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14950 SLa-AvIL« «N4v. Vu4him»< Mchtamtlicher Teil, ^ 274, 25. November ISIS naturgemäß umfassende Literaturkenntnisse. Die Schwierig keiten, sich solche in ausreichendem Maße zu erwerben, sind nicht gering, sie werden immer größer mit der zunehmenden Spe zialisierung gerade der größeren Sortimente, die sehr häufig ganze Wissenschaften überhaupt nicht mehr führen. — Es ist daher sehr wünschenswert, daß der junge Buchhändler in einem kleineren allgemeinen Sortiment entweder lernt, oder in einem solchen nach beendeter Lehrzeit möglichst bald Stel lung nimmt. Und zwar möglichst in einem Sortiment einer Universitätsstadt. Hier allein ist ihm die Möglichkeit gege ben, eine sichere Grundlage der nötigen Titelkenntnisse zu er werben. Möglichkeit ist freilich nicht Sicherheit. Es gehören ei» sehr starkes unermüdliches Interesse, eine angeborene gute Auffassungsgabe und ein gutes Gedächtnis dazu, um diese Möglichkeit richtig auszunutzen. Ich erinnere mich mit be sonderem Vergnügen meines Lehrprinzipals, der noch zu jener alten Schule gehörte, die hier und da ihre Zöglinge mit kleinen Ansprachen erfreute. Er Pflegte zu sagen: Ein Buchhändler darf nie den Titel eines Buches wieder ver gessen, das er einmal in der Hand gehabt hat. Und er sorgte dafür, daß ich drei Jahre hindurch während der Ostermesse jedes Buch des umfangreichen Lagers wenigstens einmal in .Händen hielt. Im übrigen gibt es heute eine Reihe vorzüg licher Hilfsmittel, auf die wir haben verzichten müssen. Vor zwanzig Jahren gab es kaum eine brauchbare kurze Lite raturgeschichte, die bis auf die neueste Zeit reichte. Und wo diese doch behandelt wurde, fehlte es an einem richtigen Urteils vermögen. Man kann sich schlechterdings die Zeit heule nur noch schwer vorstellen, die jene fast unheimliche Fülle billiger Sammlungen mit ihren ausgezeichneten kurzen Darstellungen aller Disziplinen noch gar nicht kannte, obwohl kaum zwanzig Jahre darüber verflossen sind. Heute gibt es unzählige Mög lichkeiten für den jungen Buchhändler, rasch und unauffällig die Lücken seines Wissens auszufüllen. Man hat manchmal den Eindruck, namentlich wenn man ein ganz modernes Sor timent betritt, mit Liebhaberausgaben und Privatdrucken im Fenster, daß diese jungen bibliophilen Buchhändler vielleicht in der Fixigkeit, mit der sie sich allen literarischen Mode« strömungcn anzupassen verstehen, ihren Vorgängern überlegen sind, aber daß ihnen wirkliche gründliche Kenntnisse durchaus fehlen. Es macht einen peinlichen Eindruck, wenn ein ele ganter junger Mann eben sich und seinen Kunden an dem neuesten Musterdruck vom Gyges und sein Ring begeistert und im nächsten Augenblick, wenn jemand eine Reclamausgabe von Herodes und Mariamnc verlangt, zurückfragen muß: von wem, bitte? Überhaupt soll sich der junge Buchhändler nie ein bilden, baß er genug weiß. Er wird täglich eines besseren belehrt. Zu verlangen ist unter allen Umständen eine gute allgemeine Kenntnis der schönen, wünschenswert eine wenigstens leidlich Vollständige der wissenschaftlichen Literatur, möglichst mit Ein schluß der technischen Wissenschaften. Wirklich erworben wer den kann gerade die Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur natürlich nur durch die Praxis. In literarische Diskussionen mit Kunden soll man sich nur mit Vorsicht, mit Matz und Zurückhaltung, und nur dann einlassen, wenn man sicher ist, die Werke, über die gesprochen wird, aus eigener Kenntnis beurteilen zu können. Wobei zu beachten ist, daß ein Werk kennen noch nicht heißt, es richtig beurteilen zu können. Nichts erzieht so sehr wie der Ladenverkchr zur Menschen kenntnis, und ein wirklich guter Verkäufer wird bald hecaus- haben, ob der Kunde Belehrung und Beratung sucht. Er wird diese nicht aufdrängen, sondern sie nur anbieten, wenn sie gewünscht werden, und nur, soweit er sie mit gutem Ge wissen zu geben vermag. Es gibt natürlich Fälle, in denen man weiter gehen mutz. Hier und da erscheinen Hilflose, die den