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as 89, 18. April. Nichtamtlicher Theil. 1459 herannahendem Lebensabend fortarbeitcn zu können meint und des halb versäumt, das Geschäft in jüngere Hände hinüberzuleilen, wird traurige Erfahrungen machen. Die zweite Art des Buchhandels, der Verlag, ist in allen Beziehungen gänzlich verschieden von dem elfteren, aber nur der, welcher den Sortimentshandel aus eigener Handhabung kennt, kann ein Verlagsbuchhändlcr werden, wie er cs zum Nutzen der Literatur und zum eigenen Vortheil sein soll." Da Perthes den Sortimentsbuchhandel sechsunddreißig Jahre betrieben hatte, und mit vielen der ersten Gelehrten in freundschaftlichem Verkehr stand, ein reines, wenn auch uicht großes Capital und Credit in der Kaufmannswelt besaß, so glaubte er die Bedingungen ge geben zu sehen, unter denen eine Verlagshandlung mit Erfolg zu führen sei. Nicht vom Zufalle wollte er sich seine Verlagsartikel zu führen lassen in einer Zeit, wo fast in allen Zweigen der Literatur eine schlechte Buchmachcrei herrschte. „Die Nation ist besser, als ihre Schriftsteller, und hat literarische Bedürfnisse, die durch diese keine Befriedigung erhalten." Namentlich auf dem Gebiete der historischen Wissenschaften glaubte er ein solches nicht befriedigtes Bedürfniß zu erkennen. „Die harten Jahrzehcnde, welche die Deut schen durchleiden mußten, und die Seelenerhebung des Jahres 1813 haben, was man früher nur als Sagen und Märchen gehört, zu Fleisch und Blut werden lassen; was andere Zeiten nur aus Dar stellungen der Historiker kannten, hat unsere Zeit wirklich gelitten und gethan, und hat, weil sie selbst eine Geschichte gehabt, auch Sinn für Geschichte bekommen. Größere Fragen, andere und tiefere wie früher, werden an die Geschichte gethan und eine Antwort darauf darf nicht ausbleiben. Mein Beruf nun soll es werden, die Männer, welche solche Antwort geben können, suchen zu helfen, sie zu drängen und zu treiben, das, was sie können, auch wirklich zu thun, und ihnen in allen Dingen, die dem Buchhändler näher liegen, wie dem Gelehrten, förderlich und behülflich zu sein." Das war das Programm, welches Perthes für seine neue Lebensarbeit aufstellte. Cr hatte schon 1816 in Nassau mit Stein den damals eben entworfenen Plan zu einer Sammlung der Quellen der deutschen Geschichte besprochen, und daß später die von Pertz herausgegebenen Nonumeota Oormuuiao llmtoiieir wirklich er scheinen konnten, dazu hatPcrthcs wesentlich mit beigetragen. Aber neben diesem großartig angelegten gelehrten Qucllenwcrke hielt Perthes ein anderes, für die gebildeten Kreise der Nation bestimmtes Geschichtswerk für ein dringendes Bedürfniß. Es sollte die Ge schichte der europäischen Staaten zwar einzeln, aber in steter Rück sicht auf deren Stellung zu einander und auf deren politische Lage in der Gegenwart behandeln. Die Schwierigkeiten dieses groß an gelegten Unternehmens verhehlte sich Perthes uicht. Nachdem in Heeren und Ukert die geeigneten Ncdactcure gefunden waren, galt cs, für die einzelnen Staaten die rechten Männer zu finden und diese zu einem gemeinsamen Wirken zu vereinen. Die Personcnfrage wurde über Erwarten schnell gelöst. Daß sie gelingen würde, daran hatte Perthes trotz der Bedenken seiner Freunde nie gezweifelt, denn ihm war die Gabe verliehen, „Zerstreutes zu einigen, Fernstehende zusammen zu bringen und Mißklänge des Herzens und Geistes unter redlich Wollenden auszugleichen". Die Vorbereitungen zu der Herausgabe der europäischen Staa- tcngcschichte machten den Kern der Thätigkcit aus, welche Perthes während der ersten Jahre seines Aufenthaltes in Gotha zur Grün dung eines bedeutenden Verlagsgeschäftcs aufwenden mußte. Da neben unterhielt er die sich immer mehr ausbreitenden Verbindungen mit Schriftstellern und Gelehrten, regte Andere zu Unternehmungen an, Pflegte den brieflichen Verkehr mit den Sortimentshändlcrn und suchte deren Zutrauen und guten Willen zu gewinnen. Er blieb sich der Gemeinschaft mit