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4104 .«ü-nNart >. ». LV4». «Lchr-nd-r, Nichtamtlicher Teil. ^ 7S, SO. März 1S12.H Nichtamtlicher Teil. Aus dem Schweizer Buchhandel. 11. Ob Wohl die zahlreichen Verleger, die den Sortimenter immer wieder aufz neue um »recht tätige Verwendung« für ihre Verlagskinder ersuchen und ihm dafür goldenen Lohn in Aussicht stellen, ahnen^was dieser für seine Verwendung alles zu hören kriegt? Vor mir liegt der Brief eines Herrn, der nie mit Ansichtssendungen überhäuft wurde, bei dem man aber für ein bestimmtes Werk Interesse voraussetzen durfte, und der auf die Zusendung des Buches wörtlich antwortet: »Ich er kläre Ihnen hiermit, daß jedes weitere zur Ansicht gesandte Werk, was immer es sei, mit der Schere in vier Stücke zer schnitten Ihnen wieder zurückgesandt werden wird. Allfällige Entschädigungsansprüche werden auf Grund dieses einge schriebenen Briefes abgelehnt und außerdem mit einer Wider klage wegentzausfriedensbruchs beantwortet werden. Ich hoffe, das sei nun deutlich genug, um mich vor weiterer Beeinträch tigung meiner Zeit und Ruhe durch überflüssige Ansichtssen dungen zu schützen«. Ja, deutlich genug ist das allerdings, und etwas weniger Deutlichkeit hätte schließlich auch genügt. Trotzdem ist es bedauerlich, wenn dem Sortimenter sein ge wiß nicht leichter Beruf durch Zuschriften solchen Kalibers noch mehr erschwert wird. Zu unserer Ehre sei's gesagt, daß Briefe in diesem Ton an Verleger von Sortimentern, die sich unverlangte Zusendungen verbitten, doch wohl nicht Vorkom men dürften, und dabei ist zu berücksichtigen, daß unverlangte Zusendungen nicht zu unterschätzende Spesen für den Sorti menter mit sich bringen, die bei Ansichtssendungen ans Publi-! kum wegfallen. Der Verleger, der einen solchen Brief bekäme, würde dem betreffenden Sortimenter kaltblütig und mit sehr viel Recht das Konto sperren, — der Sortimenter darf sich das dem Publikum gegenüber nicht erlauben. Unser heutiges Erwerbsleben ist nun einmal so eingerich tet, daß sich der eine auf den andern stützen mutz, und der Herr, der diesen Brief geschrieben hat, kann in seinem täglichen Leben den Buchhandel ebensowenig entbehren wie jeden an dern Beruf. Endlich noch eine kleine Rechtsfrage: Was würde Wohl der betreffende Verleger dazu sagen, wenn der Sortimenter sich erlauben würde, ihm sein in vier Teile zer schnittenes Buch zurückzuschicken mit der Begründung, daß er, der Sortimenter, an dem Vorkommnis schuldlos sei, da er nichts anderes getan habe, als wozu ihn der Verleger selbst an gelegentlichst ausgefordert habe, nämlich sich dafür zu verwen den? Es ist eben wesentlich einfacher, ein Buch zu verlegen, als es an den Mann zu bringen. Der Lesezirkel Hottingen steht, obgleich er mit dem Buch handel als solchem nicht das geringste zu tun hat, als selbst ständige Firma mit eigener Vertretung in Leipzig im Adreß buch des Deutschen Buchhandels. Ursprünglich ein kleiner Verein, wie tausend andere auch, verfolgte der Lesezirkel Hottingen den Zweck, wie schon aus dem Namen hervorgeht, seinen Mitgliedern für wenig Geld Zeitschriften und Wohl auch Bücher leihweise zugänglich zu machen. Er war, wie es heißt, in seinen ersten Anfängen ein Schülerverein und soll von einigen noch auf der Schulbank sitzenden Gymnasiasten ins Leben gerufen worden sein. Damals konnte niemand voraus sehen, die Gründer Wohl am wenigsten, welche Entwicklung dem Lesezirkel noch einmal beschieden sein würde. Heute ist der ursprüngliche Hauptzweck schon längst zur Nebensache gewor den, heute ist der Lesezirkel Hottingen zu einer großen literari schen Gesellschaft herangewachsen und genießt nicht nur in Zürich, sondern in der ganzen Schweiz solchen Einfluß und sol ches Ansehen, daß, wie ich hörte, die Züricher Buchhändler es nicht riskieren