Volltext Seite (XML)
75, 30. März 1912. Nichtamtlicher Teil, Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 4105 an den unberechtigten Remittenden oder Dtsponenden, deren Erledigung die darauf verwendete Zeit und Arbeit fast nie lohnt. Dabei ahnen viele Verleger und speziell solche, die nie praktisch im Sortiment gearbeitet haben, gar nicht, wie viele von diesen Differenzen auf ihr eigenes Konto kommen und wie unendlich viel sie zur Vereinfachung der ganzen Abrechnung beitragen könnten durch mehr kaufmännisches Denken und eine ebensolche Buchführung. So erscheint in München eine Zeit schrift, die sich außer den Abonnements auch zum Einzel- Vertrieb eignen mag. Obgleich selbst bei Absatz aller ge lieferten Exemplare ein nennenswerter Verdienst für den Sortimenter dabei kaum herauszusehen pflegt, so mag sich der eine oder andere doch dazu bereit erklärt haben, mehr aus Ge fälligkeit für den Verleger als aus Gewinnsucht. Nun ver langt der betreffende Verleger, um die Sache recht einfach zu gestalten, vierteljährliche Abrechnung, und hat die Gewohn heit, die zur Fortsetzung und zum Einzelverkauf gelieferten Nummern, von denen die elfteren in alte, die letzteren in neue Rechnung und demnach auch auf zwei verschiedene Konten gehören, auf ein und dieselbe Faktur zu buchen! Was daraus, namentlich bei Gehilfenwechsel, zu entstehen Pflegt, kann sich jeder Sortimenter denken. Dazu kam, daß die betreffende Zeitschrift dreimal ihren Verleger gewechselt oder wenigstens ihre Firma geändert hat, zuerst unter dem Namen ihres Ver legers, dann Verlag des XXX, dann XXX Verlag. Ich habe letzthin einen geschlagenen Nachmittag und Abend darauf ver wendet, um die Sache in Ordnung zu bringen, fand dabei drei verschiedene Konten mit den entsprechenden Unterabteilungen und machte die angenehme Entdeckung, daß fast alle d. eonä.- Exemplare, die sich nach langem Suchen in ziemlicher Voll zähligkeit beieinander fanden, auf die drängenden Rekla mationen des Verlages hin schon bezahlt waren. Bei dem jetzt vorgenommenen Remissionsversuch kann ich erleben, daß der Verleger unter Hinweis darauf, daß die Exemplare längst als abgesetzt bezahlt seien, die Rücknahme verweigert. Dann könnte ich jahrelang alle für den Einzelverkauf gelieferten Nummern restlos absetzen, bevor ich bei dieser Gefälligkeit für den Verleger auf meine Kosten käme. Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über, und da ich gerade dabei bin, so möchte ich noch einen anderen dunklen Punkt in unserem Berufsleben erwähnen. Jetzt ist ja die fröh liche, selige Remittendenzeit, und dabei kann jeder tagtäglich folgenden Fall erleben: Geliefert sind acht Exemplare irgend eines Buches; alle sind ordnungsgemäß und nach bestem Können und Wissen zur Ansicht versandt worden; zwei davon stehen im Lager, eins findet sich nach langem Suchen im Schaufenster, zwei weitere sind sicher abgesetzt und können be zahlt werden, macht fünf. Die drei übrigen stehen noch zur Ansicht aus oder werden vom Empfänger beanstandet, und ihr Absatz ist mehr als zweifelhaft. Bezahle ich sie nun, so kann ich in neun von zehn Fällen sicher sein, daß, wenn sie zur nächsten Messe noch zum Vorschein kommen sollten, die Rück nahme kaltbliitig vom Verleger mit der Bemerkung »kommt nicht in Rechnung vor« abgelehnt, und daß das feste Lager in unliebsamer Weise durch sie vergrößert wird. Ich bin also, und zwar vom Verleger selbst, geradezu gezwungen, diese drei Exemplare »blind« zu disponieren. Diese blinden Dispo nenten bilden einen Krebsschaden in unserm Beruf, und dabei denke ich nicht an diejenigen Firmen, die an chronischem Kapi talmangel kranken, sondern an gut fundierte Häuser, die dem Verleger gerne geben würden, was ihm von Rechts wegen zu kommt. Wenn die Verleger wüßten, wieviel Millionen jahraus jahrein auf diese Weise und durch ihre eigene Schuld brach liegen, ich glaube, sie würden sich eines andern besinnen und weniger scharf Vorgehen. Wie machen das nun andere Leute, z. B. die Franzosen, bei denen im Buchhandel von einer