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H 168, 23. Juli. Nichtamtlicher Theil. 3147 wird, den Roman zu verleihen gegen den Willen des Autors. Die zweite Folge aber wird sein, daß der bemittelte Theil des Publi kums, zumal derjenige, welcher es „für guten Ton" hält, ein neues Werk von Spielhagen gelesen zu haben und darüber sprechen zu können, den Roman kaufen wird, welchen er bisher für zwei Gro schen in der Leihbibliothek gelesen hat. Denn ein Jahr lang zu warten, bis das Buch „frei" wird für die Leihbibliothek, geht doch unmöglich an. Der unmittelbare Absatz des Romanes wird dem entsprechend ein nach deutschen Verlegerbegriffen ganz kolossaler sein, und voraussichtlich bereits in vier Wochen eine dritte und vierte Auflage nöthig werden. Das aber bedeutet für Spielhagen eine wiederholte Honorirung des Werkes, aus welche er sonst wohl viele Monate warten müßte. Es bedeutet aber noch mehr. Denn der unverhältnißmäßige Gewinn, welchen solche rasch wiederholte Auf lagen des Buches dem Verleger einbringen, wird ihn bald, wenn er ein anständiger Geschäftsmann ist, veranlassen, den Autor auch au dem Gewinn der einzeln verkauften Exemplare procentualiter Theil nehmen zu lassen, wie dies ja auch die Pariser Verleger ihren Autoren gegenüber thun. So z. B. zahlt Charpentier seinen Autoren von jedem verkauften Exemplar 40 bis 50 Cts. außer dem Verlagshonorar und Emil Zola, dessen Romane bisher in 500,000 Exemplaren abgesetzt sind, hat allein au Exemplar- Tantiömen eine Viertel Million Francs im Verlaufe von zehn Jahren eincassirt, ganz abgesehen von den Zeitungs- und Verlags honoraren. Diese Ziffer beweist wohl, daß es durchaus nicht natürlich ist, den Romanschriftsteller darben zu lassen, während der untergeordnete handwerksmäßige Possenschreiber Tausende von Mark in Tantiemen eincassirt. Es ist damit der Nachweis geliefert, daß es bei uns nur an den vertracten Zuständen des Buchhandels und Leihbibliothekengeschäftes liegt, wenn selbst unsere anerkannte sten Romanschriftsteller nicht jene Einnahmen haben, welche sie haben sollten und haben könnten. Und so wie wir in der Frage der Theater - Tantiemen bei den Franzosen in die Schule gegangen sind, so werden wir auch in Bezug auf die Einträglichkeit der Romanschriftstellerei bei ihnen in die Schule gehen müssen. Die erste Aufgabe wird sein, das feine und bemittelte Publi cum daran zu gewöhnen, daß es Bücher kauft und das kann nur dadurch geschehen, daß man es der Benutzung der Leihbibliotheken entwöhnt. Den entscheidenden und bahnbrechenden Schritt nach dieser Seite hin müssen die renommirten Autoren thun, indem sie den Leihbibliothekvertrieb ihrer neuen Werke für das erste oder für die ersten zwei Jahre des Erscheinens ihrer Werke verbieten. Das Gesetz ist in dieser Beziehung auf ihrer Seite, es wird sie schützen, es wird geschaffen werden, um sie zu schützen. Damit im Zusammenhang aber muß eine wesentliche Herabsetzung des Bücherpreises eintreten; es muß ein mäßiger, uniformer Preis eingeführt werden, wie das in Paris längst der Fall ist. Ein fran zösischer Roman hat immer nur den Umfang eines Bandes, und dieser Band kostet immer nur höchstens 3 Fr. 50 Et. Damit aber ist durchaus nicht gesagt, daß alle Romane die gleiche Länge haben. Es gibt Romane, die nur 16 Bogen stark sind und auf der Seite nur 26 Zeilen splendiden Druckes haben, — und es gibt Romane, wie Zola's „Assommoir", welche über 30 Bogen stark sind und auf der Seite 40 und mehr enggedruckte Zeilen aufweisen, was also mehr als den doppelten Umfang repräsentirt. Und beide Romane kosten dasselbe Geld, denn der Franzose kauft seine Bücher nicht nach dem Umfang, er kauft ein Kunstwerk, er kauft ein Geistes- product, dessen Werth er nicht mit der Elle mißt. Bei uns aber leisten die Verleger in Bezug auf den Druck und die Preise der belletristischen Werke ganz Unglaubliches. Ein Manuskript, welches den Umfang eines Bandes repräsentirt, wird in 3 Bänden gedruckt. Man