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.Hk 224 25. September 1907. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 9621 Außerhalb Europas findet das französische Buch verhält nismäßig geringen Absatz. In den astatischen und afrika nischen Kolonien Frankreichs ist die Kenntnis der französischen Sprache viel zu wenig verbreitet, als daß französische Bücher dort stark begehrt sein könnten; so besitzen z. B. von den 22 Provinzen, die Tonkin umfaßt, nur sechzehn eine Schule, in der die französische Sprache gelehrt wird. In Indien ist der Absatz französischer Bücher nahezu gleich null; Städte wie Calcutta und Bombay kaufen jährlich kaum um einige tausend Francs französische Romane, Zeitungen und illustrierte Zeitschriften, und nicht höher ist, trotz der starken Vorliebe jenes Landes für Frankreich und die französische Sprache, dieser Absatz in Persien. In Afrika kommt fast nur Ägypten mit einem verhältnismäßig hohen jährlichen Betrag als Käufer französischer Literatur in Betracht; auffallend gering ist dagegen die Nachfrage nach französischen Büchern in Transvaal, obwohl die Einfuhr fremder Bücher in jenem Lande im Jahre 1906 den Betrag von 2 Millionen Francs erreichte. In Kanada, das bekanntlich eine sehr starke französische Bevölkerung enthält, erreicht der jährliche Absatz französischer Bücher jährlich etwa 400000 Francs; stärker ist natürlich die Nachfrage nach fran zösischen Büchern in den Vereinigten Staaten, wenn auch genaue Angaben fehlen. Im übrigen Amerika sind namentlich Bolivien, Peru, Brasilien und besonders Argentinien eifrige Käufer französischer Bücher. Nach dem letztgenannten Lande verschickt Frankreich jährlich etwa 40000 Bände; in der Uni versitätsstadt Cordoba ist die bedeutendste Buchhandlung eine französische und bezieht jährlich für etwa 60000 Francs französische Bücher. Namentlich französische Luxusausgaben sind in jenen Ländern sehr beliebt und werden auch seit einigen Jahren gern zu Hochzeits- und Neujahrsgeschenken gewählt. Sehr verbreitet sind dort auch die illustrierten französischen Modezeitschriften, die z. B. in Buenos Ayres allein jährlich in etwa 100000 Exemplaren verbreitet sind; allerdings stammen zum Schmerz des Berichterstatters diese Blätter nicht alle aus Frankreich, sondern werden zum großen Teil in Belgien, einige selbst in Wien und — man höre und staune! — in Danzig hergestellt. Trotz dieser keineswegs unerheblichen Ausdehnung wird, wie bekannt, der Absatz französischer Bücher nach auswärtigen Ländern von England und vor allem von Deutschland er heblich übertroffen. Der französische Bücherabsatz nach dem Auslande hat in den letzten Jahren nirgends eine wesentliche Zunahme erfahren, während der deutsche Absatz gerade in den letzten Jahren außerordentlich gestiegen ist. Der Verfasser der genannten Abhandlung findet diese Tatsache mit Recht für Frankreich besonders unerfreulich, da für dieses Land weit mehr als für Länder mit starkem Geburtenüberschuß seine Bedeutung im Auslande von der Verbreitung seiner Bücher abhängig sei, widmet aber dann den Ursachen des Stillstands eine Unter suchung, deren Ergebnisse wenigstens zum Teil kaum noch als unbefangene Äußerungen gelten und nicht ohne Wider spruch von deutscher Seite hingenommen werden können. Die Ursache des Stillstands im französischen Bücher- absatze nach dem Ausland liege nach des Verfassers Ansicht zum einen Teil in der ungenügenden Organisation des französischen Buchhandels. Die französischen Buchhändler schickten, im Gegensatz zu den deutschen, ihre Verlagsartikel und Kataloge nicht regelmäßig ihren ausländischen Abnehmern zu und verfügten nicht über das Netz gut geleiteter lands- männischer Buchhandlungen, das dem deutschen Buche überall seinen Absatz im Auslande so sehr erleichtere. Betrage doch die Zahl der französischen Buchhandlungen im fremdsprachlichen Auslande kaum mehr als 100, während die deutschen Auslandsbuchhandlungen die Zahl von mehr als 300 erreichten; dazu komme, daß auch die wichtigste» MrsrMatt ftlr Lm Deutsche» Buchhasdel. 