straffen Organisation Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. eigentlich nicht gesprochen werden kann? Vor allem wesent lich einfacher: Wenn ich beispielsweise 1000 Frcs. zu ver rechnen habe, so bezahle ich dem Verleger ruhig den mutmaß lichen Absatz, sagen wir 500 Frcs., vielleicht auch noch mehr, weil ich sicher bin, daß die bei der nächsten Abrechnung zum Vorschein kommenden Bände anstandslos zurllckgenommen werden; ich remittiere diejenigen Werke, die keine Aussicht auf Absatz mehr bieten, im Betrage von 250 Frcs., aber nicht etwa spezifiziert, sondern summarisch, so und soviel Bände L 3 Frcs. 50 Cts., ä. 5 Frcs., ü 7 Frcs. 50 Cts. usw., und trage endlich den Rest von 250 Frcs., ebenfalls summarisch als un verkauften Lagerbestand oder »Invenüus«, wie der Franzose sagt, in neue Rechnung vor. Damit sind beide Teile voll kommen zufrieden. Für eine peinlich genaue Abrechnung, so wie sie verlangt wird, brauche ich bei einem großen deutschen Verleger ebensoviel Zeit, wie für alle französischen Verleger zusaminengenommen. Welches System ist nun Wohl einfacher, rationeller? Um unsere Organisation mögen uns die Fran zosen beneiden, um unfern Abrechnungsmodus beneiden sie uns nicht, ja sie würden sich schütteln, wenn sie ihn in allen seinen Einzelheiten kennen würden. Ernst Waldmann. Die Brücke. Unsere Zeit mit ihren gesteigerten Anforderungen steht im Zeichen der Organisation. Daß in allen Einrichtungen mensch licher Gemeinschaft ein gesundes Leben nur durch lebendige Wechselwirkung der Individuen gedeiht, ist eine Erkenntnis, die dem Menschen schon auf frühester Stufe, auf dem Übergang vom Naturzustand zum Kulturzustand klar wurde; sie ist eine Haupt grundlage jeglichen Kulturlebens. So sind wir schon längst von einer Organisation des Staates, der Gesellschaft usw. zu reden gewohnt. Das ausgehende neunzehnte Jahrhundert hat diesen Organisationsgedanken bewußt in neuem, rein wirtschaftlichem Sinne geformt. Ob sich verschiedene kapitalistische Unterneh mungen zu einer festen und einheitlichen Organisation eines großen Gesamtunternehmens zusammenschließen, ob die Inter essengemeinschaft Handel und Gewerbe oder Arbeiterverbände eint, überall sehen wir den gleichen Gedanken wirksam: durch Konzentration ökonomischer und dadurch gewinnbringender zu arbeiten. Für die geistige Arbeit fehlte bis heute noch solche Organi sation im großen. Gewiß finden wir schon Teilgebiete bis zu einem gewissen Grade, oft bis ins einzelne, organisiert, doch sind solche vereinzelte Organisationen der zufälligen Not des Augen blicks entsprungen, eine planmäßige Zusammenfassung der geistigen Arbeit zu einem Einheitlichen, zu einem Organismus ward immer dringender Bedürfnis. Es gilt deshalb vor allem, aus der Theorie und aus der Praxis, aus dem Wesen der geistigen Arbeit und aus den bisher entstandenen Einzelorganisationen das Gesetzmäßige herauszusondern und daraus die Methoden zu entnehmen, mit deren Hilfe die vereinzelten Ansätze zum Ge samtorganismus zusammengefaßt werden können. Das Streben, diese inselartigen Einzelorganisationen und die überhaupt noch nicht organisierten Teile der geistigen Arbeit untereinander durch Brücken zu verbinden, gab dem besonders durch Ostwalds Anregung ins Leben gerufenen Institut für Organisie rung dergeistigenArbeit den kurzen prägnanten Namen »Die Brücke«, über die Ideen und Ziele des weitausschau enden Unternehmens orientiert trefflich seine erste größere Ver öffentlichung: Bührer und Saager, Die Organisierung der geistigen Arbeit durch die Brücke. Verlag von Fr. Seybold's Buch handlung, Ansbach 1911. VIII und 178 S. Broschiert 3 ^ 50 ord., gebunden 4 ^ 26 ord. Der Plan zu dieser Organisierung rührte von K. W. Bührer her. vr. Adolf Saager hat ihn zu Papier gebracht. Das Buch ist mit außerordentlicher Klarheit geschrieben, in trefflicher Über sichtlichkeit gedruckt, so daß es jedem einigermaßen denkfähigen Menschen verständlich sein muß; es wendet sich an alle, deren Arbeit irgendwie im Dienste des Geistes steht; ein kulturhisto- 636