Volltext Seite (XML)
^ 276, 30. November. Nichtamtlicher Theil. 5475 rens nicht bedurft haben, uni die Unbrauchbarmachung der im Besitze der Buchhändler Leo, Linderer und Langer gefundenen Exemplare dieser Schrift herbeizusühren; es hätte dieselbe viel mehr nach K. 41. Abs. 2. des Strafgesetzbuchs durch einfache Vollziehung des gegen W. ergangenen Urtheils bewirkt werden können. Da aber das letztgedachte Urtheil sich daraus beschränkt hatte, die Unbrauchbarmachung des einen bei dem damaligen Angeklagten in Beschlag genommenen Exemplars auszusprcchcn, so war es allerdings erforderlich, ein neues Strafverfahren ein- zuleitcn, um die Unbrauchbarmachung der neuerdings von den obengenannten Buchhändlern ausgelegten und der übrigen in ihrem Besitze bezw. in dem Besitze von anderen in die Kategorie der in Z. 41. Abs. 2. gehörenden Personen befindlichen Exem plare dieser Schrift herbeizusühren. Aber gerade weil es ein neues selbständiges Verfahren ist, welches im vorliegenden Fall eingeschlagen wurde, durfte der erste Richter nicht, wie er ge- than hat, die Frage, ob die Schrift eine unzüchtige sei, als eine rechtskräftig entschiedene behandeln. Bei anderweitiger Prüfung der Sache wird vielmehr ohne Rücksicht auf die früher ergangenen Entscheidungen vom ersten Richter selbständig zu erwägen sein, ob die incriminirte Schrift als eine unzüchtige auszufasseu sei. II. Socialdemokratische verbotene Schriften. Verbreitung. Reichsgesetz vom 21. Oktober 1878, gegen die gemeingefährlichen Be strebungen der Sokialdcmokratie. z. IS. Die Mittheilung einer verbotenen socialdemokratischcn Schrift an eine einzelne Person erfüllt den Begriff des Verbreitens der selben nur dann, wenn sie in der Absicht geschah, durch Den jenigen, an welchen die Verbreitung erfolgte, eine weitere Ver breitung zu bewirken. Urtheil des III. Strafsenats vom 1. October 1881 o. H.*) Aushebung des Urtheils und Zurückverweisung. Gründe: Das angefochtenc Urtheil hat das Merkmal der „Verbreitung" verbotener socialdemokratischer Druckschriften lediglich in der That- sache gesunden, daß der Angeklagte „die einzelnen Exemplare dieser Zeit schriften, welche er aus dem Auslände erhielt, seinem Gesellen K. zu lesen gab, bezw. dieselben in seiner Werkstatt offen auf seinen Arbeitstisch legte, mit der Absicht, daß K. sie von dort nehmen und lesen sollte, was derselbe auch häufig vor den Augen des H. that." Diese Feststellung reicht zur Erfüllung des Thatbestands- begriffs der „Verbreitung" im Sinne des tz. 19. des Reichs gesetzes vom 21. October 1878 nicht aus. Zwar erscheint nicht zweifelhaft und ist auch bereits vom Rcichsgesetz anerkannt, daß das Wort „verbreiten" im tz. 19. a. a. O. begrifflich nicht erfor dert, daß unmittelbar eine Veröffentlichung an eine unbe stimmte Mehrheit von Personen, eine Mittheilung an das Publicum stattgefunden habe.**) Darnach würde es den Thatbestand strafbarer Verbreitung, wie er hier in Frage steht, wohl erfüllen können, wenn Einer die verbotene Druckschrift zunächst und unmittelbar nur einer Person mittheilt, aber dabei sein Vorsatz nicht ausschlicßt, daß dieser Zweite nun seinerseits die Mittheilung an einen Dritten u. s. f. aussühren werde, vielmehr der Wille des Ersteren, schon, als er die Schrift dem Zweiten übergab oder beließ, aus eine durch den Zweiten als Mittelsperson erfolgende Weitergabe *) Aus der Zeitschrift „Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen" (München, Oldenbourg). **) Vgl. Urtheil des Reichgerichts vom 17. März 1880, Börseubl. 