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Redaktioneller Teil. >6 3, 4. Januar 1918. Der Zwicbelfisch erinnert an den Fall des Lenienverlags. Der,liegt ganz anders. Dort handelte es sich um Dinge, die der Verein, der Vorstand, die Mitglieder nicht billigen würden. Im Falle Stille aber ist festgestellt, daß der Betrieb einwandfrei ist; daß zu Anfang möglicher Weise (das mutz noch bewiesen wer den) technische Mängel Vorlagen. Auf die Verdächtigungen, die der Zwiebelfisch gegen den Charakter der Herrn Kommerzien rat; Stille geäußert hat <z. B. mit dem Worte: Ein Revolver ist keine Tugendbürste), gehen wir nicht ein. Das ist Gegenstand des schwebenden Beleidigungsprozesses. Wir halten uns an die Tatsachen, die der Zwiebelfisch vorgebracht hat. Nur wenige lammen in Betracht. Es ist eine Kinobibliothek verkauft wor den, die schlüpfrigen Inhalts war; es sind Bücher von Marie- Madeleinc verkauft worden; es sind allzu viele Ullsteinbände verkauft worden; es sollen Perlen unserer Literatur, der Faust, der Kohlhaas (von Kleist), der Hauff nicht in den Feldbuch handlungen zu finden gewesen sein. Den Ankauf der Kinobibliothek hat die Firma Stilke beim ersten Angebot abgelehnt, ohne den Inhalt näher zu prüfen. Beim zweiten Angebot erschien der Verkäufer in Offiziersuni« form und brachte eine Bescheinigung eines Militärkommandos bei, in der gesagt war, daß gegen den Verkauf der Sammlung in Feldduchhandlungen nichts einzuwenden sei. Daraufhin ist die Sammlung erworben worden, aber nicht im Ramsch, wie der Zwiebelfisch behauptet. Als man inne wurde, daß der In halt frivol sei, ist die Sammlung zurückgezogen worden. Hier lag ja eine Unachtsamkeit vor, die aber mit Rücksicht aus die vor aufgegangene militärische Prüfung verständlich ist. Die Bücher von Marie-Madeleine werden noch heute ständig vom Sorti mentsbuchhandel Vertrieben. Wenn es ein Verbrechen ist, solche literarischen Werke zu verbreiten, so sind Hunderte, ja Tausende von Sortimentern des gleichen Fehltritts schuldig. So unan ständig, wie der Zwiebelfisch aber gelegentlich ist, sind jene Schriften nicht. Dort sind wiederholt unanständige Notizen und Anekdoten erschienen, mit denen sogar Reklame gemacht wird. Zum Beispiel in der Selbstempfehlung des Zwiebelfischs in dem Prospektbuche: »Das schöne Buch«, das auf der Bugra 1914 verteilt wurde; dort finden sich als »Kostproben« sechs solcher Notizen (Der Ekel vor der Gemahlin; Dame mit Hund; Arrogante Damen von Welt zu frozzeln; Die Rosine im Kuchen; Die Zeichnung mit der Unterschrift: Zum Schriftenstreit u. a.). Auch die Septembernotiz über das Fremdwort »repunsieren« ist unanständig, und noch manches andere. Es ist ja sehr bedauerlich, daß die Kinobibliothek in die Hände unserer Krieger geraten ist: wir wollen diese Tatsache nicht im mindesten beschönigen. Viel schlimmer aber dünkt es uns, daß solcher Fusel ins Kinopublikum, in die Hände von halb wüchsigen Mädchen und unreifen Burschen geraten durfte. Dort nämlich stiften sie wirklich Schaden: unsere Feldgrauen sind ja alle wehrhafte Männer. Und diesen gesteht der Zwiebelsisch doch selber gepfefferte Geistesnahrrmg zu. Der Standpunkt des Zwiebelfischs ist genügend gekennzeich net durch seine eigenen Worte: »Wenn Männer miteinander reden, so sind es sachliche Dinge forschend, resultierend, zu weilen bereichernd. Oder sic .spielen' Unterhaltung, albern, zotend — immerhin aber unvcrhüllt!« Solcher Art sind auch die Latrinengeschichten des Zwiebelfischs; sie lassen an Unver- hülltheit kaum zu wünsche» übrig. Eine dieser Notizen, die der Zwiebelsisch zur Empfehlung seiner Art benutzt, wollen wir dem Leser zu kosten geben, damit er selber urteilen kann. Wir ber schen sie gleich mit einigen Glossen, indem wir uns an das be währte Muster des Zwiebelfischs halten. »Arrogante Damen von Welt zu frozzeln empfiehlt Mon sieur de Saint Hubertin ein reizendes Mittel.« (Anmerkung: frozzeln ist ein wienerischer Ausdruck für hänseln, aufziehen, Monsieur de Saint Hubertin ist offenbar, wie sich aus dem Fol genden ergibt, der Verfasser eines Breviers für Weltleute.) »Man harre ihrer« — nämlich der arroganten Dame - »auf dem Rennen oder sonstwo an einem eleganten Orte vor einem jener Häuschen, in denen alte Damen Türen öffnen. (Ein Kloster ist hier nicht gemeint; der Zwicbelfisch kennt seine Leser: Diese wittern, daß es sich um einen andern Ort der Weltflucht handelt, nämlich den, wohin selbst Kaiser Karl der Grosze keinen Vertreter schicken konnte, wie Heinrich Seidel einmal treffend bemerkt.) Der Zwiebelsisch fährt fort: »Man warte, bis sie kommt. Eines Tages wird sie kommen.