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8988 Nichtamtlicher Teil. «V 209. 7. September 1901. Bruchstück eines aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammenden Meßbuches veröffentlicht, auf dem die Noten und der darunter stehende Text mit Stempeln hergestellt sind. DaS Merk würdige ist dabei, daß die Buchstaben nicht mit Typen ge druckt sind, sondern daß jeder Buchstabe aus einzelnen Strichen und Quadraten zusammengesetzt erscheint. So wurde ein n z. B. durch vier Hantierungen hervorgebracht: aus zwei senk rechten parallelen Strichen, an die sich oben und unten je zwei viereckige Punkte anschlossen. Die sehr umständliche und zeitraubende Zusammensetzung der Buchstaben auf diese Weise ist aus dem Umstand unzweifelhaft zu ersehen, daß beim Uebereinanderdrucken solcher einzelnen Teile hier die Farbe zweimal aufgetragen worden ist. Aus der von Zedler nach Biedermann gegebenen Beschreibung des Fragments ist nicht zu ersehen, ob die Buchstaben ihre Zusammensetzung auch auf der Bersoseite deutlich eingeprägt zeigen, im anderen Falle wäre doch viel eher an die Herstellung dieser Buch staben durch Schablonen zu denken. Zedier hat aber in der Sammlung des Vereins für nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung eine Missalehandschrift aus dem fünfzehnten Jahrhundert ge funden. auf deren Deckel die Worte »missale» und »hene crans« nach seiner Angabe genau nach dem erwähnten Ver fahren ausgedruckt worden sind. »Das Aufsehen der ver schiedenen. zur Herstellung eines Buchstabens erforderlichen Stempel markiert sich in dem Leder ganz deutlich«. Das Missale selbst »stammt zweifellos aus dem adeligen Nonnen kloster Rupertsberg bei Bingen, dessen Konvent nach der Zerstörung des Klosters im Jahre 1641 nach Eibingen bei Rüdesheim versetzt wurde«. Auf dieses Missale gründet Zedler des weiteren seine obige Behauptung. Er sagt, daß die Handschrift mannigfache Randbemerkungen liturgischen Charakters zeige, und fährt dann fort: »So wertvoll sie für das Studium der mittel alterlichen Liturgik sein mögen, konnte ich ihnen doch kein weiteres Interesse abgewinnen, bis ich am Anfang der pars biswalis. bei der die Blattzählung wieder von vorne beginnt. Lpostolorum martirum eovtossorum virginuw ete. guia traue- posituw sst per imxressorsm. Der Buchbinder Hene Crans wird also imprsssor genannt. Diese Bedeutung des Wortes impressor begegnet hier, soviel ich sehe, zum ersten Male, wenigstens ist sie hier zum ersten Male sicher erwiesen.« Ausfallen mußte hierbei von vornherein, daß in diesem Missale eine x»rs lüems.Iis Vorkommen sollte, während das Missale gar nicht nach Jahreszeiten eingeteilt ist, sondern nur das Brevier. Auf eine Anfrage ergab sich denn auch, daß die Bezeichnung nur eine Marginalnote ist. Zedler fährt dann in dem oben abgebrochenen Citat wie folgt fort: -Der im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts zu einem Zweig der Buchbinderthätigkeit werdende Stempel druck erregte offenbar als eine technische Neuheit großes Auf sehen. was wiederum zur Folge hatte, daß von der dabei vor sich gehenden Thätigkeit des Aufdruckens, neben dem die eigentliche Buchbinderarbeit bezeichnenden Worte ligator der Name imprsssor für den Buchbinder aufkam, bis mit Erfin dung des Buchdrucks das Wort tsrmwus tsobvieus für den Buchdrucker wurde.» Diese Folgerung erschien gewagt; ich konnte mir wenig stens nicht denken, daß der Aufdruck einzelner Worte auf Einbände, die man schon viel früher auf das prächtigste zu zieren verstand, als eine so bedeutende Entdeckung angestaunt worden sein soll, daß nun die ganze Thätigkeit des Buch binders nach dieser doch immerhin nebensächlichen Hantierung bezeichnet worden sein sollte. In der That hat Zedler nach seiner eigenen Privatmitteilung