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8792 Kiinftig erscheinende Bücher. ^ 28S, 13 Oktober 1904. T> Wiener VerckA, Wien unä Keip2i§. Kan! 8ckönkeni-, «ovsns». 2 ^ «.a., z°b. s ^ ^ Vas Glückskind. Bei der Pflegefrau auf dem Laude wuchs Kleinlieschen auf. Wie mager das siebenjährige Körperchen war; was für ein dünnes Hälschen; und darauf ein welkes Köpfchen; und das fahlblonde, schüttere Haar gab ein Zöpfchen so kurz und dünn, wie ein Vogel- schweifchen zur Mauserzeit. Das dünne Röcklein hatte es schmutzig und schleißig und die Händchen rauh und blau und schwielig von der Kälte, vom Wassertragen und Reisigsammeln für die alte Pflegefrau. Ihre zwei weißen Katzen streichelte die Alte und küßte sie sogar. Wenn sie es etwa leugnen will — Nachbarsleute haben es gesehen. Darum gediehen sie so wohl und fett, daß sie sogar auf das Mausen vergaßen. Abends nach der Milch nahm sie die Pflege frau init sich ins Federbett — die Kätzchen, die süßen. Das eine legte sie sorgsam zu Häupten, das andere zu Füßen. Das Kind kroch unter die Stiege; dort im Winkel neben der Hühnersteige O Lieschen, warum bist du kein weißes Kätzchen geworden? Wenn der Postbote nicht pünktlich am 'Monatsersten das Pflegegeld brachte, ging die Alte murrend herum und hob gegen „O du böses Pflegekind!« Ging er auch am zweiten Tage mit seiner großen, ledernen Botentasche am Häuschen vorüber, dann spreizte sie grimmig die knochigen Fäuste in die Hüften und fuhr Lieschen an: „Ungeratenes Kind! Was ist mit dir! Du wirst ja mit jedem Tage böser!" Und es bekam an dem Tage zur Strafe nichts zu essen. Kam der Bote auch am dritten Tage nicht, dann fuhr die Alte wie ein Satan in der Stube herum, griff nach Lieschens Zöpfchen und zog es hin und her wie ein Uhrenpendel: „Noch nie Hab' ich so ein böses Pflegekind gehabt! Und hast du dich bis morgen früh nicht von Grund auf gebessert, dann" — nun kam die größte Drohung — „schicke ich dich in die Stadt zu deiner Mutter Schneiderin heim!" Bei dieser Drohung wurde es Kleinlieschen immer so wohl und warm. Das wollte es ja. Es sehnte sich ja so sehr nach der Mutter, die es niemals gesehen. Viele Nächte lang sehnte es sich und träumte es unter der Stiege von ihr, und faltete die schwie ligen Händchen und betete, nur der Postbote solle kein Geld mehr bringen, damit es endlich heimgeschickt würde. Aber am vierten Morgen kam er immer so gewiß, wie der Tag nach der Nacht und ließ ein bischen Geld und viel Branntweingeruch in der Stube zurück; dann war vom Heimschicken nicht mehr die Rede. Aber Kleinlieschens Herzchen schrie nach der Mutter. Es dachte nach, was es recht Böses tun könnte, um heimgeschickt zu werden. Da nahm es ein Holzscheit und hieb damit auf die weißen Kätzchen los. Als das die Alte sah, wurden ihre Augen groß wie Teller und fingen im Kopse wie Windrädchen zu rollen an. Sie kniff ihre dürren Lippen grausam zusammen, bog Klein lieschen über das Knie und schlug es mit dem Holzscheit immerzu. Dabei fragte sie immer: „Wirst du noch einmal die armen Tierlein schlagen noch einmal die armen, armen Tierlein " Denn sie hatte Mitleid mit den Tieren. Aber so weh die Schläge taten, und so hoch die blutigen Striemen schwollen, Lieschen sagte immer: „Ja noch einmal schlag' ich sie und noch ein mal," damit es ja gewiß heimgeschickt werde; denn sein Herzchen schrie nach der Mutter. Die Alte schlug, bis ihr vor Müdigkeit das Holzscheit aus denn Händen