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16136 vörsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 294, 18. Dezember 1912. den deutschen Druckschriften sammeln, absolute Vollständigkeit ist weder erreichbar noch wünschenswert, und sie soll zweitens fremdsprach liche Druckschriften in genügender Auswahl enthalten, da sie in erster Linie Studienbibliothek und die Wissenschaft international ist. Es ist klar, daß von den beiden Seiten das Wort Nationalbibliothek verschie den aufgefaßt wird. Die Buchhändler verstehen darunter eine zeitlich beschränkte, in dieser Beschränkung aber lückenlose Sammlung der reichs- und auslandsdeutschen Bücherproduktion, Harnack eine viel Buchdrucks. Entfernt man dieses Mißverständnis, so verschwinden die Differenzpunkte von selbst. Es gibt keine doppelte Strömung im Börsenverein, eine, die die Bedeutung der Königl. Bibliothek ignoriert, und eine, die sie zu schätzen weiß. Der Buchhandel steht vielmehr allen Bibliotheken als seinen Kunden freundlich gegenüber, ganz besonders aber der Königl. Bibliothek, von der er weiß, daß sie dank der Einsicht und Munificenz der Preußischen Regierung, die des sächsischen Bei spiels selbstverständlich nicht erst bedurft hätte, ein sehr guter Kunde ist und immer mehr werden wird. Tritt diese Munificenz, wie zu hoffen ist, in noch höherem Maße als bisher schon hervor, so werden die Leistungen der mustergültig geleiteten Bibliotheken in gleichem Verhältnis gesteigert werden können. Sie sind jetzt schon bedeutend genug und werden von Harnack im ersten Teile seiner Schrift geschickt und beredt dargelegt. Hervorzuheben wäre etwa für den Nicht-Berliner der auswärtige Leihverkehr, von dem 1911/12 etwas über ein Sechstel der überhaupt versandten Bücher in das nichtpreußische Deutschland ging, gewiß eine erhebliche Unterstützung; ferner die vielbenutzte Aus kunftsstelle der deutschen Bibliotheken. Hierbei geschieht die Annahme der Wünsche in Berlin, ebenso die Versendung der Verlangzettel und der Bescheid an den Petenten von dort aus, während die eigentlichen Nachforschungen von den Beamten der angeschlossenen Bibliotheken be sorgt werden. Etwas weniger Eingang haben bisher die Berliner Titel drucke mit Ausnahme der Universitäts-^und Schulschriften gefunden. Kann man also dem Herrn Leiter der Königl. Bibliothek in seinen diesbezüglichen Darlegungen fast rückhaltlos zustimmen, so wird man das, was in seinen folgenden Bemerkungen nicht immer gleich glücklich erscheint, einer begreiflichen und gewiß vorübergehenden Stimmung zugute halten, die dadurch entstehen mußte, daß ein Teil von dem, was er für Berlin erstrebt, in anderer Weise, an einem andern Orte und vielleicht etwas früher als in Berlin sich verwirklichen wird. Harnack hält, um die Königl. Bibliothek zu einer Nationalbiblio thek in seinem Sinne auszugestalten, einen Zuschuß von jährlich 80—90000 Mark für ausreichend. Diese Summe soll das Reich an Preußen zahlen — ein bisher noch niemals und von keiner Seite Ver lautbartes Verlangen. Und wie — wenn das Reich Bedingungen an seine Geldunterstützung knüpfte, Einflußnahme auf die Verwaltung, bei gelegentlicher Neubesetzung Ernennung eines bayrischen Leiters, eines württembergischen Abteilungsvorstandes oder dergl.? Man braucht nur flüchtig in eine solche Perspektive hineinzublicken, um Harnacks Vorschlag als für den vollberechtigten preußischen Stolz unannehmbar zu erkennen. Nicht weil das Reich den ursprünglichen sächsischen Plan abgelehnt hat, sondern well es der Würde Preußens und der seit Bismarck festgehaltenen Gepflogenheit entspricht, muß die Frage der Finanzierung der Königl. Bibliothek eine innerpreußische Angelegenheit bleiben und wird bei dem Ansehen und der Tatkraft des gegenwärtigen Generaldirektors durch die preußische Regierung eine völlig befriedigende Lösung erfahren. Ist oben mit und nach Har,lack das Verdienst der Königl. Biblio thek hervorgehoben worden, so muß doch auf einen Vorzug hinge wiesen werden, den die Deutsche Bücherei immer vor der Königl. Bibliothek auch