wollten, seine Streichung aus dem Adreßbuch zu beantragen. Eine solche ist auch gar nicht nötig, denn der ge ringe Schaden, den der Lesezirkel dem Sortiment zufügt, wird zehnfach wieder wettgemacht durch die literarischen Abende und sonstigen Veranstaltungen des Vereins, die sich einer un geheuren Beliebtheit erfreuen und die so recht dazu angetan sind, um das literarische Verständnis weiter Kreise, die Freude am Lesen und am Besitz des Buches zu beleben und zu fördern. Von den Veranstaltungen des Vereins nenne ich bloß: eine Ekkehard-Feier auf dem Hohentwiel, einen Seldwyler-Tag, eine Klopstock-Feier auf der Halbinsel Au am Züricher See und viele andere, alle unter großer Mitwirkung, in historisch ge treuen Kostümen und alles fein ausgcdacht, gut arrangiert und durchgeführt. Weniger glanzvoll, aber nicht weniger beliebt sind die Dichter- und Gedächtnis-Abende, die der Lesezirkel Hottingen im Laufe des Winters in den schönen Räumen der Züricher Tonhalle veranstaltet, und es läßt sich nicht leugnen, daß jede dieser Veranstaltungen eine kräftige Nachfrage der Werke des betreffenden Dichters zur Folge hat, ohne daß Ver lag oder Sortiment auch nur einen Finger für diese vorzüg liche Reklame zu rühren brauchen. Der letzte Gedächtnisabend in dieser Art war eine Feier für den im November vorigen Jahres verstorbenen Berner Dichter und Kritiker I. V. Wtdmann. Der bekannte Rezitator vr. Emil Milan aus Berlin war eigens dazu nach Zürich gekommen. Das Programm war gut gewählt und wurde durch musikalische Darbietungen, Gedichte Widmanns in Kompositionen seines Freundes und Intimus Johannes Brahms angenehm unterbrochen. Eigentlich sollte sich dieser Abend zu einer Feier des siebzigsten Geburtstages des Dichters gestalten; nun wurde durch den kurz vorher erfolgten Tod Widmanns eine Gedächtnisfeier daraus. Der Buchhandel hat in Widmann eigentlich mehr verloren als nur den Dichter. Er gehörte zu denen, die die heute so vernachlässigte, sach gemäße Kritik des Buches hochhielten, und wenn er sich, un bekümmert um alle Waschzettel, auch nie genierte, seine Mei nung deutlich zu sagen, so hat er andrerseits durch eine kräftig gebrochene Lanze manchem Autor und seinem Werke zu dem verdienten Ansehen verhelfen. Jahrzehntelang gehörte er der Redaktion des Berner «Bunds« an und mag gerade in dieser Eigenschaft in weiteren Kreisen des Buchhandels bekannt ge worden sein. Auch sonst hat es ihm an Anerkennung seiner dichterischen Arbeit nie gefehlt, gehörte doch Widmann zu dem Kreis, der sich in den neunziger Jahren alljährlich am Hof des greisen Herzogs von Sachsen-Meiningen zu versammeln pflegte. Aus Bern kommt die Nachricht, daß an Stelle des zurllck- tretenden Herrn Morel nunmehr Herr Bundesrat Comtesse zum Direktor des internationalen Amtes für geistiges Eigen tum gewählt und bestätigt worden ist. Wir vom Buchhandel können uns nur gratulieren, an der Spitze eines für unfern Beruf so wichtigen Institutes einen Mann zu wissen, der be reits Beweise seines administrativen Könnens geliefert und als Bundespräsident schon mehrfach an der Spitze des schweize rischen Staatswesens gestanden hat. Herr Comtesse steht heute im 65. Altersjahre. Er ist aus dem Kanton NeuchLtel ge bürtig, studierte in Heidelberg und Paris und trat mit 29 Jahren in die Regierung ein, der er bis zu seiner Wahl als Mitglied des Bundesrates im Jahre 1899 angehörte. Bundespräsident war er in den Jahren 1904 und 1910. Als ein Bericht aus der Schweiz kann das, was ich jetzt erzählen will, eigentlich nicht angesehen werden; aber da der Fall kürzlich in der Praxis mir selbst passiert ist, so will ich ihn doch erwähnen. Vielen andern wird es Wohl ebenso gegangen sein. In Verlagskreisen gilt immer der Sortimenter für das schwarze Schaf, das schuld ist an den zahllosen Differenzen,