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Nichtamtlicher Teil. ^ 192. 20. August 1910. Königin Viktoria. Es handelt sich demnach um Objekte, die zwar die Originale auf das genaueste nachahmen, aber keinen eigenen Kunstwert haben. Sehr schwer erscheint der englische Kunstfreund und Industrielle Morris durch die Vernichtung der Gobelins »Venus und ihr Kreis« nach Zeichnungen von Burne Jones betroffen. Es existieren zwar mehrere Exemplare von diesen gewebten Teppichen; die Serie des Herrn Morris galt aber allgemein als die schönste. Die Kunstwerke in der französischen Abteilung scheinen zum Teil vor dem Untergange durch Feuer bewahrt geblieben zu sein. Moderne französische Gobelins, die die Wände des Pavillons der Stadt Paris schmückten, wurden gerettet; dagegen sind zahlreiche Gemälde und Skulpturen moderner, französischer Meister, darunter mehrere Rodins aus dem Besitze der Stadt Paris, verloren gegangen. Die große Rubens-Ausstellung, die u. a. auch unschätzbare Werke aus dem Wiener Kunsthistorischen Musenm und aus Wiener Privatbesitz vereinigt, befindet sich glücklicherweise nicht im Rayon der Ausstellung. Das Kunsthistorische Hofmuseum hat die Perle für diese Spezialausstellung geliefert, das »Selbstporträt« des Künstlers, die Liechtensteinsche Galerie die »Madonna mit dem Kinde« von van Dyck. Das Ausstellungskomitee hat es nicht an Anstrengungen fehlen lassen, auch den »Decius Mus-Zyklus« aus der Liechtenstein-Galerie zu erhalten. Der regierende Fürst von Liechtenstein konnte sich jedoch nicht dazu entschließen, den »Decius Mus-Zyklus« für einige Zeit aus der Wiener Sammlung entfernen zu lassen. Die Katastrophe in Brüssel wird überhaupt den allgemeinen Brauch, Kunstwerke für Ausstellungen zu entlehnen, auf ein Minimum einschränken. Man wird sich in Zukunft damit be gnügen müssen, statt der Originale getreue Kopien oder Repro duktionen zu senden. Nachträglich wird gemeldet, daß in der verbrannten englischen Abteilung auch wertvolle alte Drucke vernichtet worden sind, die der Universität Oxford gehört haben. * Schon am 17. August hat von den anläßlich des Brandes zu erwartenden Gerichtsverhandlungen die erste vor dem Handelsgericht in Brüssel stattgefunden. Der Vertreter der englischen Regie rung hatte das Komitee der Ausstellung, die belgische Regierung und das Komitee von Brussel-Kermesse vorladen lassen zwecks Fest stellung, welcher Schaden für die englische Regierung und für die englischen Aussteller entstanden sein könnte. Der Vertreter der englischen Regierung verlangte, daß man eine Untersuchungs kommission einsetze, die auf das genaueste bestimme, wo die einzelnen Ausstellungsgegenstände sich befunden haben, welche Bedeutung und welchen Wert sie hatten. Es soll außerdem durch die Kommission festgestellt werden, welchen Schaden die Aus steller und welchen Schaden die englische Regierung erleiden wird. Das Gericht hat im Einverständnis mit den Vertretern der belgischen Behörden dem Wunsche Englands Folge gegeben. Der Vertreter der englischen Regierung hat ausdrücklich erklärt, daß er diesen Schritt in aller Freundschaft unternommen hätte, lediglich zur Feststellung der Verantwortlichkeitsfrage. Das Archiv der Ausstellung, das einem historischen Werke zur Unterlage dienen sollte, die gesamte Korrespondenz, alle Kontrakte und Abmachungen zwischen den Ausstellern und Unter nehmungen sind verbrannt. So ist eine große Reihe von sehr komplizierten Prozessen zu erwarten. Nur ein Teil der Rechnungsbücher konnte gerettet werden. Es gelang dem Generaldirektor Keym, 100000 Frcs. aus der Verwaltungskasse zu bergen. Von einem Mitgliede der deutschen Jury, das aus Brüssel zurückgekehrt ist, wird dem »Berliner Lokal-Anzeiger« folgendes mitgeteilt: »Die Arbeiten der Klassenjury sind in der vorigen Woche beendet worden. Deutschland hatte dabei im ganzen sehr er freulich abgeschnitten, namentlich das deutsche Kunstgewerbe hat allgemeine Anerkennung gefunden. Die im Gelände des belgischen Exekutivkomitees lagernden Listen sind allerdings verbrannt. Von unseren deutschen Listen sind aber Duplikate vorhanden. Die Arbeiten der zweiten Instanz, der Gruppenjury, die die Arbeiten der Klassenjury zu revidieren hat, sollten am nächsten Montag (22. August) beginnen. Es ist im höchsten Grade betrüblich, daß die großartige Kundgebung, insbesondere der deutschen Arbeit, mit dem vorzeitigen Schluß der Ausstellung nicht mehr den weiten Kreisen zu Gesicht kommen kann, die daran sich einen Begriff von deutscher Arbeit und deutscher Energie hätten bilden können.