Volltext Seite (XML)
14288 vvrsenvlatt f. ». Ltsi-n. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 265, 18. November 1912. selbst gelesen hatte. Gewiß wird auch heute noch jeder, der seinen Beruf ernst nimmt, darnach trachten, sich nach Möglichkeit mit den wichtigsten Neuerscheinungen vertraut zu machen, aber wie weit ge lingt ihm dieses noch? Bei der Hochflut unserer belletristischen Literatur ist's kaum möglich, alle bedeutenderen Erscheinungen des vergangenen Jahres selber kennen zu lernen, ganz unmöglich aber ist es, die oftmals erst im letzten Augenblick zur Weihnachtssaison erscheinenden Werke genauer anzusehen. Täglich schwellen Zettel paket und Börsenblatt stärker an, täglich stellt das laufende Geschäft höhere Anforderungen an die Arbeitskraft des Prinzipals, wie auch der Gehilfen, so daß der schlimmste Bücherwurm des Abends völlig kuriert ist und miide und matt in seine Klause zieht. Ja, da muß man denn schon zu den fatalen Eselsbrücken der Nezensionen seine Zuflucht nehmen, man mag wollen oder nicht, und dann und wann passiert's wohl gar, daß man dennoch kaum imstande ist, einem Kunden die gewünschte Auskunft zu erteilen. Ganz ver kehrt wäre es nun, wenn einer es versuchen wollte, sich gegen die hcrcinbrechende Büchcrflut zu stemmen, er würde gar bald von der Konkurrenz erdrückt sein, denn unser Publikum ist heute so ver wöhnt, es verlangt direkt, daß ihm stets das »Neueste« vor gesetzt wird. Und doch, wie manches Buch bleibt trotzdem im Schrank stehen, nur weil wir ihm im rechten Moment nicht einige freundliche Worte mit auf den Weg geben konnten. Da möchte ich nun die Herren Verleger der belletristischen Literatur doch darauf aufmerksam machen, daß sie es in der Hand haben, dem Sortiment hier hilfreich zur Seite zu springen, indem sie kein Buch hinausscnden, dem sie nicht zwei oder drei zuverlässige Nezensionen bcigefügt haben. Wie leicht läßt sich solches allsführen, indem man nur deu schützenden Papierumschlag damit bedruckt, wie es ja z. B. Lange- iviesche, Meyer L Jessen und einige andere bereits seit langem tun. Man sollte meinen, diese Idee bräche sich ganz von selbst Bahn, aber leider ist's durchaus nicht au dem, nein, im Gegenteil, hier und da läßt mancher diese gute Gepflogenheit ganz grundlos wieder ein- schlafcn. Ich denke hierbei an Fischers Nomanbibliothek, die ja früher stets eine gut gewählte Bemerkung auf dem Umschlag trug, heute aber statt dessen ein allerdings sehr geschmackvolles Titelbild zeigt, das jedoch nur recht selten vom Publikum gewürdigt wird. Nicht zu empfehlen sind übrigens Streifbänder, die das Buch so fest umklammern, daß man es nur öffnen kann, nachdem man das Streifband zerrissen hat. Wer sich gar nicht entschließen kann, das Schutzkleid seiner Verlagskinder mit einigen empfehlenden Worten zu versehen, der drucke doch 2 oder 3 Rezensionen aus namhaften führenden Zeitschriften (wie Kunstwart, Türmer, Literarisches Echo usw.) mit Quellenangabe auf einem besonderen Zettel ab und lege ihn dem Buch bei. Noch empfehlenswerter wäre es, dieses Blatt hinten in jedes Buch cinzuheften. Es ist ja ohnehin allgemein Brauch, hier einige Anpreisungen von weiteren Werken des betreffenden Verfassers auzubringen. Der Verleger meint bisher genug getan zu haben und hält eine Anpreisung des betreffenden Werkes gerade hier für überflüssig, weil er glaubt, der Kunde lese diese Notizen erst nach der Lektiire des Buches. Wer aber selber im Sortiment tätig war, weiß sehr wohl, wie oft der vorsichtig wählende Käufer gerade diese Anzeigen burch- blättcrt und es jedesmal sehr bedauert, wenn er hier just über das Gesuchte nichts findet. Ein Sortimenter. In der Vossischen Ztg. vom 9. Nov. d. I. ist ein »Lob der deutschen Verleger« übcrschricbener Aufsatz von Stefan Zweig zum Abdruck gebracht, den wir hoffen in Kürze ganz oder im Auszug den Lesern Mitteilen zu können, da er nicht nur eine unbe dingte Anerkennung der kulturellen Bedeutung einzelner hervorra genden deutschen Verleger enthält, sondern dem Streben der All- g e m e i n h e i t des Verlags gerecht zu werden sucht, also auch jener, die, getragen von dem Wunsche, auf ihre Weise der Kunst zu dienen, den Erfolg nicht an sich zu fesseln wußten. Ehe wir aber näher auf diesen Artikel eingehen, möchten wir einige auf das Sortiment be zügliche Sätze herausgreifen, dem der Autor nicht das gleiche gute Zeugnis wie dem Verlag ausstellt, wenn er auch, wie er sagt, sich hüten wirb, »es mit dieser wichtigen Korporation zu verderben«. »Hier fehlt noch«, schreibt Zweig, »die künstlerische Erziehung zum Kulturbcwußtsein, und es sind die wenigen Buchhändler doppelt zu begrüßen, die den inneren Wert des Buches als Faktor der An preisung und Empfehlung eiubeziehen. Aber das Publikum, immer besser orientiert durch die äußere und innere Schönheit, die es heute dank den großen Verlegerleistungcn für billiges Geld haben kann, wird sich nach und nach doch all das Richtige und Bedeutsame er zwingen, das für die von (!) soviel Mühe und Geschmack geschaffen worden ist.