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5440 Nichtamtlicher Teil. ^ 1-4, 29. Juli 1899. Nichtaintl Zur Abwehr. Aus zahlreichen Zuschriften, die in den letzten Tagen dem Unterzeichneten zugegangen sind, geht hervor, daß die Interessen des Buch- und Kunsthandels durch einen Artikel der »Frankfurter Zeitung (Nr. 194 und 196 vom 15. und 17. Juli) bedenklich geschädigt werden. Aus diesem Artikel seien zunächst die markantesten Stellen wiedergegeben. Er stammt aus der Feder des Herrn Professors Bernhard Mannfeld und trägt die Ueberschrift: -Die Schädigung der graphischen Kunst durch die Heliogravüre. -Die Schriftsteller haben längst Verbände gegründet, ihre Interessen zu vertreten, die Komponisten wie auch die Bühnen autoren desgleichen. Sie haben erreicht, daß der Reichstag sich mit ihren Beschwerden und Vorschlägen befassen wird. Die graphischen Künstler, die ebenso wie die Vorgenannten Geistes werke produzieren, die als Vervielfältigungen erscheinen und dann als Ware in den Handel gehen, haben ebenfalls Interessen gleicher Art, aber meines Wissens besteht keinerlei Zusammenschluß, keinerlei Meinungsaustausch unter den einzelnen Kollegen und Kolleginnen. Wohl aber besteht ein Kunstverlegerverein. -Seit Jahren schon habe ich erwogen, ob es nicht auch möglich sein würde, einen Verein graphischer Künstler ins Leben zu rufen, bis ich im verflossenen Jahre die Gelegenheit ergriff, meine Ge danken darüber schriftlich niederzulegen, veranlaßt durch eine be sonders merkwürdige persönliche Erfahrung auf dem Gebiete des Verlagswesens einerseits und andererseits durch den bemerkens werten Rückgang hinsichtlich der Erzeugung originaler graphischer Kunstwerke und der von Künstlerhand hergestellten reproduzierten Kunst. Immer weniger waren es Kunstwerke dieser Art, die in den Schaufenstern der Kunsthandlungen zu finden waren. Helio gravüren, Photogravüren, schwarze und bunte die Menge, meter große bis zum Duodezformat herab, und nur ganz vereinzelt noch und schüchtern kamen wirkliche graphische Originalarbciten zum Vorschein. Es war also sichtbar — die graphische Kunst in Deutsch land hatte nach einem kurzen Aufschwung, den ich ja miterlebt habe, sich dem Verfall zugeneigt -Große kapitalkräftige Institute haben die graphische Kunst aus ihren Angeln gehoben und bewirken den Rückgang, der sich so sichtbar vollzieht. Das Publikum freilich weiß nicht, daß es kein -Kunstwerk« besitzt, wenn cs eine Heliogravüre erwirbt; es könnte eben so gut ein Bild aus einer illustrierten Zeitung sich an die Wand hängen, der Wert würde ganz der gleiche sein — während ein Kunstblatt, ein Stich, eine Radierung oder Original- Lithographie im Werte mit der Zeit sich steigert und ein wirk licher künstlerischer Schmuck des Zimmers ist, sowie ein wertvolles Blatt in der Mappe des Sammlers. -Aber die heliographischcn Institute werfen massenhaft -Kunst blätter» auf den Markt, die keine sind. Es kann wohl niemand behaupten wollen, daß die beste Photographie, ganz vorzüglich auf die Kupferplattc übertragen, geätzt oder als druckfähiges galvanisches Relief niedergeschlagen, ein Kunstwerk zu sein vermöchte, etwas Selbständiges in sich trägt, wie etwa ein Stich, eine Original- Radierung. -Und wie verhält sich die Frage des geistigen Eigentums zur Heliogravüre und Photogravüre und wie diese Techniken alle be nannt werden? Es mag Vorkommen, daß die Genehmigung, die Gemälde eines Meisters in Heliogravüre wicderzugeben, seitens des betreffenden Instituts erworben wird; selten aber wird der hierfür bewilligte Preis nennenswert hoch sein, denn der Künstler selbst mißachtet die Heliogravüre, insofern als er sie selbstverständlich nur als Photographie erachtet. In den allermeisten Fällen aber vollzieht sich der Vorgang folgendermaßen: »Auf der Kunstausstellung ist ein aktuell und künstlerisch sehr gutes Bild eines mehr oder weniger bekannten Malers zu finden. Der Inhaber eines heliographischcn Instituts schickt seinen -Schlep per» in das Atelier des betreffenden Malers, um auszuknndschaften, auf welche Weise man dem Künstler geschickt sein geistiges Eigen tum entwinden könne. Der «Schlepper» wird sich nach dem Preis des Bildes erkundigen und hierdurch beim Künstler die Annahme erwecke», er sei Käufer oder Besteller, worauf der Maler sich gern entgegenkommend zeigt. Das Recht der Vervielfältigung ist 'noch nicht vergeben; der Kommissionär wird nun versuchen, sich in Besitz desselben zu setzen. Zunächst wird er bemüht sein, dem Maler ver lockend zu schildern, wie sein Bild berühmt werden könne und er selbst damit, wenn eine ansehnliche Reproduktion desselben erscheine, wenn verbreitete illustrierte Zeitungen ein Abbild mit einer Lebcns- icher Teil. beschreibung, womöglich dein Porträt