nach der gewünschten Ausgestaltung behalten wird: den der Präsenzbibliothek. Beispielsweise kann die stürmisch benutzte Berliner Ausleihebibliothek einen Zeitschriftenlesesaal, an dessen Wän den die beiden letzten Jahrgänge von etwa 7000 deutschen Zeitschriften jederzeit zu unbeschränkter Einsichtnahme bereitstehen, während die noch unkündbaren Nummern des laufenden Jahrgangs aus einem darunter oder daneben gelegenen Raume auf Wunsch sofort und ohne Förmlichkeit herbeigeholt werden, niemals haben. Ferner wird die Deutsche Bücherei die Mehrzahl ihrer Bände ihren Lesern noch nach Jahrzehnten etwa in der Verfassung darbieten können, wie sie die wird nicht an einer so vornehmen und geschichtlich bedeutsamen Stelle stehen wie die Königl. Bibliothek, aber es wird, was recht günstig ist, dem Leipziger Buchhändlerviertel benachbart sein und dadurch den Verkehr mit dem Buchhandel angenehm erleichtern und abkürzen. Daß die Benutzung der Deutschen Bücherei für das Publikum völlig kostenlos sein wird, sei nur nebenher erwähnt. Die kleine spätgeborene Schwester in Leipzig entzieht dem großen und reichen Bruder in Berlin keinen Pfennig von seinem Erb und Eigen, kein Titelchen seines wohlerworbenen Ruhms. Dank und An erkennung ihm gegenüber sind bei ihr nicht nur die erste, sondern die einzige Empfindung. Von ihr aus wird das Verhältnis zu ihm gewiß jederzeit geschwisterlich, friedlich und konkurrenzlos sein und bleiben. Berlin, den 6. Dezember 1912. Sr. Exzellenz dem Wirklichen Geheimen Rat Herrn Professor v. Harnack Berlin. Ew. Exzellenz hatten die Güte, mir Ihre Broschüre über die Königl. Bibliothek und die Deutsche Bücherei zu zusenden. Nachdem ich mit großer Spannung das Heftchen durchgelesen habe, beeile ich mich, Ihnen meinen verbind lichsten Dank für die freundliche Übersendung auszusprechen. Der Erste Direktor der Königl. Bibliothek, Herr Geheim rat Schwenke, hatte mir bereits vor Erhalt der Broschüre über deren Inhalt und den mit ihr verfolgten Zweck Er klärungen gegeben, und auch nach der Lektüre Ihres Heftchens bin ich über das Ziel, das Sie mit der Broschüre zu erreichen suchen, nie im unklaren gewesen. Ich konnte auch gar nicht im Zweifel sein, da sowohl Sie als auch die maßgebenden Persönlichkeiten im Kultusministerium mir stets die Zu sicherung gaben, der Deutschen Bücherei wohlwollend gegen überzustehen und das neue Unternehmen des Börsenvereins weitestgehend fördern zu wollen; diese Zusicherungen sind ja auch durch die Entsendung des Direktors an der Königl. Bibliothek, Herrn Prof. Paalzow, zur tatkräftigen Mit arbeit im geschäftsführenden Ausschuß und am Ausbau der Deutschen Bücherei bereits betätigt worden. In der Tagespresse ist nun freilich Ew. Exzellenz Broschüre anders verstanden worden, und der Artikel des Berliner Tageblattes unter dem Stichwort »Harnack gegen Leipzig» hat bei vielen die Meinung entstehen lassen, daß eine Herabsetzung der Deutschen Bücherei gegenüber der Königl. Bibliothek die von Ihnen verfolgte Absicht gewesen sei. Natürlich sind auch manche Stellen der an der Gründung der Deutschen Bücherei beteiligten Sächsischen Behörden durch die Broschüre und deren Aufnahme durch die Presse beunruhigt, ganz besonders aber weiteste Kreise des Buchhandels, speziell des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler. Hier er blickt man eine übelwollende, unfreundliche Kritik des vom deutschen Gesamtbuchhandel mit großer Freude und Genug tuung begrüßten neuen Unternehmens des Börsenvereins um so mehr, als gerade jetzt der Börsenverein durch die Wahl eines Direktors der Königl. Bibliothek in den geschäfts führenden Ausschuß zu erkennen gegeben hatte, wie sehr ihm daran lag, neben der Königl. Bibliothek Aufgaben zu erfüllen, die im Interesse der deutschen Wissenschaft, der deutschen Bibliographie und des deutschen Buchhandels liegen und allen Beteiligten zugute kommen müssen. Ich persönlich bin über Ew. Exzellenz Pläne und Ge sinnungen vollständig klar und bedarf für meine Person keiner erneuten Darlegungen derselben, aber ich wäre Ew.