Volltext Seite (XML)
Erfahrungen übereinstimmend unterzeichnen würde, gipfelt in der Frage: »Woher soll nun der Sortimentsbuchhandel die Kraft nehmen, die mühsame Vcrtriebsarbeit durch Ansichtsversendung durchzuführen, wenn ihm, wie eben gezeigt, die Quellen, aus denen er Verdienst schöpfte, gänzlich oder zum großen Teile entzogen werden?« An dem Nutzen, der dem thätigen Sortimenter zufallen sollte, haben seit Jahren nicht wenige Leute teil, deren buchhändlerische Bemühungen darin bestehen, daß sie mit Hilfe eigener oder fremder Verlangzettel die Bestellungen ausführeu, welche ihnen durch die Ankündigungen der Ver leger und die Vertriebsmanipulationen des wirklichen Sorti mentsbuchhandels zufließen. Wenn in dem Jahresbericht des Vereins der Buchhändler zu Leipzig (Börsenblatt Nr. 41 vom 19. Februar 1902) gesagt wird: »Im Gegensätze zu anderen kaufmännischen Erwerbszweigen werden im Sortimentsbuch handel nicht die kleineren Geschäfte von den großen aufgesogeu, sondern die vielen kleinen Geschäfte entziehen den mühsam in langer Zeit aufgebauten großen Geschäften die Lebenskraft«, so hat er wohl die zahlreichen Firmen im Auge, die zwar das Adreßbuch als Angehörige des Buchhandels bezeichnet, die aber gar nicht das zum Betriebe des Sortimentsbuchhandels unbedingt notwendige Handwerkszeug, die Hinrichsschen Bücherkataloge, führen. Eine Besserung der Beziehungen zwischen Verlag und Sortiment dürste wesentlich von der Fürsorge des Verlages abhängig sein, daß dem Sortimenter die Früchte seiner Be mühungen um den Vertrieb neuer Bücher auch wirklich zu fallen und daß ihm auch beim Bezug eingeführter Bücher ein Nutzen gesichert wird, der ihn mit entschädigt für den Auf wand an Mühe und Kosten beim Novitätenvertriebe. Seit Einführung der Gewerbefreiheit entfernt sich der Verlag mehr und mehr von diesem früher als selbstverständlich gewahrten Grundsätze, unter dessen Herrschaft die Geschäfts beziehungen zwischen Verlag und Sortiment sorgfältig gepflegt wurden, beiden Geschäftszweigen zu hohem Ansehen beim Publikum verhelfend. Und wenn der oben erwähnte Jahres bericht weiter sagt : »Die Verleger werden sich ernstlich fragen müssen, ob durch eine derartige Ueberzahl ihr Interesse wirklich gefördert wird, ob nicht die Zuerkennung der Eigen schaft als Buchhändler mit dem Anspruch auf den üblichen Buchhändlerrabatt einer Einschränkung bedarf«, so sieht man hier die aus dem jetzigen Geschäftsbetriebe ge wonnene Ueberzeugung der hervorragendsten Ver treter des deutschen Verlagsbuchhandels in völliger Uebereinstimmung mit den längst gehegten Wünschen der — wenn ich mich dieses Ausdrucks bedienen darf — Sortimenter alter Schule. Ein anderer Faktor, der viel dazu beigetragen hat, die Leistungsfähigkeit des Sortiments zu untergraben, besteht in den zwar schon häufig beklagten, aber in ihrer Wirkung doch nicht genügend beachteten Anerbietungen von Preisnachlaß oder anderen Vorteilen beim Bezug neuer Bücher dem Publikum gegenüber. Statt das Publikum durchaus daran zu gewöhnen, sich bei Bücherbedarf an seinen nächsten Sor timenter zu wenden, wird ihm in den verschiedensten Ton arten klargelegt, daß andere Bezugsquellen vorteilhafter seien. Wenn ich zunächst an die Ankündigungen der Warenhäuser und die Mischkataloge mancher Antiquare denke, so giebt es doch auch Anzeigen, die in nicht ziffernmäßiger Weise Vor teile anbieten, die das Publikum bei seinem nächsten Sorti menter zu erhalten nicht erwartet. Wenn z. B. mitten in einer Tafel von Titeln neu erschienener Bücher, die eine humori stisch-satirische Wochenschrift zu bringen pflegt, ständig sich eine Anzeige befindet: »Alle Bücher, neu und antiquarisch, Börsenblatt sllr den deutschen Buchbandel. 