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Nichtamtlicher Teil. 284. 8. Dezember 1910. und Schauwut auf das wenige nnd so überaus armselige, das wir erhaschen konnten und das vorhanden war, und verschlangen es wieder und wieder, und heute drängt einander das Neue und immer Schönere, daß es schwer wird, eines und das andere in dem rauschenden, wechselnden Strome festzuhalten und uns inner lich zu eigen zu machen? »Was würde der feine Beurteiler erst zu dem Aufwand sagen, der heute, und ganz besonders um diese weihnachtliche Zeit, an Büchern und Buchausstattungen getrieben wird, und der, verwirrend schon beim Besuch der einfachsten großstädtischen Buchhandlung, ver zehnfacht erscheint auf einer auf Vorführung von Luxusausgaben und Vorzugsdrucken angelegten Ausstellung, wie sie der Verlag C. Boysen, Heuberg 9, in seinen oberen Geschäftsräumen dar bietet. Ob alle diese, in teilweise abenteuerliche, teilweise aber auch mit vollendetem Geschmack hergestellten Bucheinbände einen dem reichen Äußeren gleichwertigen geistigen Inhalt haben, mag ja dahingestellt bleiben. Aber die Empfindung, daß alle auf die Gewinnung einer veredelten Buchausstattung abzielenden Bestrebungen unmöglich wären, wenn nicht die Anteilnahme des Publikums die erforderliche Unterlage hierzu böte, ist nicht von der Hand zu weisen. Damit führt dieser eine Schluß zu dem andern hin, daß die vielgeglaubte Annahme, es sei der für die Zeitung arbeitende Tagesschriftsteller der Verdränger des Buches, weil das in unserer vielgeschäftigen Zeit noch vorhandene Lese bedürfnis durch ihn seine Deckung erhält, vielmehr eine Korrektur in dem Sinne erheischt, daß gerade durch die aufklärende und an leitende Tätigkeit des Journalisten das Interesse an der Buch- literatur eine Erhöhung erfährt, weil er das Geschäft der Auswahl vereinfacht und durch seine kritische Beleuchtung ebenso dem lesenswerten Buche den Eingang in den Familienkreis erleichtert, wie er ihn für das nicht empfehlenswerte Buch erschwert und auch völlig verschließt. Und wie mit der wissenschaftlichen und der schönen Literatur, so verhält es sich auch mit den illustrierten Werken. Welches Aufhebens, wenn vor Zeiten ein paar Kupfer stiche dem Texte eingefügt waren, oder wenn eine Mappe eine Anzahl Stiche zu einem für sich abgeschlossenen Ganzen vereinigte! Sparsamkeit und das berechtigte Empfinden, höheren Ansprüchen ja doch nicht genügen zu können, standen allen, auf eine Weiterent wickelung auf diesem Gebiete abzielenden Bestrebungen hemmend entgegen. Mit dem Fortschreiten der photomechanischen Druck verfahren haben wir aber auch hier eine geradezu sprunghafte Entwicklung genommen, und wenn wir heute auch Zeuge sind von völlig unbegreiflichen Preissteigerungen auf dem graphischen Kunstmarkte, so geht parallel mit dieser Erscheinung, die doch wohl nur als eine zum Sport ausgeartete Sammelmanie be- trachtet werden darf, die Tatsache, daß man heute für billigstes Geld Drucke nach an und für sich unbezahlbaren Originalen ins Haus gestellt erhalten kann. »Eine im Frühjahr dieses Jahres im Kunst- und Gewerbe- Museum veranstaltete Schriftkunstausstellung hat uns schon ein mal Gelegenheit geboten, auf den, auf dem Gebiete des Buchdrucks und der Buchkunst eingetretenen Aufschwung ausführlich hinzu weisen, wobei wir als das besonders Verdienstvolle dieser Aus stellung die sich damit ergebende Gelegenheit zum Anstellen von Vergleichen zwischen englischem und deutschem Typendruck und eng lischer und deutscher Buchausstattung im allgemeinen bezeichnten, mit dem Bemerken, daß beim Vergleichen die Wagschale sich leider sehr zu gunsten Englands neige. Es ist erfreulich, und doppelt er- freulich für uns Hamburger, weil zahlreiche der hier ausgelegten Werke hamburgischer Herkunft sind, daß der auf der Frühjahrsaus stellung über den Stand der deutschen Buchausstattung empfangene bedingt gute Eindruck durch die Ausstellung in dem Etablissement C. Boysen eine ganz erhebliche Steigerung zu gunsten Deutschlands erfährt, was um so höher zu veranschlagen ist, als es sich hier nicht um für Liebhaber im besonderen Auftrag, mit feier tägiger Grandezza hergestellte Uniques, sondern um für noch unbekannte Käufer bestimmte Massenartikel handelt. Nicht, als ob alles hier Gezeigte eitel Vollendung wäre. Es ist viel mehr mancherlei mit ausgelegt, das an Uneignung, als Lese oder Anschauungsmaterial zu dienen, kaum zu überbieten wäre, wobei namentlich in betreff der Formate und des Eng druckes arge Versündigungen wider das