stellt 20Zeilen auf die Seite und die Zeile wieder wird auf 10 bis 12 Silben beschränkt, und dazu nimmt man starkes Papier, von welchem 14 Bogen bereits einen stattlichen Band bilden. Der Preis für solch ein dreibändiges Werk wird dann mit 10 bis 15 M. sixirt und ein geübter Romanleser kann in einer Nacht mit der Lectüre zu Ende gelangen. Bis zu einem gewissen Grade also sind es die unverantwortlich hohen Preise, welche für deutsche Romane verlangt werden, die dem großen Publicum den Ankauf derselben unmöglich und selbst dem Bemittelten schwer machen. Und nun kommen wir in den wunderbaren Hexentanz von Schlüssen, welche in dieser Beziehung gezogen werden. Der Verleger sagt: ich muß meine belletristischen Verlagsartikel im Preise hochstellen, weil fast nur die Leihbibliotheken meine Abnehmer sind. Das Publicum sagt: ich muß die belletristischen Werke ans der Leihbibliothek nehmen, weil die Verleger die Preise dafür unerschwinglich hoch stellen. Dabei machen die Verleger mittelmäßige Geschäfte — zumal sie ganz unglaublicher Weise dem Leihbibliothekenbesitzer die Romane zum Buchhändlerpreise (!) ablassen, — das Publicum entwöhnt sich des Bücherkaufens gänzlich, liest schmierige Exemplare seiner Lieblingsinchter und entbehrt des Besitzes einer Bibliothek; die Autoren schließlich müssen ruh- und rastlos schaffen, um sich halb wegs eine ihrer würdige Existenz zu ermöglichen und die Leih bibliotheken prosperiren ganz außerordentlich. Die Dame in der Equipage, der gallonirte Dienerund die arme Beamtentochter, sie alle sind dort zu finden, und doch ist die Leihbibliothek nur inso fern zu billigen und zu fördern, insofern sie dem un bemittelten Publicum die Möglichkeit schafft, sich mit den Werken seiner Dichter bekannt zu machen, und nur insofern hat sie eine sittliche Berechtigung, nur insofern hat das Gesetz ihre Existenz zu schützen. Die Leihbibliotheken sind geistige Volks küchen oder sie sollen wenigstens solchen Charakter haben. Und reiche Leute, welche eine Tafel mit acht Gängen bezahlen, Equipage und gallonirte Dienerschaft und eine Loge im Theater halten können, denken wohl nicht daran, in der Volksküche, in Suppen- und Theeanstalten zu speisen, — sie sollen also auch das Beneficium der Leihbibliotheken nicht in Anspruch nehmen. Es steht mir vollkommen fern, den Bücher-Leihinstituten, in soweit sie ihren humanen Zweck erfüllen und dem großen unbemit telten Publicum den Genuß der Geistesnahrung zu billigsten Preisen vermitteln, entgegenzutreten. Wenn sie sich hierauf beschränken, bringen sie in der That auch weder dem Verleger noch dem Autor irgend welchen Schaden. Wohl aber muß, meiner Ansicht nach, mit aller Energie daraufhingearbeitet werden, daß das bemittelte und reiche Publicum die Bücher kauft, sich daran gewöhnt, Bücher zu kaufen und die Benutzung der Leihbibliothe ken als eine für sie — gelinde gesagt — unziemliche Handlung zu perhorresciren. Das aber kann nur zuwege gebracht werden, wenn die Autoren den Leihbibliothekvertrieb ihrer neuen Werke für ein Jahr verbieten, wenn die Verleger den Preis ihrer Werke auf ein uniformes Minimum fixiren, und anstatt den Autoren hohe Verlags honorare zu zahlen, welche immer ein Risico in sich schließen, das Verlagshonorar herabmindern, dagegen aber den Autoren einen Gewinnst-Antheil an jedem verkauften Exemplar zuwenden, also eine Art Tantieme einführen, welche in ihrem Wesen der Theater- TantiSme vollkommen entspräche. Ich glaube, daß auf diese Weise allen Theilen geholfen sein würde, ohne daß die Leihbibliotheken in ihrem Bestände gefährdet und dem heute noch stichhaltigen Vorwurf ausgesetzt wären, durch ihren Geschäftsbetrieb den Verlegern und Autoren Schaden zu ver ursachen. Allerdings käme ein Theil des bücherlesenden Publicums, welcher absolut auf die Leihbibliotheken angewiesen ist, erst nach Jahresfrist in die Lage, einen neuen Roman von Spielhagen rc. zu lesen; doch auch diesem Theil des Publicums wäre durch die wesent- 447*