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Nichtamtlicher Teil. W 1, 2. Januar ISO«. als ein neues zeitweiliges Gesetz über die periodische Presse erschien (»bis zur Herausgabe eines neuen allgemeinen Paß gesetzes»). Ohne Rücksicht auf die historischen Verhältnisse betrachtet und mit den vorhergehenden zensurgesetzlichen Bestimmungen verglichen, erscheint dieses Gesetz als ein großer Fortschritt; allein, da es erst nach der tatsächlichen Freiheit, wie sie wenigstens in Petersburg bestand, ins Leben trat, so stellte es wieder be deutende Beschränkungen für die periodische Presse her. Durch dieses Gesetz wurde die Präventivzensur für alle perio- stimmungen über die administrativen Eingriffe (Verwarnungen, Verbote, Verbote des Einzelverkaufs usw.). Für die Gründung neuer periodischer Publikationen wird das Anmeldeverfahren eingeführt. Wer eine neue Zeitung herausgeben will, muß dem zuständigen Gouverneur oder Stadthauptmann eine Anzeige der verantwortliche Redakteur kein russischer Staatsbürger ist, das 25. Lebensjahr nicht erreicht hat oder nicht im Genuß der bürgerlichen Rechte ist, oder einmal wegen eines Vergehens, das Beschränkungen der Vermögensrechte nach sich zieht, gerichtlich belangt worden ist, ohne freigesprochen worden zu sein. Jede Nummer einer periodischen Druckschrift ist gleichzeitig mit der Ausgabe aus der Buchdruckerei dem zuständigen Institut oder der Amtsperson in Preßsachen vorzulegen, die das Recht haben, eine vorläufige Beschlagnahme zu veranlassen mit Anzeige darüber bei Gericht, falls sich in der Nummer Merkmale einer vom Straf gesetz vorgesehenen verbrecherischen Handlung finden. Das Gericht freigabe der Nummer oder die Einleitung eines gerichtlichen Ver fahrens gegen den Redakteur und Herausgeber derselben an ordnen, wobei es zeitweilig die Herausgabe der Zeitung bis zur gerichtlichen Entscheidung einhalten kann. In demselben Gesetz vom 24. November (7. Dezember) 1905 werden auch für verschiedene Preßoergehen Strafen bestimmt, die bisher vom Gesetz nicht vorgesehen waren, so z. B. die Auf forderung zur Veranstaltung oder Fortsetzung eines Streiks (Ge fängnis bis zu 16 Monaten), die Aufforderung zur Veranstaltung gesetzlich verbotener Zusammenrottungen, die wissentliche Ver breitung falscher Nachrichten über die Tätigkeit der Regierung (Ge fängnis bis zu 8 Monaten), die Beleidigung der Armee (Gefängnis bis zu 16 Monaten), die Aufforderung zur Verletzung der militärischen Dienstpflicht durch Militärpersonen (Verschickung zur Ansiedlung oder Zuchthaus). Zur Vervollständigung der Strafen kann das Gericht auch auf Einstellung der Zeitung für immer verfügen. Der Teil dieses Gesetzes, der die Preß- vergehen betrifft, wurde zum Teil revidiert (mit Erhöhung der Strafen), zum Teil vervollständigt durch den Allerhöchsten Erlaß vom 13. (26.) Februar 1906, durch den für die wissentliche Ver breitung von falschen Nachrichten über die Tätigkeit der Regierungs institute unter erschwerenden Umständen Gefängnis bis zu 16 Monaten, für Erregung von Feindschaft unter den einzelnen Teilen der Bevölkerung Gefängnis oder sogar Zuchthaus be herrschte, oder in Städten, die sich nur in der Lage eines ver stärkten Schutzes befanden; an solchen Orten aber, die sich unter außerordentlichem Schutz oder unter Kriegszustand kraft früherer, administrativem Wege zu verbieten ohne Angabe von Gründen. So blieb die Zensur tatsächlich erholten. In den Jahren 1906 und 1907 befanden sich nämlich sehr viele Städte und Ortschaften in Rußland (darunter auch St. Peters. schriften fortwährend von der administrativen Gewalt verboten. Seit Einführung des Gesetzes vom 24. November 1905 stellten die Institute, die die Presse leiteten, der Gründung neuer periodischer Publikationen keine irgendwie beträchtlichen Hindernisse entgegen; aber von dem Rechte, die Nummern zu konfiszieren, machten sie einen sehr weiten Gebrauch und fanden Unterstützung bei den Gerichten, die periodische