*) In jedem Falle darf es als ein außerordentliches Glück angesehen werden, daß es durch die Aussonderung der deutschen Ausstellungshalle möglich geworden ist, die kostbaren, dort auf gespeicherten Güter zu erhalten. »Die Vorsicht des deutschen Reichskommissars, der darauf be stand, für Deutschland getrennte und eigene Gebäude zu errichten, hat sich bei diesem Unglück aufs neue als ein hervorragender Ge danke bewährt. Bei allem Mitgefühl für das belgische Volk und für die von der Feuersbrunst heimgesuchten Nationen können wir doch froh sein, daß unsere großen Werte gerettet sind, darunter die etwa fünfzig von allerersten Firmen in tadel losester Technik eingerichteten Zimmer, dann die großartigen Ausstellungen der Maschinen und Kraftmaschinen, sowie ins besondere unsere Jngenieurabteilung mit den wertvollen Modellen des preußischen Arbeitsministeriums.« » Der Ausschuß der Ausstellung hat einstimmig beschlossen, die belgische Abteilung, soweit es möglich ist, in aller Kürze wieder herzustellen. Sie soll in den verfügbaren freien Pavillons unter gebracht werden. Die Städte Lüttich und Gent haben ihre Pavillons zur Verfügung gestellt. Außerdem ist beschlossen worden, die Pläne anzunehmen, die der Architekt Acker unterbreitet hat. Nach diesen Plänen wird an der Stelle, wo sich die große belgische Industrie- Halle befand, eine Mauer aufgeführt, deren künstlerische Aus stattung genau im Stile der Halle gehalten sein soll. In der Mitte wird ein großer Säulengang angebracht, in dem die beiden Restaurants untergebracht werden sollen, die durch den Brand obdachlos geworden sind. Es sind dies das Restaurat Universel und eine englische Bar. Man hofft, die Arbeiten so fördern zu können, daß der Bau in drei Wochen fertig sein wird. * Bahnhofsbuchhandlung. — Wie uns aus dem »Hannover- schen Courier« vom 13. August verspätet zur Kenntnis kommt, schreibt die Königliche Eisenbahndirektion Hannover die Bahn hofsbuchhandlung auf Bahnhof Elze zum 1. Oktober 1V10 aus. In der Anzeige heißt es: Pachtgebote sind portofrei in ver schlossenem Umschläge mit der Aufschrift: »Angebot auf Pachtung der Bahnhofsbuchhandlung in Elze«, bis zum 20. August vor mittags 11 Uhr, einzusenden. Die Angebote werden in diesem Termin in Gegenwart der etwa erschienenen Bewerber im Zimmer 135 des Direktions-Geschäftsgebäudes geöffnet. * Gegen Schund- und Schmutzliteratur. — Der Vor- sitzende des Hannoverschen Vereins zur Hebung der öffentlichen Sittlichkeit, Rechtsanwalt von Jssendorf, hat folgende Aufforderung veröffentlicht: »Es ist in letzter Zeit wiederholt bemerkt worden, daß in unserer engeren Heimat ansässige Buchhändler, welche schon seit längerer Zeit wegen gewerbsmäßigen Betriebes von Schund literatur berüchtigt sind, die Anfangshefte von Kolportage romanen unmittelbar oder durch Agenten massenweise an Schulkinder ausgehändigt haben. »Diese Kolportageromane sind zweifellos geeignet, in den Kindern eine unreine Phantasie anzuregen, ihren Wirklichkeitssinn zu beeinträchtigen und sie zu unüberlegten Handlungen zu ver leiten. Sie fallen daher unter den Begriff der Schundliteratur. Die Aushändigung derartiger Hefte an Schulkinder ist meines Erachtens grober Unfug im Sinne des Strafgesetzbuches. Es kann also durch eine Anzeige an den Amtsanwalt bei demjenigen Königlichen Amtsgerichte, in dessen Bezirk der Täter wohnt oder die Aushändigung stattgefunden hat, die Bestrafung des Täters herbeigeführt werden. Doch ist dazu die Feststellung der Person desjenigen, aus dessen Händen die Kinder jene Hefte bekommen haben, erforderlich. *) Der Berichterstatter irrt; die Ausstellung bleibt geöffnet. Red.