« (Ein seltsamer Tog- genburg!) »Dann tritt sie ein, und wenn sie verschwunden, geht man mit der Miene des dazugehörigen Gatten zu dem allen Weiberl, dem man ein Zehnerl in die Hand drückt, indem man mit einer Bewegung nach der Tür andeutet, für wen man ge zahlt habe. . . . Wenn die Dame wieder erscheint und der Alten ihren Obolus entrichten will, wird diese ihr sagen: Es ist schon bezahlt.??!« (Diese Interpunktionszeichen deuten das stumme Spiel der Heldin des »Glücks im Winkel« an.) »Der Herr dort.« — (Gedankenstrich I Die Interpunktion des Zwiebel fischs ist bewunderungswürdig.) Die Anweisung, die der Herr nein, Monsieur de Saint Hubertin, seinen Jüngern gibt, geht noch Wetter: »Sie stehen draußen vor der Tür und lächeln ver traulich. Sie mutz an ihnen vorüber. Was kann sie tun? Sie kann nichts tun. — (Wieder ein Gedankenstrich!) Sie muß an ihnen vorüber . . . (Drei traumverlorene »versonnene« Punkte!) Aber, Monsieur de Saint Hubertin, wenn nun die Dame nochmals zahlt? Was dann? Ist nicht zehn gegen eins zu wetten, datz keine falsche Bescheidenheit die Pförtnerin der Stätte, wo das Gemeine klanglos zum Orkus hinabgeht, ver- anlaßt, die Spende zurttckzuweisen? Kommt dann nicht der Ritter Toggenburg um seinen Lohn? Und ferner, aus die Frage: Was kann sie tun? könnte es doch auch eine andere Ant wort geben. Wie, wenn die »arrogante Dame von Welt« so arrogant wäre, ihrem zuvorkommenden Pseudogatten eine Maulschelle zu verabreichen? Soll dann der — nicht arrogante — Herr von Welt die arrogante Dame von Welt wieder hauen? Über diese tiefer liegenden Probleme ist der Zwiebel fisch anmutig hinweggeglitten. Ihm genügt die zarte Würze, die von dem abseits gelegenen Orte auszugehen Pflegt. Durch solche Notizen will nämlich der Zwiebelsisch der guten Gesellschaft aufhelsen, die nach seiner Meinung »innerlich wie äußerlich hoffnungslos vcrpöbelt« ist. Darum wünscht diese edelgesinnte Zeitschrift auch Förderung ihres Strebens »ganz einfach deshalb, weil auch die anständigen Leute von gutem Geschmacks Interesse an einem Zusammenschlüsse haben« (wört lich aus dem »Schönen Buch«, das die obige Notiz und noch andere, ganz ähnliche enthält). Man sollte nun hiernach meinen, daß der Zwiebelsisch den Maßstab, den er für sich selber gelten läßt, auch bei anderen als zulässig ansehen würde. Aber weit gefehlt! tzuock licet ckovi, denkt er, non licet bovi und sllhlt sich dabei als ckupiter tonans. Unsere Soldaten sind keine höheren Töchter. Das Leben der Kaserne ist kein Klosterlebe», die Lieder, die die Wackeren beim Heimwege singen, kann man nicht aufschreiben, ohne be fürchten zu müssen, datz die Tinte rot aus der Feder fließt. Des halb braucht man also nicht zu besorgen, daß unsere Feldgrauen an ihrer Seele Schaden nehmen, wenn ein Paar Hefte Kino- bibliothck mit schlüpfrigem Inhalt durchgeschlüpft sind, oder weil Marie-Madeleines Produkte Eingang in die Feldbuchhand- lungcn gefunden haben, so wie sie in den heimischen Buchhand lungen (leider!) noch heute Vertrieben werden. Der Zwiebcl- fisch ist ja auch nicht ängstlich; er denkt, daß die »anständigen Leute von gutem Geschmacks« seinen Kaviar getrost hinunter schlucken, sonst würde er ihnen solche Leckerbissen doch nicht vor- setzen. Diese Sorte Literatur ist eben für jene Männer be stimmt, die, wenn sie »Unterhaltung spielen«. Albernes, Zoten des, Unverhülltes genießen wollen. Diese Art Literatur steht auf derselben Stufe wie die Theaterstücke, die heute der großen Masse dargeboten werden: Die spanische Fliege, Charleys Tante, Der Feldherrnhügel und andere Herrlichkeiten. Was nun die Ullsteinbändc anlangt, so sagt der Zwiebel fisch selbst: »Fern liegt mir die Behauptung, in Ullsteins Roma nen fehlten gute Bücher, oder an dem oder jenem an der Front protegierten Bücherschatze . . . aber unerhört ist es und in An betracht der Grüße der Gefahr verbrecherisch . . . eine . . ^