Druckschriften oft verboten, sowohl zeit weilig bis zum gerichtlichen Urteil als auch endgültig. Am 18. (31.) März 1906 wurde der Allerhöchste Ukas an den Senat unterzeichnet, durch den einige Punkte des Gesetzes vom 24. November 1905 verändert wurden. Als Motiv wurde an gegeben, daß die Vorschriften vom 24. November 1905 nicht aus reichend seien, um die Verletzungen der für die periodische Presse gegebenen Vorschriften zu bekämpfen. Die Verpflichtung, die Nummern vorzulegen, ging von dem Verleger auf den In haber der Buchdruckerei über. Den illustrierten Blättern wurde vorgeschrieben, die Nummern 24 Stunden vor ihrer Ausgabe aus der Druckerei vorzulegen (übrigens war es den Beteiligten frei gestellt, während dieser Frist nicht die Nummern selbst, sondern nur die Abbildungen vorzulcgen); das Gericht kann in solchen Fällen die Nummer vernichten, in der »die Merkmale einer ver brecherischen Handlung enthalten sind«, wenn auch keine Gründe zur Anstellung einer strafrechtlichen Untersuchung vorliegen. Eine Strafe ist ausgesetzt (Haft bis 3 Monate und Geldstrafe bis 3000 Rubel sowohl vom Herausgeber als vom Drucker) für Begründung einer neuen periodischen Druckschrift an Stelle einer solchen, die durch Gerichtsurteil verboten ist. Der Zweck dieser Bestimmung war, eine Umgehung des Gesetzes zu erschweren, die bisher in ziemlich weitem Umfang betrieben worden war. Fast jeder Herausgeber einer periodischen Druckschrift hatte nämlich eine Bescheinigung in Vorrat, die ihn berechtigte, eine zweite Publikation gleicher Art, aber unter anderm Titel herauszugeben; bei Bedarf erwies sich dann diese zweite Zeitung tatsächlich als eine Fortsetzung der unterdrückten oder ein- gehaltenen ersten. Am 26. April (9. Mai) 1906 wurde ein neuer Ukas an den Senat unterzeichnet, der sich auf die nicktperiodischen Druck schriften, d. i. auf Bücher bezog.*) Die Präventivzensur wurde für alle Bücher aufgehoben. Die Zensurkomitees wurden in Preß- komitees, die Zensoren in Mitglieder der Preßkomitees oder in Preßinspektoren umbenannt. In bezug auf Bücher von mehr als fünf Druckbogen ist das Recht anheimgegeben, sie diesen Komitees vorgelcgt werden. Die Preßkomitees und die Preßinspektoren haben das Recht, die Bücker und Broschüren vorläufig mit Be schlag zu belegen, wie auch die Stereotypplatten und andre für den Druck hergestellte Vorrichtungen; die Angelegenheit wird dann vor Gericht gebracht, zugleich mit Beantragung einer strafrecht lichen Untersuchung gegen die Schuldigen. Dem Gericht bleibt es, wie bei den periodischen Druckschriften, überlassen, eine strafrecht liche Untersuchung gegen die Personen vorzunehmen, und im Falle es dazu an Gründen mangelt, aber doch Merkmale einer ver- der Stereotypplatten und andrer Vorrichtungen zum Druck zu er kennen. Sonach setzten die Zensurinstitute tatsächlich ihre Existenz fort, nur unter einem neuen Namen. Aus die Hauptverwaltung in Preßangelegenheiten sind im Budget von 1907 129 677 Rubel angewiesen, aus die Preßkomitees und die Preßinspektoren 283 242 Rubel. energisch tätig, besonders in bezug auf die periodische Presse. Fast alle nur einigermaßen oppositionellen Blätter halten sich einigen gerichtlichen Untersuchungen zu unterziehen. Viele Redakteure wurden zu längern oder kürzern Freiheitsstrafen verurteilt. Die Presse der äußersten linken Parteien ist fast gänzlich vernichtet; große Verluste erlitt auch die Presse der gemäßigteren oppo sitionellen Parteien. In den Städten, die sich in irgendwelchem Ausnahmezustand befanden, verboten die Ortsbehörden andauernd bald diese, bald jene St. Petersburger oder Moskauer Zeitung. Die Generalgouverneure, Gouverneure und Stadthauptleute stellten zuweilen eine rein zensurelle Praktik wieder her, indem sie für die in den Ortschaften ihres R.ssorts erscheinenden Zeitungen Zirkulare Herausgaben mit dem Verbot, diese oder jene Frage *) Siehe auch »Das neue Preßgesetz in Rußland« im Börsen- blatt 1908. Nr. IM. Der übers.