Auge des Lesers mit unterlaufen. Aber im großen und ganzen ist in Druck, Papier und Einband, mit einem Worte in der ganzen Aus stattung, die Tendenz auf die Gewinnung einfach eleganter Formen auch dort gerichtet, wo es sich um Prachtwerke handelt, wobei allerdings eine gewisse vorzugsweise Anlehnung an mehr alte, in Baroko und Renaissance fußende, als auf moderne Stil formen hervortritt. »Was nun den hamburgischen Anteil an dieser Errungenschaft betrifft, so erteilen Auskünfte hierüber zahlreiche der hier aus gestellten Werke, die, nach Ausstattung und Inhalt, zu den Haupt stücken dieser Ausstellung gehören. So z. B. Giacomo Casanovas »Erinnerungen«, die in sogenannter Blockschrift (römische Antiqua), Aureliano de BerLates »Velasquez« (der in Renaissance-Antiqua), das Buck »Judith« (alte Fraktur), der Pracht-Katalog der Werke französischer Kunst des 18. Jahrhunderts u. a. m., die sämtlich mit von der hiesigen Firma Gentzsch L Heyse geschnittenen Typen gedruckt sind, während andrerseits die Herstellung einer Anzahl ebenfalls erstklassiger Werke (darunter I. K. Huysmans' im Auf träge eines Pariser Verlags in sogenannter »Goethe-Schrift« in französischer Sprache gedrucktes Werk: »8aints I^ä-nias äs LodisäLku«) von der früheren Hamburgischen Verlagsanstalt, oder, wie sie jetzt heißt, von der Druckerei-Gesellschaft Hartung L Co. m. b. H., hergestellt sind. ^V.« (Hamburger Nachrichten.) Jahrestag der deutschen Bibliophilen. — Die diesmalige Hauptversammlung deutscher Bibliophilen fand am Sonntag, den 4. Dezember, unter außerordentlich starker Teil nahme aus allen Gegenden Deutschlands und aus Deutsch-Öster reich in einem der »Rheingold«-Festsäle in Berlin statt. Herr Fedor v. Zobeltitz eröffnete mit einer nach manchen Richtungen hin recht bemerkenswerten Einleitungsrede die Ver handlungen. Er wies namentlich auf eine gewisse Beob achtung aus den letzten Jahren hin, die auf eine gewisse Abflauung in dem Interesse an der Buchliebe schließen lasse. Nicht bloß der allerdings zeitweilig stark übertriebene Sammel eifer für die Romantiker habe nachgelassen — das war vorauszu sehen —, sondern auch die Teilnahme der Bücherfreunde an der klassischen Literatur lasse nach. Dagegen mache sich andererseits in der überhandnahme der Neudrucke, der Luxusausgaben eine Veräußerlichung der Bibliophilie, ein gewisser »Snobismus« breit, dem man entgegentreten sollte, ohne der berechtigten Freude an dem wirklich schönen Buche Abbruch zu tun. — Die Aus führungen des hervorragenden Bückerkenners und Bücher sammlers fanden allgemeine Zustimmung. Ergänzend dazu bemerkte Herr Feigel-Wien, daß vielfach an diesem Rückschläge die Antiquare selber schuld seien durch ihre oftmals übertrieben hohen Preisforderungen. Zum Beweise seiner Be hauptungen führte er einige besonders drastische Fälle an. Hierauf erstattete Herr Professor S chüddekopf - Weimar seinen Jahresbericht. Die Gesellschaft ist mit ihren 900 Mit gliedern fatzungsgemäß vollzählig; ihr Haushalt weist abgerundet 11411 an Einnahmen und 10165 ^ an Ausgaben auf. Die diesjährigen Publikationen, nämlich der erste Band des von vr. Hirschberg herausgegebenen Rückertnachlasses und ein in der Neichsdruckerei hergestellter prachtvoller Faksimiledruck »vsksnZoriuiu invioIatLS virAmitatis Narias« nach d m einzigen in der Pariser Bibliothek aufbewahrten Original, sowie das Jahrbuch werden demnächst an die Mitglieder versendet. Außerdem hat Herr Regierungsbaumeister Weißstein, ein Bruder des verstorbenen Bibliophilen Gotthilf, der Gesellschaft mit dem Kataloge der be- einzelnen Empfänger müssen sich jedoch schriftlich verpflichten, die Exemplare nicht zu verkaufen. Eine Beschränkung, die die un widersprochene Zustimmung der Versammlung erhielt. Hierauf sprach Herr Professor Loubier über Hans Grise- bach, den Bruder des Dichters und Büchersammlers. Er schilderte ihn als einen ungemein sorgfältig vorgehenden und glücklichen Bibliophilen, der im ergänzenden Gegensatz zu seinem Bruder nicht sowohl die literarisch-systematische Seite der Buchliebhaberei als vielmehr die rein ästhetische pflegte. Er war zunächst von seiner Berufsliteratur, der Baukunst, ausgegangen. Auf diesem Gebiete hatte er die erlesensten Stücke nach und nach zusammengebracht. Dann ging er allmählich dazu über, kostbar ausgestattete Bücher aus der Zeit des Frühdrucks bis hinan an die Schwelle des neunzehnten Jahrhunderts zu sammeln. Er besaß bibliophile Kostbarkeiten aus italienischen, deutschen, französischen und niederländischen be-