Denen, die gleichen Beruf mit ihm hatten, stets bewußt und wünschte mit den College» im persönlichen, wo möglich in freundlichem Verkehr zu sein und zeigte deshalb jedem Sorlimentsbuchhändler einzeln und jedem eigenhändig seine neue Stellung an. „Es war freilich eine herculische Arbeit, zweihundert- undscchs Briefe habe ich geschrieben. Am Ende wäre ich doch fast verrückt dabei geworden!" Mit diesen Vorbereitungen für ein neues Wirken fällt die gänzliche Lösung seines Verhältnisses zu der.Hamburger Handlung zusammen. Die Auseinandersetzungen mit seinem Schwager und Handlungsgenossen boten nur eine Schwierigkeit, nämlich die, daß Jeder durch die Vorschläge des Anderen sich in zu großen Vortheil gesetzt glaubte. Als die geschäftliche Trennung vollzogen, schrieb Perthes an Besser: „Wir haben, lieber Bruder, fast ein Viertel jahrhundert mit einander gearbeitet. Auch nicht ein einziges Mal haben wir über Mein und Dein eine verschiedene Ansicht gehabt, auch nicht ein einziger Augenblick ist während der langen Zeit da- geweseu, in welchem wir es für möglich gehalten hätten, jemals wankend werden zu können in dem Vertrauen zu einander. Laß uns Gottchafür danken, daß das Vertrauen während des Scheidens ebenso rein gewesen ist, wie während des gemeinsamen Lebens. Nicht Vielen wird solches Glück in solchem Grade zu Theil." Je mehr Perthes seine Theilnahme als Verleger historischen Werken zuwcndete, je mehr fühlte er den Mangel allgemeiner historischer Kenntnisse. „Herangewachsen ohne Schule," schrieb er an den Historiker Pfister, „früh genöthigt, mir mein Brod selbst zu verdienen, dann im Geschäftstumult umgetriebcn, von Sorge und Noth gedrängt, bin ich auch in der Geschichte weniger unterrichtet, als die meisten Menschen. Mit der Perthes eigenthümlichen Be harrlichkeit arbeitete er nun an der Ausfüllung jener Lücken, indem er zunächst einen Ueberblick über die Geschichte der letzten drei Jahrhunderte zu gewinnen suchte und dann die alte Geschichte im Einzelnen durcharbeitete, an welche Studien sich die Lectüre hervor ragender Werke über Kirchengeschichte und neueste Geschichte an reihte. Aus den iu dem dritten Theile der Biographie mitgctheilten Briefen geht hervor, daß kein nur irgendwie namhaftes Buch von allgemeinem Interesse von Perthes ungelesen blieb und daß selbst gelehrte Werke von ihm mit einem Eifer studirt wurden, welcher für sein, mit dem Alter immer mehr wachsendes Streben nach Wissen und Erkenntniß zeugt. Die lebendige Theilnahme, welche Perthes neben dem poli tischen auch dem kirchlichen und religiösen Leben der Nation zuwen dete, führte ihn, der gewohnt war, sein geistiges Leben in unmittel bare Beziehung zu seinem Berufe zu bringen, naturgemäß auch dem theologischen Verlage zu, zumal ihm die persönliche Bekannt schaft mit vielen bedeutenden Theologen Anknüpfungspunkte genug bot. An Neander's großes kirchengeschichtliche Werk, welches nach des Verfassers eigener Aeußerung durch Perthes' Anregung ins Le ben gerufen wurde, knüpfte sich jene ehrwürdige Reihe theologischer Werke und Zeitschriften, welche dem in seinem Geiste fortgeführten Verlage bis heute die hervorragende Bedeutung auf diesem Gebiete gesichert und erhalten haben. Auf Theologie und Geschichte beschränkte Perthes dauernd seine Thätigkcit als Verleger; außerhalb dieses Kreises fühlte er sich fremd und nur ganz ausnahmsweise widmete er sich Unterneh mungen auf andern Gebieten der Literatur. In dieser Beschränkung sammelte er seine Kraft. Und wie gewaltig diese Kraft sein mußte, wird Jeder wissen, der Perthes' Verlag kennt und weiß, wie mühselig auch schon zu jener Zeit der rein technische Theil dcs Verlagsbctriebes war, den Perthes Jahre hindurch ganz allein, ohne Gehilfen, selbst ohne Schreiber besorgte. Erfährt man nun noch, daß er allein im Laufe von vier Jahren 500 Verlagsanerbietungen zurückgewicsen und etwa 2000 dergleichen unter seinen Papieren sich vorfanden, so genügt das wohl zur Beurtheilung des Aufwandes von Kraft 196*