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6634 Nichtamtlicher Teil. 216, 16. September 1899. Klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben, heißt's in der Schrift. Leben Sie wohl, Herr Habedank. Habe die Ehre, verehrter Herr Pfarrer. Der Pfarrer gab die Klinke der Ladenthür einem andern Herrn in die Hand. Guten Tag, Herr Stadtbaumeister, wendete sich Habedank an diesen, was bringen Sie Gutes? Gewiß meinen Bauplan! '"sNein, mit dem bitte ich sich noch einige Tage zu ge dulden. Aber hier eine Anzeige für die Zeitung: Das Wohlthätigkeitskonzert fällt leider aus. Die Programme muß ich Ihnen auch abbestellen. Wie geht denn das zu? Ach, diese neuen Gesetze! Alles war im besten Zuge, da wird uns gestern das Fräulein Schmidt krank, die das Sopran- svlo übernommen hatte. Also wir telegraphieren ans Stadt theater in H. Die Sängerin Brandson will wohl kommen, aber unter 75 thut ste's nicht. Das könnten wir nun gerade noch anwcnden. Aber das neue Gesetz sagt: Wohl- thätigkeitskonzerte brauchen keine Gebühr für Aufführungs recht zu zahlen, aber nur, falls keiner der Mitwirkenden Vergütung erhält. Bezahlen wir nun die Brandson, so müssen wir auch Aufführungsgebühr entrichten, und alles zusammen wird zu teuer. Da lassen wir lieber die ganze Sache. Schade, schade, Herr Baumeister. Ja, ja, das neue Gesetz! Na, für mich wird es vielleicht ganz schön sein. Nicht wahr, mein vor 29 Jahren verstorbener Großvater hat seine sämtlichen Kompositionen für Männergesang bei Ihrer Firma verlegt? Wenigstens Opus 8—103. Schön. Sie wissen doch, Herr Habedank, daß das Urheberrecht der Komponisten von 30 auf 50 Jahre nach ihrem Tode verlängert worden ist. Das kommt also den Erben meines Großvaters vom nächsten Jahre an zu gute. Na, na, Herr Stadtbaumeister. Erstens gehen die Sachen nicht mehr; seit drei Jahren werden vielleicht noch für 40 ^ verkauft worden sein. Oben auf dem Speicher stehen noch die Ballen. Zweitens sind aber die Werke mein unbeschränktes Eigentum. Mein seliger Vater hat sie Ihrem Herrn Groß vater immer mit allen Rechten abgekauft; bis zu zwei Friedrichsdor hat er für das Opus bezahlt. Thut nichts. Das Urheberrecht ist zwar in solchen Fällen zum Vorteil des Verlegers verlängert worden, aber dieser hat den Erben des Komponisten die Hälfte des Reingewinns abzutreten. Sie müssen sich mehr Mühe mit dem Vertrieb geben, Verehrtester, dann wird schon ein besserer Gewinn herauskommen. Und dann das Aufführungsrecht! Jeder Gesangverein muß uns Erben jetzt Gebühren zahlen. Leider diejenigen Vereine nicht, die schon die Noten besitzen. Aber wer sie jetzt noch anschafft, der muß daran glauben. Sie, mein Herr Habedank, sind dafür verantwortlich, daß kein Notenheft mehr abgeht ohne den Stempel »Aufführungsrecht Vorbehalten«. Das Gesetz verpflichtet Sie dazu ausdrücklich. Sind denn viele Erben Ihres Großvaters da? Bis jetzt weiß ich einundzwanzig Familien, drei Jung gesellen und fünf Tanten. Herr Stadtbaumeister, dann sorgen Sie vor allem dafür, daß Sie ja sämtliche, hören Sie, sämtliche Erben zusammen und unter einen Hut kriegen, und daß nicht etwa ein Onkel in Amerika vergessen wird. Sonst giebt's die schönsten Pro zesse um Ihre Beute. Aber ich kann doch beim besten Willen nicht alle Erben zusammentrommeln; ich kenne sie ja nicht einmal alle! - Ich erst recht nicht; auch werde ich mit den Abrech nungen schon Schreiberei genug haben. Wenn noch was dabei herauskäme! — Aber jetzt wollen wir den Spieß herumdrehen, Herr Baumeister! Sie ivollen mir da eine sehr schöne, eigenartige Villa bauen, die Ihrer Erfindungs gabe Ehre machen wird. Diese meine Villa wird Ihre geistige Arbeit sein, so gut wie das Buch hier oder ein Bild eine geistige Arbeit ist, von Zeitungsartikeln nicht zu reden. Wohin es mit den Urheberrechten