74. Jahrgang. Quelle zur Orientierung unter den französischen Neu erscheinungen, die »LibliogrÄplns äö lg. Uranos, äournal gänörgl äs l'Iinprirusris st äs lg, lübrsiris«, — wiederum im Gegensatz zu den deutschen bibliographischen Werken — nur eine sehr unvollkommene Übersicht über die literarischen Neu erscheinungen biete. Wichtiger aber noch als Ursache dieses Stillstands sei eine andre Eigentümlichkeit, die der fran zösischen Bücherproduktion anhafte, und die nach der An gabe und Meinung des Verfassers die deutschen Buchhändler und insbesondere das »Börsenblatt« (?) nicht verfehlten, weidlich zum Schaden des französischen Bücherabsatzes aus zunutzen. Die französische Bücherproduktion bestehe bekanntlich zum großen Teil aus Romanen und sonstigen Werken zweifelhafter, zum großen Teil auch direkt schlüpfriger und schlechtweg unsittlicher Art. Durch diese Gattung Literatur sei nach des Verfassers Ansicht das französische Buch über haupt in vielen Ländern, so namentlich in den Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Transvaal in Mißkredit gekommen und habe eine schwere Schädigung seines Ansehens erfahren. Dieses Mißtrauen gegen die französische Bücher- prodnktion sei dann von der deutschen Konkurrenz gesteigert worden (!), besonders vom Börsenblatt, das sich keine Gelegen heit entgehen lasse, seine zahlreichen und überall verbreiteten Leser von einer gegen ein französisches Buch eingeleiteten Verfolgung in Kenntnis zu setzen und so noch weiter die bereits vorhandenen Schwierigkeiten des französischen Bücher absatzes zu vermehren*); auch die zahlreichen im Ausland be findlichen Deutschen verständen es nach der Meinung des Verfassers sehr geschickt, namentlich in den Ver einigten Staaten, auf Grund dieses Vorurteils die öffent lichen Bibliotheken vom Kauf französischer Bücher abzuhalten (!!) und statt solcher den deutschen Büchern Eingang zu ver schaffen. Allerdings möchte der Verfasser doch nicht so weit gehen, in diesem »unlautern Wettbewerb« der Deutschen den wichtigsten Grund für den größeren Umfang des deutschen Bücherabsatzes zu sehen, sondern macht zum Schluß doch wieder den Deutschen svider Willen eine Verbeugung, indem er die deutsche Organisation des Buchhandels und die Heran bildung des deutschen buchhändlerischen Nachwuchses als mustergültig bezeichnet und seinen Landsleuten zur Nach ahmung empfiehlt. Karl Schneider. *) Die Redaktion des Börsenblattes ist in Wahrnehmung der Interessen ihrer buchhändlerischen Leser verpflichtet, alle polizei lichen und gerichtlichen Beschlagnahmen sowie Verbote von Büchern, Bildern rc, soweit sie ihr glaubhaft bekannt werden, im Börsen blatt bekannt zu geben. Daß sich unter diesen in Deutschland verbotenen Büchern rc. öfters auch Erzeugnisse französischer Herkunft befinden, ist Tatsache. Daß wir durch die pflichtgemäße Bekannt gabe dieser rechtsgültig ergangenen Verbote die Schwierigkeiten des französischen Bücherabsatzes im Ausland vermehren sollten, ist eine kühne Folgerung. Die Diskreditierung der französischen Unter haltungsliteratur wird in erster Linie durch die oben erwähnte Produktion unsittlicher Machwerke selbst besorgt. Daß das Börsen blatt diese -Eigentümlichkeit französischer Bücherproduktion- (die übrigens keineswegs ausschließlich französische Eigentümlichkeit ist) -nicht verfehle, zum Schaden des französischen Bücherabsatzes weid lich auszunutzen«, wie oben gesagt worden ist, dafür Beweise bei zubringen, dürfte schwer halten. Auch die gelegentlich im Börsen blatt erfolgte Mitteilung über ablehnendes Verhalten französischer Landsleute in Südafrika und in Kanada gegen neuere französische Romanliteratur, wegen Unsicherheit über sittliche Unbedenklichkeit, kann den Vorwurf nicht begründen. Diese Mitteilungen waren wohlgemeinten Kundgebungen amtlicher Vertreter der französischen Regierung entnommen. Red. 12b3