffe unserer Heranwachsenden Jugend zu verwirren und alles zu gefährden, was Elternhaus und Schule den Kindern beibringen. In der Praxis, Herr Doktor, wird sich nach der Bestimmung unseres Antrags, sie mag vielleicht noch besser formuliert werden können, ich wäre dankbar dafür gewesen, wenn es von Ihnen geschehen wäre, in der Praxis wird sich darnach wohl schon arbeiten lassen. Ich sehe weniger in die alten Gesetzesparagraphen hinein, ich sehe mehr die Gefahr, die Teil der Lehrerschaft warten in Hamburg darauf, daß auf diesem Gebiete noch etwas mehr geschieht, als bisher schon geschehen ist. Ich will nicht viel eingehen auf Beweisfälle, wie schlimm es auf diesem Gebiet steht, unser Bericht bringt darin ungemein viel, aber vor einigen Wochen hat sich vor dem Dammtor wieder ein Fall abgespielt, daß ein Erpressungsbrief an einen reichen Monn ge richtet wurde. Dieser hat den Brief der Polizei übergeben, die Polizei glaubte, das wird ein ganz gefährlicher Verbrecher sein, drei Polizeibeamte begeben sich an die bezeichnte Stelle: ein schwaches Bürschchen von 18 Jahren wird gefaßt, dessen Phantasie vergiftet war durch die Schund- und Schmutzliteratur. Ja, sollen wir nicht wenigstens versuchen, daß derartige Sachen nicht mehr zur Schau gestellt werden? Vor 3 Tagen las ich, daß in Vissel hövede in der Heide sich derselbe Fall zugetragen hat, daß in Sachsen drei Kinder ein anderes kleines Kind gemartert haben, schließlich sind sie noch davongejagt worden. (Zuruf.) Das hat mit Jndianergeschichten garnichts zu tun, die Jndianergeschichten lesen die Kinder gar nicht mehr, die lesen nur noch Verbrecher geschichten, wie Nie Carter; wenn sie nur die guten Jndianer geschichten lesen möchten, dagegen hätte ich gar nichts einzuwenden. Ein Hamburger Junge ist im vergangenen Jahre in der Gegend von Itzehoe, mit allerhand Diebeswerkzeug versehen, festgenommen worden: er wollte ein berühmter Dieb werden! — Daran sind einzig und allein die Schriften schuld, die noch in den Schau fenstern Hamburgs zur Schau gestellt werden dürfen. Worum handelt es sich denn eigentlich bei dieser Frage, bei dex uns Herr vr. Wolffson sagt, die kann nur auf positivem Wege durch Verbreitung guter Schriften usw. gelöst werden? Nein, das kann sie nicht allein; ich unterschätze die Verbreitung guter Schriften gar nicht; aber wie der Weizen nicht gedeiht, wenn man das Un kraut nicht ausrauft, und die Blumen nicht gedeihen können, wenn man das Unkraut stehen läßt, so können wir unserer Jugend auch nicht nur helfen mit guter Literatur, wir müssen versuchen, sie vor schlechten und vergifteten Schriftwerken zu bewahren. Worum handelt es sich im tiefsten Grunde bei dieser ernsten Frage? Es handelt sich um die sittliche und körperliche Kraft und Gesundheit unseres ganzen deutschen Volkes, die unter graben wird. Ich bin nicht so pessimistisch, zu sagen, unser Volkskörper ist krank; aber daß er kränkelt an einigen Stellen, daß wissen wir alle miteinander. Es fängt bei der Jugend an mit dem Schmutz und Schund, und da wird in der Tat die Phantasie erregt und vergiftet, oder, wie ist der Ausdruck, über reizt, und so geht es weiter, da kommen Kinematographen, Mutoskope, Animierkneipen, ^weriean drris, Kabaretts und was sonst noch, und dann wird der Weg zur Unzucht und zum Ver brechen beschritten. Dutzende solcher Fälle können Sie aus unserm Berichte herauslesen. Wir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß schon schwere Anzeichen sittlicher Verwilderung in unserm Volke anzutreffen sind, und ich behaupte, alle diese traurigen Erscheinungen stehen in ursächlichem Zusammenhang mit dem Lesen und Betrachten und dem Sichhineinversenken in derartige Schriften und Bilder, die wir jetzt bekämpfen und zurückweisen wollen. (Sehr richtig!) Ich erkenne Ihre Überzeugung, Herr vr. Wolffson, vollkommen an; aber, ich darf es offen heraussagen: Sie sind mir viel zu viel Jurist, sehen zu wenig in das praktische Leben hinein und haben die Not und Klagen der Eltern auf diesem Gebiete nicht gehört! Ich behaupte ganz dreist den ursächlichen Zusammenhang der Verbreitung dieser Schriften und Bilder mit der Zunahme der jugendlichen Verbrechen und der Zunahme der Sittlichkeits verbrechen. Ich habe in einer Hamburger Zeitung gelesen, daß hier an einem Tage fünf Verhaftungen wegen Sittlichkeitsver- brcchen vorgenommen sind. Das hängt mit diesen Dingen zu sammen. Wie grassieren die Geschlechtskrankheiten bei uns! Es finden Kongresse nur zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten statt. Was haben sich für Perversitäten offenbart! Masochismus und Sadismus, das sind die Worte, die kannte das deutsche Volk vor 30 Jahren noch nicht. Das verdanken wir zumeist den bösen Schriften und Bildern, die wir bekämpfen wollen. Darum handelt es sich, m. g. H.! Wenn Sie meinen, daß unser Antrag nicht in der richtigen Form gebracht ist, obwohl er nach meinem Dafürhalten voll ständig ausreichen würde, um das fragliche Übel zu bekämpfen,