an Geisteswerken noch kommen wird mit der Zeit, weiß inan nicht. Als guter Hausvater und zur Sicherheit meiner Erben bitte ich mir daher auf alle Fälle Ihre schriftliche Einwilligung aus, daß ich und meine Erben an der Villa »Zusätze, Weglassungen und sonstige Aenderungen vornehmen« dürfen, das heißt, daß wir berechtigt sind, Thüren und Fenster zu brechen oder zu zumauern, Wände zu ziehen oder wegzunehmen, Erker oder Stockwerke an-und aufzubauen und so weiter. Ferner bitte ich um Ihren ausdrücklichen Verzicht auf Anteil an den Mietein nahmen oder an einem Verkaufgewinn für den Fall, daß den Architekten auch einmal Urheberrechte zuerkannt werden. — Sie lachen, Herr Stadtbaumeister? Ja, ja, lieber Herr Habedank, aber nur, weil Sie recht haben. Den Schein sollen Sie kriegen und wissen Sie was? Zahlen Sie alle Jahre eimal im Kasino eine bessere Flasche, dann lasse ich für meine Person alle Ansprüche auf die Werke meines Großvaters fallen. Das würde mir nichts helfen, Verehrtester. Gesetz ist Gesetz, und wenn Sie auch verzichten, so kann jeder andere Nachfahre Ihres Großvaters kommen und mich Betrüger schelten, wenn bei mir nicht alles klar ist. Nein, Abrechnung stelle ich. Aber ehe ich den notariellen Nachweis in Händen habe, daß wirklich alle Erben Ihres Großvaters ermittelt sind, zahle ich nichts aus, sondern hinterlege die paar Mark beim Gericht. Das mag dann weiter zusehen und die Erben durch die Zeitungen suchen. Mit der feinen Flasche wird's so nichts, lieber Herr Baumeister, aber das Richtfest feiern wir, das heißt, wenn Sie feierlich allem Urhebertum an der Villa entsagen. Soll ein Wort sein. Aber nun adieu, lieber Herr Habedank. Der Stadtbaumeister war fort. Herr Ganghuber, sagte Habedank, wenn nun noch je mand kommt, der nach Urheber oder Urheberenkel aussieht, daun bin ich nicht zu Hause. Verstehen Sie? Für heute habe ich genug. Kleine Mitteilungen. Frachtbriefe. — Ein neuer Frachtbrief-Bordruck für interne deutsche Frachtbriefe soll gleichzeitig mit dem am 1. Januar 1900 bevorstehenden Jnkraftreten einer neuen Eisenbahn-Verkehrsordnung Angeführt werden. Eine Uebergangszcit, während der auch nach dem 1. Januar 1900 die bisherigen Frachtbriefe verwendet werden können, dürfte noch bestimmt werden. (Pap.-Ztg.) 4000. Bändchen. — Von Reclams Universal-Bibliothek wird in diesen Tagen die 4000. Nummer erscheinen. Wer hätte es vor dreißig Jahren, als die ersten der rot-gelben Bändchen aus gegeben wurden, für möglich gehalten, daß dieses Unternehmen zu solch enormem Umfange, zu solch ungeahnter Bedeutung anwachsen würde, zu einer Bibliothek von 4000 Nummern, von denen jede einzelne in so und so viel tausend Exemplaren, ein großer Teil sogar in so und so viel hunderttausend Exemplaren verbreitet ist. Immer mehr hat sich diese größte deutsche Büchcrsamm- lung die Anerkennung des Publikums erobert. Sogar aus dem Auslande mehren sich allenthalben die Preßstimmen voll be wundernden Beifalls für die Bibliothek, „uni die das deutsche Volk von jedem andern beneidet werden müsse". Es ist erfreulich, daß jetzt auch die Gelehrtenwelt die Bedeutung der Universal- Bibliothek anerkennt, die gleichsam eine Brücke bildet zwischen ihr und den breiten Massen des Volkes. Viel zu solcher Anerkennung von seiten unserer Geistesaristokratie hat das richtige Prinzip beigetragen, die Texte stets nur ungekürzt zu veröffentlichen, so daß hauptsächlich die litterarhistorischcn und philosophischen Werke auch als ernst-wissenschaftliche Hilfsbücher ihren Wert haben. Daß unter dem tausendfachen Weizen hie und da auch leichte Spreu zu finden ist, wer will es dem Verleger verargen, wer garantiert, daß er cs unbedingt besser gemacht hätte! Auch diese leichtere Ware, die Hunderte von litterarisch weniger bedeutenden Humoresken-