Volltext Seite (XML)
15824 I. d. Dtschn. «Eand-I. Mchtamtlicher Teil. 298, 24. Dezember 1S10. Nichtamtlicher Teil, Buchkunst und Bücherliebhaberei. Professor Jean Loubier hat im vergangenen Winter im Königlichen Kunstgewerbe-Museum in Berlin zehn Vorlesungen über Buchkunst und Bücherliebhaberei gehalten, die kürzlich als Sonderdruck') erschienen sind. Die Vorträge im Berliner Kunstgewerbe-Muscum sind in erster Linie dazu bestimmt, für die Vertiefung des kunstgewerblichen G-schmacks bei Fachleuten, sowie auch bei einem weiteren Publikum zu wirken. So befassen sich auch die Vorträge Loubiers mit der inneren und äußeren Ausstattung des Buches nur vom künstlerischen Gesichtspunkte aus als mit einem Zweige des Kunstgewerbes. Dis künstlerische Aus stattung des Buches, die Buchkunst, beachtet alle Einzelheiten. Die Schiist muß bei aller Leserlichkeit schön in der Form sein. Die großen Buchstaben, die Versalien, müssen mit den kleinen, den Gemeinen, übereinstimmen, der ganze Satz einer Druckseite oder Kolumne muß nach der Größe des Schrift- grades richtig gewählt sein, auch in gutem Größenverhältnis zu dem Papierblatt stehen. Die Überschriften der Kapitel und Seiten, die Seitenzahlen, Anmerkungen und Randnoten, Titelblätter und Schlußzeichen müssen in Form, Größe und Farbe zu der Textlchrist und deren Satzanwendung passen; die Verzierungen, Initialen, Vignetten, Kopf- und Schluß leisten und Textbilder müssen im Charakter zur Schrift und zum Bilde des Satzes passen. Das Ganze muß in sorg fältiger Technik auf gutem Papier gedruckt sein. Das Buch muß auch einen sorgfältig gearbeiteten künstlerischen Einband aus gutem Material erhallen. Sind alle diese Forderungen erfüllt, so kann man das Buch als Kunstwerk bezeichnen. Hoffen wir, daß wir bald allgemein dahin kommen. Schöne Anfänge dazu sind gemacht. Die Verleger sollten viel kräftiger als bisher darauf dringen, daß ihnen von den Druckereien gute Satzarbeit geliefert wird und daß das zu weilen herrliche Schriftmaterial mancher Druckereien von den Setzern nicht lediglich als Metall betrachtet wird, dessen Stäbchen einfach so schnell wie möglich aneinander gereiht werden müssen, gleichviel welche geschmacklose Arbeit dabei zustande kommt. Was nützt die schönste Schrift, wenn die Setzer sie nicht entsprechend verwenden, wenn sie beim Setzen keinen andern Gedanken haben, als möglichst rasch ihr Arbeitspensum zu erledigen. Daß die Verleger viel schuld daran haben, indem sie nicht ganz genau ihre Wüusche vor schreiben, sich oft auch selber nicht recht klar darüber sind, was sie eigentlich von den Druckern und Buchbindern ver langen sollen und können, darf nicht unerwähnt bleiben. Wir machen aber gute Fortschritte, wie z. B. die Verleger gezeigt haben, die kürzlich den Katalog: »Das moderne Buch des Jahres 1910« herausgegeben haben. Wenn Franz Blei in seinem Begleitworte: »Vom Aussehen der Bücher« im diesjährigen Bücherverzeichnis des Lenien- verlags meint, daß »die vornehme moderne Buchausstattung im Anfänge alles Wesentliche — Satz, Druck, Papier, Bindung — beim schlechtesten Alten ließ und nur mit einer Aufmachung operierte, für die ein Heer ebenso talent- wie brotloser Buchschmücke! mit immer neuen Variationen der stilisierten Makkaroninudel tätig war«, so ist dies heute doch längst überwunden. Die Vorträge Loubiers befassen sich mit dem geschriebenen Buchkunst und Bücherliebhaberei. Zehn Vorträge von Professor vr. Jean Loubier, gehalten im Winter 1809 im Kgl. Kunstgewerbe.Museum zu Berlin. Sonderdruck nach den Berichten der Papier-Zeitung. Mit 53 Abb. <66 S.) Verlag von Carl Hofmann, Berlin 8V. II. 1.50. Buche des