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Redaktioneller Teil. ^ 161, 14. Juli 1916. Und davor lag die Sonne auf dem breiten Platze und brütete in den schönen Straßen, die in heiterem Frohsinn den Krieg ver gaßen. Blumen wurden feilgebolen; belgische Rosen standen in den Märkten und strömten süßlichen Dust durch die Stadt. Damen promenierten in französischer Eleganz; die Hellen Kleider wippten über hohe Stiefeletten. Man trank den Nach mittagskaffee in schon überfüllten Kaffeehäusern; oder sie saßen in den weiten Terrassen der Restaurants und nippten vom Soda und plauderten über Mode und Dasein — aber selten vom Kriege. In leichter Koketterie ging Brüssel über dieses Elend hinweg. Und es störte diese Stadt nicht, daß unsere Soldaten des Abends ihre Waffen bei sich trugen und ihre Lokale mit Gewehr bei Fuß betraten. Ich ging in das vornehmste Tanzlokal und sah junge Bel gierinnen in rhythmischer Eleganz vor deutschen Soldaten tan zen, denen das Grauen des Schützengrabens noch in den Augen stand, ich beobachtete die »Kirmes«, Theater und Kinos in ihrer überfülle — und fand nirgends einen Krieger, der Deutschland, sein Deutschland gegen dieses Brüssel getauscht hätte, dem es mehr gewesen wäre als die Zerstreuung des Augen blicks. Wir mutzten weiter. Unser V-Zug rollte stampfend aus der Halle, er durchschifft! Westbelgien und trug uns zur Front. Einsame Landsturmposten winkten uns nach; manche von ihnen hatten große Schilder aufgerichtet, aus denen sie um Zei tungen baten. Denn alle Züge halten weite Strecken und hiel ten selten; in die Abgeschiedenheit dieser braven Bahnwachcn drang nichts vom Leben der Welt. Wir kamen nach Frankreich und hielten in Lille; das Kampf gebiet begann. Im Bahnhof spielte eine Jnfanteriekapelle deutsche Lieder; wir sahen nichts als Feldgraues. Am Abend dieses Tages wurden wir noch einmal in dem sauberen Hotel eines kleinen französischen Städtchens einquar tiert; zum letzten Male streckten wir unsere Glieder in breiten. Weichen Betten. Von fernher donnerten die Artillerien. Dann nahm uns eine Kleinbahnlokomotive ein Stückchen mit. und endlich marschierten wir in das Dorf unseres Kom pagniequartiers. Der westliche Himmel grollte wie in ewigem Gewitter; er war blutrot, denn die Sonne nahm Abschied vom Tage. Quartier. Viele Vögel zwitschern in unserm Wäldchen. Die Sonne steht warm darüber und wirst Helle Flecke durch das dicke Laubdach. In den kleinen Holzbarackcn. die schmuck wie aus der Spiel zeugschachtel hier und da und dort stehen, wohnen die Pioniere. Mit Sorgfalt und Liebe haben sie es sich heimisch gemacht. Ruhe bänke stehen überall, und kleine, wetterfeste Lauben, wie in deut schen Gärten, lugen einladend aus dem reichen Grün. Nicht ohne Geschmack sind die Innenwände dieser Einzimmcrhäuschen mit den farbigen Stoffen der Sandsäcke bekleidet, und jede Lager statt hat ihren bunten Vorhang, so daß sie ausschaut wie ein Jungmädchenbett zur Biedermeierzeit. Manchmal gibt es auch richtige Deckengemälde auf weißleinenem Untergrund, patriotische Symbole usw. Und abends sorgt elektrisches Licht für ange nehme Geselligkeit; meist aber sitzen die Kameraden drautzen auf den Ruhebänken und plaudern von der Heimat. Gespräche, bei denen das Getöse der Front da vorn überhört wird Unter dem Trommeln der Artillerien und Mine» zittern und beben unsere Hütten Tag und Nacht. Aber wir spüren das kaum mehr; denn was wir »vorn« erleben, hat unsere Nerven grob gemacht. Oft aber kommen Flieger über uns. in Geschwadern und einzeln. Dann treten wir aus unserem Wäldchen und sehen zu, wie die Artillerien gegen sic peitschen, oder die Riesenvögel im Duell gegen sich ankämpsen. Hier war es auch, wo Jmmelmann aus der Sonnenhöhe von Erfolg und Heldentum aus die sommer blühende Erde stürzte. 