fiel. Dann humpelte sie über die Gasse zum Nachbar hinüber, der morgen mit jungen Schweinchen in die Stadt zu Markte fahren wollte. Den bat sie, er möge das Kind mit den Schweinchen auf den Wagen packen. Dann ging die Alte schlafen mit den Kätzchen, den süßen; das eine legte sie sorgsam zu Häupten, das andere zu Füßen. Lieschen kroch in die Streu unter der Stiege, schlang feste die Ärmchen um das schmutzige Strohkissen und preßte und drückte es inbrünstig an sich; gerade so und noch fester wollte sie morgen Muttern umhalsen und sich auch einmal kosen und streicheln und küssen lassen, wie die weißen Kätzchen der Pflegefrau. Der lange, dürre Schneider Ziegenblüh hüpfte fröhlich in der Stube herum. Cr hatte alles, was ein Schneider zu seineni Glücke braucht. Am Tische beim Strickstrumpf saß die Seinige. Sie war wohlgestaltet, voll und üppig und das paßt so einem Schneider. In der Wiege rechter Hand lag ein jähriger, winziger Ziegenblüh, aber so klein er war, er meckerte schon beinahe wie der Vater. Im Gitterbettchen linker Hand lag das fünfjährige Annchen. Das hatte erst eine schwere Krankheit durchgemacht und war nun wieder im Genesen. Und beide Kinder glichen ihm, dem „Hab' alles, was ich begehr'," meckerte er in Lust, hob den Kleinen aus der Wiege und schwang ihn feierlich vor seiner Alten auf und nieder: „Hier Hab' ich einen Er!« Dann hüpfte er mit seinen langen Spinnenbeinen an das Gitterbett und hob das genesende Ännchen heraus: „Hier Hab' ich eine Sie bin der Glücksschneider Und die Schneiderin sah wonnesam von ihrem blauen Strick strumpf auf, ließ eine Masche fallen und lächelte in Züchten. Da vffilele sich ^ein ^ wenig die Tür. Ein Bauer, der mit auf eine Vergütung zu warten. Nun ließ Frau Meisterin nicht bloß eine Masche, sondern gleich den ganzen Strickstrumpf fallen. vor Aufregung Daumen und Zeigefinger aneinander zu reiben, als ob er einen viel zu dicken Faden zum Einfädeln hätte. „Der Gerechte falle siebenmal des Tages," begann schluchzend die Schneiderin ihre Beichte. Sie sei in einer schwülen Kirchweih sommernacht gefallen .... auf dem Heimwege mit einem Sol daten sei das Malheur passiert .... achtzehn Monate, bevor sie die werte Bekanntschaft des Meisters Ziegenblüh zu machen die Ehre gehabt. Sie habe ihm das Malheurkind verschwiegen, weil sie vom Herrn Meister Ziegenblüh jede, auch die kleinste Unan nehmlichkeit fernhalten wollte. Der Schneider fuhr in der Stube herum wie der Teufel im Weihbrunnkessel und stieß in langgczogenen Tönen höchster Er kenntnis immer nur die Worte hervor: „So, so . . . nun geht die Uhr recht .... so, so ... so, so . . ." Er stellte sich keuchend vor dem kleinen Eindringling auf, wie ein böser Ziegenbock, der zustoßen will, und nagte an der Unter lippe, daß sein Geißbärtchen wagrecht stand. Dann drehte er sich auf dem Absatz herum, riß seine Schildkappe vom Nagel, stürzte aus der Stube und schlug die Tür so heftig hinter sich zu, daß Lieschen von dem Winde beinahe umgeblasen wurde. Es stand an den Pfosten der Stubentür gelehnt und hatte einen Finger in den Mund gesteckt; denn es war todverlegen und brachte kein Wörtlein heraus, weil die Mutter so unfreundlich schaute. Aber endlich faßte Lieschen doch Mut und sagte leise: „Mutter!" „Du Malheurkind, nenn mich nicht Mutter," fuhr die Schneiderin in die Höhe. „Untersteh dich noch einmal, dann schlag' ich dich tot!" Sie riß Lieschen den Finger aus dem Munde und schlug es