« Wenn man der Tätigkeit des Sortimenters gerecht werden will, so darf nicht vergessen werden, daß dessen Wille und Absichten nach außen hin viel weniger in Erscheinung treten, als die des Verlegers, weil er den Kreis seiner Aufgaben nicht so umgrenzen und seinen Willen nicht in derselben Reinheit zum Ausdruck bringen kann, wie dies bei seinem Verlcgerkollegen der Fall ist. Der Sortimenter ist vielmehr sowohl vom Verleger wie vom Publikum abhängig, und wenn auch keine Verpflichtung für ihn besteht, sich für die Werke eines Verlegers zu verwenden, so ergeben sich doch aus seinem Ab- hä'ngigkcitsverhä'ltnis zum Publikum so viele Bindungen gegenüber dem Verlage, daß auch in dieser Richtung seine Freiheit beschränkt ist. Vor allem aber hat er mit dem Publikum selbst zu rechnen, dessen vielseitigen Wünschen und Anschauungen er schon deswegen gerecht werden muß, weil ihm die lokale Beschränkung nur in ganz wenigen Fällen gestattet, über einen bestimmten Kreis hinauszugehen. Das Feld des Verlegers ist die Welt, das Feld des Sortiments in den meisten Fällen durch das Weichbild der Stadt begrenzt. Dazu kommt, daß die Ungleichheit der Grenzen dieser Bewegungsfreiheit im umgekehrten Verhältnis zu der Zahl der Bücher steht, für die der eine und der andere Teil einzutreten hat: auf der einen Seite höchstens einige Dutzende, auf der anderen wenigstens cben- soviele Tausende. Und so sehr auch der Sortimenter sich mühen mag, die Fülle der für ihn und seinen Abnehmerkreis in Betracht kommenden Erscheinungen zu beschränken und sich mit einer Aus wahl zu begnügen, so wird er doch Hunderte von Büchern nicht ab weisen können, weil sich das Publikum dafür nicht abweisen und noch weniger zu vielleicht weit besseren Werken hcrüberziehen läßt. Was aber die Stellung des Sortimenters noch schwieriger macht, ist der Umstand, baß es heute auch dem eifrigsten Leser und gewissenhaftesten Geschäftsmaunc nicht mehr möglich ist, sich in aus reichendem Maße auf dem Büchermärkte zu orientieren und so denen Führer und Berater zu sein, die sich von ihm führen und beraten lassen wollen. Aus diesem Grunde verdient der Vorschlag, jedem Buche eine Rezension bzw. eine kurze orientierende Anzeige mit auf den Weg zu geben, die weitestgehende Beachtung des Verlags. Denn Bücher und Menschen zusammenzubringen, die ihrer Natur nach zu einander gehören, wird nach wie vor die beste Aufgabe des Sor timenters sein. Nur möchten wir den Vorschlag des Herrn Ein senders dahin erweitern, daß diese orientierenden Anzeigen, mögen sie nun von Kritikern, Autoren oder Verlegern herrühren, so kurz wie möglich gehalten werden und, ohne sich in Phrasen zu ver lieren, Inhalt und Zweck des Buches so miedergeben, daß sich der Sortimenter daraus auch ein Bild machen und Beziehungen zwischen dem Buche und seinen Kunden auffinden kann. Dazu werden ihm die üblichen Bemerkungen, daß sich der Autor in diesem Buche selbst übertroffen habe, daß Milieu und Menschen scharf gesehen und diese von origineller Eigenart seien, so daß das Werk sowohl bei der Kritik als auch im Publikum auf die günstigste Aufnahme rechnen könne, nicht verhelfen. Wohl aber kann er aus kurzen Bemerkungen über den Dichter und den Zweck seines Buches, vor allem jedoch iiber den behandelten Stoff und die Kreise, in die das Buch fiihrt, einen An halt darüber gewinnen, in welche Hände es gelegt werden kann. Denn wenn auch das künstlerische Interesse den Wert eines Buches bestimmt, so bestimmt doch das stoffliche zunächst einmal — bei gleicher Nangstellung der Autoren — den Abnehmerkreis, zumal das erstere, mehr vom subjektiven Empfinden abhängig, sich weit schwerer nachprüfen läßt, als auf den Inhalt bezügliche Fest stellungen. Inwieweit der Zweck, den Sortimenter über ein Werk zu orientieren, schon durch die Fassung der Inserate und Zirkulare erreicht werden kann, steht hier nicht zur Erörterung: auch wenn sie ailsreichend sein sollte, wäre es wünschenswert, jeder Neuer scheinung ein kurzes Resumö mit auf den Weg zu geben, von dem der Sortimenter eine Brücke zum Publikum schlagen kann. Red.