des Künstlers selbst, bringen würden. Vielfach schmeichelt das deni Künstler, und er wird ein- willigen, daß sein Bild reproduziert wird. Nun kommt die zweite Frage: was gicbt der Künstler dazu, daß dies geschieht? denn die Herstellung einer heliographischcn Platte ist eminent teuer, versichert der «Schlepper». Erlauben es die Mittel des Künstlers, so wird er sich dazu verstehen, tausend oder zweitausend Mark dazu zu geben. Nun wird noch ein Kontrakt unterschrieben, daß mit allen und jeden Rechten die Vervielfältigung in die Hände des betreffenden Verlegers übergegangen ist, der nun seinerseits nicht unterlassen wird, von den illustrierten Zeitschriften ein Honorar für die Üeberlassung der Heliogravüre zu verlangen. Vier bis sechs Gratis-Exemplare der Heliogravüre aber erhält der Künstler »Durch einen Vertrag ist das geistige Eigentum hinsichtlich der Vervielfältigung und Verbreitung an ein heliographisches Ge schäft — für einen geringen Betrag — für ein paar Drucke oder gar unter Zuschießung einer Summe seitens des Künstlers über gegangen, an ein Geschäft, das nun in jeder Weise das Kunstwerk auszubeuten sucht. In zahllosen Auflagen werden diese Drucke durch Kunstkommissionärc verbreitet, die selbst reisen oder ihre Reisenden in die kleinsten und entferntesten Orte senden und durch besonders billige Abgabe an die Kunsthändler diese verlocken, speziell diese Kunstblätter zu kaufen, eventuell zu ver treiben. -Wenn an einem wirklichen Kunstblatt eine Buch- oder Kunst handlung den dritten oder vierten Teil des Preises als gebräuch lichen Gewinn für sich in Anspruch nimmt, so bietet der Reisende dem Kunsthändler für die Erwerbung der Heliogravüre den fünften bis sechsten Teil des Ladenpreises, im ersten Falle also 25—33>,g Prozent — für die Heliogravüre aber 50—60 Prozent —, das heißt mit anderen Worten: Kostet ein Kunstblatt 100 ^ für das Publikum, so zahlt der Kunsthändler 75 oder 66^/, das helio- araphische -Kunstblatt- dagegen wird dem Händler nun mit 50—60 Prozent angeboten. d.h. also: für lOO^L, die das Bkatt im Handel kostet, zahlt der Händler nur 40 resp. 50 Nun liegt es auf der Hand, daß der Händler lieber die Hälfte denn nur ein Viertel des Verkaufspreises gewinnen will. -Aus diesem Grunde lediglich sind die Schaufenster der Kunst handlungen mit Heliogravüren angefüllt, aus diesem Grunde legt der Kunsthändler lieber eine Heliogravüre Dem vor, der einen Zimmerschmuck oder ein Hochzeitsgeschenk zu erwerben wünscht, aus diesem Grunde preist der Kunsthändler dem Publikum die schöne, feine, saubere und glatte Ausführung an. Und auf diese Weise erzieht der Kunsthändler unwillkürlich das Publikum für den Geschmack an der Heliogravüre und entwöhnt es von der Er kennung eines wirklich wertvollen Kunstblattes -Der vornehme Kunstvcrlegcr, die vornehme Kunsthandlung, deren es Gott sei Dank ja ganz vereinzelte noch giebt, führen freilich Heliogravüren und Photogravürcn und ähnliche -Kunst blätter» nur dann, wenn sie durchaus verlangt werden — oder führen sie gar nicht. Treten nun die graphischen Künstler, wie ich hoffe, endlich zusammen, so würde zunächst dem Publikum bekannt werden, daß — solche — überhaupt noch existieren, daß es einen Unterschied zwischen einem -Kunstblatt» und einer -Heliogravüre- giebt, und dann wird die Heliogravüre bald an dem Platze stehen, wohin sie gehört, in die verkleinerte Nachbildungsabteilung, in das Buch, in die Mappe, die die Photographieen alter Meister werke birgt und die billig zu haben sind, d. h. zu dem entsprechen den Wert der Heliogravüre, gegenüber dem Kunstblatt, vom Künstler selbst ersonnen, von Künstlcrhand ausgcführt, dem wirk lichen, echten, kostbaren Kunstblatt. -Die Herstellung der Heliogravüre ist Industrie, die Herstellung des Stiches, der Radierung, der Original-Lithographie oder AI- graphie ist Kunst. -Es ist also thatsächlich unlauterer Wettbewerb, eine Heliogravüre für ein Kunstblatt ausgeben zu wollen. Ein solcher Versuch sollte so gut unter Strafe gestellt werden, wie der Versuch, Margarine als Butter zu verkaufen. Sobald gesetzlich festgelegt wäre: -Was ist Kunst?» und -Was ist Industrie in der Kunst?» wären der wirklichen Kunst die Wege gebahnt. Mit einem Schlage wird ein Umschwung erfolgen; der Kunstvcrlegcr und der Kunsthändler, beide würden sofort den Ehrgeiz haben, nur wirkliche Kunstblätter zu führen und zu em pfehlen Herr Professor Mannfeld beschreibt nun die verschiedenen photochemischen Verfahren und fährt alsdann fort; -Die Kunst selbst oder ein Künstler hat freilich nichts damit zu thun gehabt — kein Kunstgehalt, kein Sammlerwert steckt in diesem Blatt verborgen; das Produkt ist im allergünstigsten Falle schlechter gls eine gute Photographie. Es giebt erfolgreiche Leute,