69. Jahrgang. liefert schnellstens und billigst die N. N.'sche Buchhandlung. Neue Bücher portofrei«, so wird das Publikum zu der Mei nung angeregt: »billigst« muß doch billiger sein als anderswo. Zeitschriften, deren Verbreitung durch den Sortimentsbuch handel erfolgt, sollten doch Inserate, durch die ihre Ver breiter gezwungen werden, ihrer eigenen Konknrrenz Vorschub zu leisten, zurückweisen. Wenn dem Publikum Vorteile an geboren werden, warum sollte es dieselben nicht wahrnehmen? Anderseits weiß ich — und zweifellos werden manche Be rufsgenossen dieselbe Wahrnehmung gemacht haben — aus eigener Erfahrung, daß das Publikum Bücher, die es zu be sitzen wünscht, kauft, auch wenn ihm kein Rabatt gewährt wird; hier ein Beispiel aus letzter Zeit: Am 5. November 1901 erhielt ich von einem auswärtigen Kaufmann eine direkte Bestellung auf zwölf verschiedene Hefte meiner Samm lung »Was willst du werden?«, die ich unter Nachnahme von 6 ^ und 45 ch (Postspesen) ausführte. Am 2l. No vember 1901 bestellte derselbe Kaufmann weitere 13 Hefte und fragte an, ob er denn nicht Rabatt erhielte. Ich teilte ihm mit, daß ich zur Gewährung von Rabatt nicht imstande wäre, und lieferte unter Nachnahme von 6 50 H -s- 45 H — 6 95 H. Am 12. Dezember bestellte er noch 9 Hefte und machte keine Rabattansprüche, sondern löste die Sendung mit 4 95 H Nachnahme ein. Wenn es auch Thatsache ist, daß die Vertriebsthätigkeit des Sortimenters nicht überallhin wirken kann, so sollte doch der Verleger nie als Konkurrent des Sortimenters auftreten, indem er dem Publikum bei direktem Bezüge besondere Vor teile anbietet. Einmal kann es doch dem Verleger nur er wünscht sein, bei den an ihn direkt gelangenden Bestellungen den vollen Ladenpreis und damit gewissermaßen einen Teil seines Aufwandes für Ankündigungen erstattet zu erhalten; dann aber sollte der Verleger bedenken, daß allein das Sor timent indirekt die nicht geringen Herstellungskosten der Bücherkataloge von Hinrichs und Kayser trägt*), auf deren täglicher fleißiger Benutzung wesentlich die Zuführung der Bestellungen an den Verlag auch dann noch beruht, wenn schon längst die Anzeigen des Verlegers nicht mehr wirksam sind. Dazu, daß die Verleger mit den Erfolgen ihrer Unter nehmungen oft nicht zufrieden sein können, mag endlich auch die Eigenart des buchhändlerischen Ankündigungswesens Ver anlassung geben, dessen Reformbedürftigkeit anerkannt ist, und die auch in einer Reihe von Aufsätzen, die durch einen Artikel des Herrn Emil Strauß in Bonn angeregt war, Aus druck gefunden hat. Die Möglichkeit, ein Anzeigemittel zu schaffen, das bessere Erfolge für Verlag und Sortiment bringen dürfte, erblicke ich in der gemeinsamen Herausgabe eines fortlaufenden, für die Hand des gebildeten Publikums bestimmten und deshalb mit erläuternden kurzen Anmerkungen unter den einzelnen Titeln — soweit nicht schon diese genügend über Inhalt und Tendenz des Buches orientieren — versehenen, systematisch geordneten Bücherkataloges durch diejenigen Verleger und Sortimenter, die noch jetzt die Ansicht hegen, daß beide Zweige des Buchhandels in der Förderung ihrer Interessen auf einander angewiesen sind. Beim Betreten dieses Weges wäre ein Umsturz der altbewährten Organisation des Buchhandels nicht erforderlich. 6onooräia parvas rss orssouni, äisooräia waxiwas äilabuntur! Leipzig, im Februar 1902. Paul Beyer. Dieser Artikel war bereits geschrieben, als Herr 0. N. im Börsenblatt Nr. 46 vom 25. Februar 1902 sich selbst als *) Wie wird das bei den 200 Agenturen des Herrn 0. N. werden? 254