926 Ganz versteckt aber unter riesigen Buchen, in denen Wild tauben gurren und bunte Finkcnmännchen ihrer Liebe Lust hin auszwitschern, haben andere Kameraden ihr stilles Quartier. Tie hören nichts mehr von dem Brüllen der Front und haben ihren Frieden unter blumigen Hügeln .... An unser Wäldchen lehnt sich das Dorf. Die Deutschen schu fen es aus Trümmern neu. Es fehlt auch das Kino nicht und die kleine Feldbuchhandlung, in der es Costers Ulenspiegel und mancherlei Gutes (aber auch Wertloses!> neben Zeitschriften und Tageszeitungen zu kaufen gibt. Beides sind militärische Unter nehmungen. und der Reingewinn fließt Hinterbliebenen zu. Leider aber fand ich hier, wie in anderen Feldbuchhandlungen, nicht die Leitung des Fachmannes, des buchhändlerischen Kol legen; man hat beliebige Kameraden hinter den Büchertisch ge stellt. die ditz-»geistigc Ware kantinenmäßig verkaufen. Wieviele Buchhändler mag es in einer Division, ja schon in einem Regi ment geben, die sich mit Liebe und Eifer der Aufgabe unterziehen würden, ihre Kameraden den Weg zum guten Buch zu führen! Es ist Sonntag heute. Die Kapelle eines Reserveregiments spielt heilere deutsche Lieder, Volksweisen und Operetten aus der Vorkriegszeit. Wir liegen im Grase und ruhen von der Arbeit der Nacht. Hoch über uns strahlt die Sonne des dritten Kriegssommers. Unentwegt trommeln die Artillerien weiter gegen den zin nernen Himmel.... Frühsonntag im Schützengraben. Ganz langsam sickert die Sonne in die Stellung. Sie ver treibt daraus ein kleines, kaltes Windchen, das die Nacht ver gessen hat. Die Posten frösteln und drücken hin und wieder einen harten Schuß in die diesige Leere. Wie um mehr zu hören als sich. Wir stecken tief im Graben, dessen Kanten sich langsam röten und blaß und hell werden. Von der Sonne, die über Deutschland ausgeht. Eine ziemlich fette Ratte trabt das Stellungslabyrinth ent lang. Sie ist Wer Nacht bei den Soldaten gewesen und sucht nun Ruhe für den gemästeten Bauch. Ganz bedächtig tritt sie von einer Bodenlatte zur andern, plumpst aber doch in den wässrigen Lehm, schüttelt sich und legt sich hin. wo die Sonne eben zu Boden kommt. Ein Musketier tritt sie mit dem Stiefelabsatz tot und wirst den Kadaver wie eine Steinschleuder über die Brustwehr. Daraus schießt der Brite einen kurzen Gewehrschuß. .... Päng .... Zwei kleine Mäuse beschnuppern den Bluffleck und spielen Zeck. Die Sonne steigt. Der schmale Ausschnitt des Himmels bläut sich. Wie groß ist eigentlich der Himmel, wenn man ihn ganz sieht? Wir suchen diese Vorstellung, denn es ist lang' her, daß wir ihn so sahen. Aus dem Kochgeschirr, das eben ein lehmbetriefter Soldat an uns vorbcizwängt, steigt warmer Kaffeegeruch. Die zwei Mäuschen flitzen erschrocken in ein- und dasselbe Loch. Nun liegt nur noch ein fingerdicker Regenwurm da, der nichts merkt und sich immer aus- und zurollt. Ich glaube, Regen würmer sind taub . . . Der Posten hinter der Biegung, die uns nur drei Meter nach rechts und zwei Meter nach links sehen läßt, wird abge- löst. Wir hören, wie er sich die Handgranaten an das Koppel bindet und vorsichtig aus dem Stand steigt. Nun kommt er vorbei — Ganz, ganz ruhig tritt die Ablösung an seine Stelle, legt die Granaten neben sich und beginnt, gegen den Feind zu starren; 30 Meter gegenüber. Eine Mine zerplatzt. Lauter Sprengstückchen singen sekun denlang in der Morgenluft. Ganz fern bellt ein Maschinen gewehr wie der Wachhund in einem Dorfe; heiser und weit. Der Sanitätssoldat eilt geschäftig zur Stelle der Minen» explosion. Seine Weiße Armbinde mit dem Roten Kreuz ist sauber und sonntäglich. Nachher bringen sie drei Kameraden