1880, Nr. IIS. derselben an Andere gerichtet gewesen ist. Ist aber der Vorsatz bei einer derartigen aus zivei Personen beschränkten Commuui- cation bestimmt dahin begrenzt, daß die Druckschrift nur diesem Zweiten zugänglich werde, so würde in solcher Mittheilung nach dem natürlichen Wortsinn, wie nach der erkennbaren Absicht des Gesetzes das Wesen einer Berbreitungsthätigkeit nicht zu er blicken sein. Verboten im Sinne des si. 11. des Reichsgesetzes vom 21. October 1878 ist nicht das bloße Lesen oder von dem Inhalt Kenntnißnehmen einer Druckschrift, sondern jede gemein gefährliche Circulation derselbe», sei es im Buchhandel, sei es in jeder über die nächsten persönlichen Beziehungen hinaus- gchenden Form des freien Verkehrs. Deshalb verletzt das Ver bot und macht sich nach Z. 19. a. a. O. strafbar, wer die ver botene Druckschrift in einer ihre weitere Circulation ermöglichen den Weise in Verkehr setzt. Wer dagegen nichts weiter thut, als daß er den Inhalt einer in seinem Besitz befindlichen ver botenen Druckschrift nicht als sein ausschließliches Geheimniß be wahrt, vielmehr einem Andern das Mitlesen derselben gestattet, oder sie ihm sonst vertraulich für Zwecke, die mit der Propa- girung der socialistischen Bestrebungen gar nichts gemein haben, zur Lectüre anvertraut, von dem kann nicht gesagt werden, daß er dem Verbote zuwider die gemeingefährliche Druckschrift als solche weiter in Verkehr setzt, oder „verbreitet". Die obigen Feststellungen lassen es unklar, mit welchem Vorsatz nach der thatsächlichen Ausfassung der Vorinstanz der Angeklagte bei seiner fortgesetzten Mittheilung der verbotene» Druckschriften an K. gehandelt hat. Auf der einen Seite ist allerdings in den Urtheilsgründen erwogen, daß der Angeklagte die (socialdemokratischen) „Ideen, für welche er selbst ein so großes Interesse bethätigte, vor allem seiner nächsten Umgebung, seinen Gesellen, mitzutheilen bestrebt war". Daraus könnte mit Grund gefolgert werden, daß die Mittheilung der Zeit schriften an K. lediglich zum Zwecke dieser Propaganda ge schehen, somit die festgestellten Handlungen allerdings in den Bereich einer strafbaren Berbreitungsthätigkeit fallen. Andrer seits ist jedoch diese Folgerung vom Urtheil selbst nicht gezogen, vielmehr findet sich jene Erwägung in den Urtheilsgründen an einer Stelle, wo lediglich die Glaubwürdigkeit der früheren H.'schen Bezichtigungen erörtert wird, und ist lediglich als Ar gument für die Wahrheit dieser Bezichtigungen verwerthet wor den. An der Stelle aber, wo der Thatbestand gegen den An geklagten sestgestcllt worden, findet sich keine Andeutung, ob das Urtheil in der Lage war, einen aus Weiterverbreit»»« der frag lichen Druckschriften gerichteten, oder doch diese Weiterverbrei tung bewußt umfassenden Vorsatz des Angeklagten in seinen Bezie- hungenzuK.sestzustellen odernicht. Diese Lücke bedarf derErgänzung. MiSccllcn. Verhandlungen mit den Niederlanden zum Schutze des Autorrechts — In einer der letzten Sitzungen der nieder ländischen zweiten Kammer bestätigte der Ministerpräsident v. Ro- chussen, daß Verhandlungen mit dem Deutschen Reiche zum gegen seitigen Schutz des Autorrechts eröffnet seien; er zeigte zu gleicher Zeit an, daß ähnliche Unterhandlungen mit noch anderen auswär tigen Staaten stattfinden. Er bemerkte dabei, daß Deutschland aus dem mit demselben abzuschließenden literarischen Vertrage größeren Nutzen als die niederländische Nation ziehen werde, wo bei er jedoch an eine in dem Literaturblatt „de Portefeuille" er schienene Uebersicht erinnerte, in welcher hervorgehoben wird, daß auch die niederländischen Schriftsteller und Verleger sich wegen der Uebersctzung ihrerErzeugnisse ohne Erlaubniß, beziehentlich Entschä digung seitens deutscher Verleger zu beklagen haben. (Nat.-Ztg.) 756*