bald nach Erscheinen seines Buches selbst gefunden, daß die Hypothese nicht gehalten werden kann, und er beabsichtigt, diesen Irrtum in einer demnächst erscheinenden neuen Veröffentlichung zu berichtigen. Das Missale ist gar nicht falsch gebunden, und die Note hat auf das Binden des Buches keinen Bezug, sondern rührt von einem Manne her. der die prächtige Handschrift für einen Druck gehalten hat. Indes wissen wir ja durch die bezüglichen Forschungen Falles, daß einzelne Buchbinder (die übrigens geistlichen Standes waren) sich thatsächlich der Buchstabenstempel zur Herstellung der Deckel-Inschriften bedient haben, und zwar schon im Jahre 1436. Zedler glaubt nun. daß es sich bei der. von Waldvogel in Avignon von 1444—46 betriebenen ars Lrtiüeialiter soribsuäi um den Gebrauch von Stempeln gehandelt hat. mit denen man die Buchstaben einzeln auf das Pergament oder Papier austrug, daß also seine Erfin dung — wenn er das Buchbinderoerfahren gekannt hat — eine Uebertragung dieses letzteren auf die Herstellung der Schrift auf Papier ist. was recht einleuchtend erscheint. Von einer Vervielfältigung konnte also bei dieser Praxis keine Rede sein, nur von einer schnelleren und gleichmäßigeren Herstellung des sonst geschriebenen Textes. Mit Recht sagt Zedler, daß den Benutzern des Stempel druckes »die mechanische Vervielfältigung handschriftlicher Texte völlig unbekannt war», und daß zwischen dem Stempel druck »und dem Buchdruck, der mechanischen Vervielfältigung der Schrift mittels beweglicher Lettern, eine große Kluft« be steht. Wie der Uebergang über diese Kluft stattgefunden haben soll, ist nicht ohne weiteres ersichtlich, und man kann also wohl kaum sagen, daß der Buchdruck aus dem Stempel druck entstanden ist. abgesehen davon, daß es nur eine Vermutung ist, Gutenberg habe von dem Verfahren des Stempeldrucks Kenntnis gehabt. Man könnte also nur be haupten, was man bis vor kurzem von den Blockbüchern annahm, daß der. übrigens scheinbar sehr wenig verbreitete Stempeldruck ein Vorläufer des Drucks mit beweglichen Lettern gewesen sei. Ich kann das überaus inhaltreiche Buch Zedlers hier nicht so eingehend besprechen, daß ich an alle Vermutungen und Folgerungen des Verfassers kritische Beurteilungen knüpfe; das hieße ein ebenso umfangreiches Buch schreiben. Es sollen im folgenden deshalb nur wenig mehr als die interessanten neuen Ergebnisse mitgeteilt werden, zu denen Zedler gelangt. Nach ihm geht auch Waldvogels Kenntnis. Letternpunzen aus weichem Metall mittels Stahlstempels herzustellen — so fern Waldvogel wirklich dahin gelangt war — in letzter Linie auf Gutenberg zurück. Den Fortschritt, der darin liegt, daß die Punzen nicht mehr einzeln geschnitten, sondern in einer mittels Stahlstempels hergestellten Matrize gegossen wurden, betrachtet Zedler als die zweite Stufe der Gutenbergschen Erfindung, »die wohl erreicht war, als der Erfinder am 17. November 1442 die beträchtliche Anleihe von 80 Pfund Denaren beim St. Thomasstift zu Straßburg machte. Da mals glaubte er vielleicht, das Problem schon endgiltig gelöst zu haben, und schickte sich an. den Buchdruck in größerem Maßstabe ins Werk zu setzen«. Die Erfindung der Presse war damals aber schon gemacht. Bekanntlich verschwindet Gutenberg 1444 aus Straßburg, um erst 1448 in seiner Vaterstadt Mainz wieder aufzutauchen. Zetckr glaubt, daß er mit dem Drucke damals immer noch nicht zurechtgekommen sei. daß er aber von den gedruckten holländischen Donaten, von denen die Kölner Chronik spricht. Kenntnis erhalten habe und nun nach Holland gegangen sei. um die Druck technik dieser Bücher an Ort und Stelle kennen zu lernen. Diese Annahme scheint aber ziemlich willkürlich, und sie würde als Thatsache den Ruhm Gutenbergs auch nicht gerade er höhen.