Mittelalters, mit dem gedruckten Buche des fünf zehnten Jahrhunderts, mit der Buchkunst der italienischen Renaissance, mit der Buchkunst der deutschen Früh- renaissance, mit der Wiederbelebung der Buchkunst in England, mit der neuen Buchkunst in Deutschland. Das Buch in der uns gewohnten Form taucht etwa im fünften Jahrhundert auf. Mit dem Erstarken des Christentums be mächtigte sich die Kirche in immer wachsendem Umfange der gesamten Wissenschaft und Kunst und damit des Schrist- wesens, so daß die Herstellung und das Abschreiben der Bücher hauptsächlich in den Klöstern betrieben wurde. Während für die gewöhnlichen Schreibereien eine für die Hand geläufigere flüchtige Kurrentschrift verwendet wurde, benutzte man zu Büchern eine kalligraphische Buchschrift, die sich aus der Kapitalschrift über die Rustica, Unziale usw., aus der langobardischen, merowingischen, westgotischen, irischen, angelsächsischen Schrift, über die karolingische Minuskel allmählich zur Gotisch, Schwabacher, Fraktur, Antiqua usw. entwickelt. Die Arbeit des Buchschreibers wurde von dem Rubrikator vervollständigt, der die farbigen Anfangsbuchstaben, Überschriften, Einfassungslinien usw. ein- sügte. Kostbare Handschriften versah der Illuminator oder Miniator mit Initialen, Randverzierungen und Bildern in Farben und Gold. Besonders im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert wurden bedeutende Künstler mit dem Ausmalen kostbarer geschriebener Bücher beauftragt. Die französischen Könige, die Herzöge von Burgund und Orleans waren große Liebhaber von der artigen Handschriften mit Miniaturen. Manche frühe Hand schriften sind mit kostbaren Einbänden versehen, die mit Gold- oder Silberblechen, oder Elfenbeinschnitzereien belegt und mit Email und Edelsteinen verziert wurden. Die spät gotischen Handschriften des fünfzehnten Jahrhunderts tragen ebenso wie die Inkunabeln vorwiegend Ledereinbände. Dann gab Gutenberg der Welt das gedruckte Buch, und seine Erfindung wurde nach der Erstürmung von Mainz 1462 bald über ganz Europa verbreitet. In den Inkunabeln wird bei Verwendung von Bildern genau darauf geachtet, daß diese dem Helligkeitswerte der Schrift angepaßt sind, so daß die ganze Buchseite mit dem Bilde ein geschlossenes Ganzes bildet. 1461 lieferte Albrecht Pfister in Bamberg mit Boners Edelstein den ersten Typendruck mit Holzschnitten im Text. Die Verkleinerung des großen Formats der Bücher beginnt schon um 1480, um 1490 gibt es schon gedruckte Oktavbücher. Die Fortbildung des Holz schnitts zu schattierten und dadurch modellierten Bildern zeigt sich bereits 1486 in Bernhard von Brcydenbachs »Heylige reyssen gen Jerusalem«. Die ersten Drucker in Italien waren die Deutschen Konrad Sweynheym und Arnold Pannartz, die seit 1464 in Subiaco bei Rom druckten und hier 1467 des Augustinus Werk »äs eivitats äoi« in einer der Antiqua sehr nahe kommenden Schrift herausbrachten, während Mentelin in Straßburg schon vier Jahre vorher eine lateinische Bibel mit romanischen Charakteren druckte. Sweynheym und Pannartz gingen 1467 nach Rom, wo sie sehr fleißig eine ganze An zahl von römischen Klassikern, einige Kirchenväter und Bibel kommentare herstellten. Wegen ungenügenden Absatzes kamen sie aber in Not und richteten durch den Bischof I. A. Bussi von Aleria, der Korrektor und Herausgeber fast aller bei Sweynheym und Pannartz erschienenen Werke war, am 20. März 1472 in der Vorrede zum fünften Bande der von ihnen gedruckten Bibelerklärung des Nicolaus de Lyra eine Bitte um Unter stützung an den Papst Sixtus IV., da ihr ziemlich großes Haus, wie es in der Bittschrift heißt, »voll von Quaternionen,