Buchhändler als Fachmann zu Rate ziehen, wenn sie etwa ein Taschenbuch für Elektromonteure erwerben wollen, oder wenn sie ein Haus zu bauen im Begriffe sind und nach Vor lagen suchen. Das schließt natürlich nicht aus, daß der Verkäufer sagt, was er weiß, und Rat erteilt, so gut er kann. Aber im allgemeinen ist Vorsicht durchaus am Platze. Auch dann, ja man kann sagen besonders dann, wenn man es wirklich besser weiß. Es kommt vor, daß jemand eine Shakespeare-Ausgabe nicht kaufen will, weil sic von 1900 ist: Da steht doch das Neueste nicht darin! Und es kommt vor, daß dann ein junger Verkäufer dem bücherfremden alten Onkel, der keine Zeit hatte, sich um die Literatur zu kümmern, seine Unwissenheit zu Gemüle führt. Das ist durch aus nicht die Aufgabe des Verkäufers. Und man darf es als eine besonders schöne und besonders wichtige Aufgabe des Buchhändlers betrachten, in solchen Fällen, die täglich, wenn auch nicht immer in so augenscheinlicher Weise passieren, den Kunden »durch Irrtum zur Wahrheit reifen« zu lassen, und zwar so, daß er es nicht merkt und ohne daß er sich bloßgestellt fühlt. Ein freundliches Lächeln wird immer gern gesehen, ein spöttisches dagegen immer unangenehm empfunden. Einen schlechten Eindruck macht von vornherein eine Ge wohnheit, die leider in vielen und auch in manchen großen Sor timenten herrscht. Das ist die, einen Kunden, der den Laden betritt, ungebührlich lange warten zu lassen. Es ist ein ge radezu typischer Vorgang, der sich da immer wieder in gleicher Weise abspielt: Das Personal an verschiedenen Pulten im Hintergründe. Vorn an der Kasse das Fräulein. Alles tief gebeugt über die Pulte. Manchmal eine halbe, manchmal eine Minute lang, manchmal noch länger. Dann endlich naht der Verkäufer; zuweilen, und nicht gerade selten ist der Kunde Zuhörer eines Zwiegesprächs, das etwa lautet: Herr Müller, gehen Sie doch vor! Herr Müller: Ich kann nicht, ich habe zu tun! <Zum Lehrling:) Los, Meier! Gehen Sie vor! Nun kommt der Jüngling Meier, der seit einem halben Jahre sich in diesen Räumen als Fakturenordner betätigt. Er ist furchtbar schüchtern, versteht den Titel entweder gar nicht oder falsch, nimmt wiederum die Hilfe des Herrn Müller in Anspruch, der mit dem deutlichen Ausdruck der Verstimmung auf den schönen Zügen sich nunmehr endlich herbeilätzt, persön lich nach dem Begehren des Kunden zu fragen. Eine andere verbreitete Unsitte ist es, wenn ein Verkäufer, der einen Auf trag etwa auf eine Reclam-Nummer erhalten hat, sich für zu erhaben hält, um diesen selbst auszuführen und einen Unter gebenen mit der Weiterbedienung beauftragt. Das ist eine offene Mißachtung der Kunden, die in ihrer Ungehörigkeit nur noch übertroffen wird durch die Gewohnheit mancher Ver käufer, sich die Kunden, die sie bedienen, auszusuchen, um andere sich aber möglichst überhaupt nicht kümmern. Na türlich ist es erwünscht und immer ein gutes Zeichen, wenn gute Kunden sich an einen Verkäufer gewöhnen. Gerade diese persönlichen Beziehungen bilden die stärksten Anziehungs kräfte, über die ein gutgeführtes Sortiment verfügt. Und es ist nichts dagegen zu sagen, wenn ein Verkäufer die Ab wickelung eines Schulbücher- oder Traumbuchberkaufes an einen Kollegen abgibt, wenn etwa ein guter Kunde den Laden betritt, der gewohnt ist, von ihm bedient zu werden. Auch hier kommt alles daraus an, nicht was, sondern wie es geschieht. Ein seltener Kunde wird einen Wechsel des Verkäufers nicht übelnehmen, wenn er deshalb nicht weniger rasch und zuvor kommend bedient wird. Da wir gerade von der raschen Be dienung sprechen: auch hier ist nicht immer und überall alles so, wie es sein sollte. Man Pflegt sich beim Einkauf eines Buches in der Regel mehr Zeit zu nehmen, als wenn man sich Zigarren kauft oder sich rasieren läßt. Man wartet auch ganz gern einmal, zumal wenn es interessante Neuigkeiten zu bc- sichtigen gibt. Das darf aber nicht zu jenem langsamen Tempo in der Bedienung führen, das manchmal geradezu den Charakter der Verschleppung und der Bummelei