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1849.^ 247 Wohi„? Der deutsche Buchhandel, noch vor wenigen Decennien, vermöge seiner Organisation, seiner Solidität, seines Standpunktes, seiner ganzen Verhältnisse nach Innen und nach Außen, seiner Mitglieder, deren Viele das Vaterland und selbst die Gelehrtemvelt mit Stolz zu ihren Söhnen zählten und ihre Namen der Geschichte stets bewahren werden, — mit zu den solidesten kaufmännischen Branchen gehörend, dem Auslande durch alles hier Erwähnte ein unerreichtes, beneidetes Vorbild, — bietet heute eine so zerfahrene, unordentliche Masse, ein so trauriges Jammerbild, daß dem denkenden, seinem Berufe mit Liebe angehörenden Buchhändler, die Frage sich unwillkührlich aufdrängen muß „wohin kommen wir?" Ohne auf Vergleiche mit einer früheren Zeit einzugehen, einer Zeit, die der belebende Geist unserer Tage und der allgewaltige Fort schritt einer Seits, nie wieder zurückwunschen können, dürfte eS doch hier am Platze sein, in kurzer Andeutung d'arauf hinzuwcisen, wo die Krebsschäden des deutschen Buchhandels liegen. Möchten diese Worte zu weiterer ausführlichen Besprechung dieser traurigen Wahr heiten Veranlassung geben und hierdurch diesen Uebeln nach Mög lichkeit Einhalt gethan werden. Redlicher Wille und Ehrenhaftig keit vermögen hier Vielem, wenn auch nicht Allem zu steuern, deßhalb an's Werk, bevor auck uns in dem Zeilfatum „zu spat" die Todes stunde schlagt. Wohin führt uns diese in gar keinem Verhältnisse zum Bedarf stehende, pilzenähnliche Vermehrung der Handlungen? Seit 20Jabren hat sich ihre Zahl verdoppelt und geht's so fort, so haben wir 1860 eine abermalige Verdopplung und zwar der heutigen Anzahl zu gewärti gen. Hierdurch entsteht eine, die solidesten Geschäfte mit sich fortreißende Eoncurrenz, diese führt zur Schleuderei, denn Geschäfte muß man machen, da man leben will, es wird der hierdurch nur sehr spärlich aus fallende Verdienst (?) bei Vielen kaum zur täglichen Nahrung, .weniger noch zu Deckung der Spesen ausreichen, man zehrt die ganze Ein nahme auf, druckt auf Eredit einigen schlechten Verlag, die Oster messen nahen, nicht aber auch die Mittel, die schuldenden Saldi zah len zu können, denn man hat nur Krebse, man borgt im glück lichen Falle das erste Jahr U der Summe seiner Schulden, überträgt i/z auf die Michaelis-Messe, zahlt diese nicht, vertröstet „in Folge der Zeitereignisse" zur folgenden Ostermesse und dann ist man ruinirt und hat zum Ruine Anderer beigetragen. Und die Verleger, die leichtsinnig genug einem Jeden Eredit eröffnen, da auch ihre Mehrzahl in den Zuckungen ihrer Lage, wieder !um jeden Preis sich Absatzquellen für ihre Kinder schaffen will, werden mit in's nicht unverschuldete Elend gezogen. Da warten Autoren, Drucker, Papierfabrikanten, man will und muß leben und die Seinigen ernäh ren, muß vor und in der Welt anständig auftreten und sich zeigen, und dieß führt zur Bekanntschaft einiger wohlwollenden Wechsel- freunde mit 15 und mehr Procenten rc., und wahrlich auch ^ aller Er scheinungen sind kein Gewinn weder für die Wissenschaft und die Lite ratur, noch für das Leben, und könnten füglich ungedruckt bleiben. Jst's doch mit der Achtung, die sich der Buchhandel dem Publicum gegen über in Folge der Unzahl elender Erscheinungen zu erringen wußte, so weit gekommen, daß Buchhändler-Ankündigungen mit zu den Eharla- tanismen gezählt und als solche beachtet werden und Niemand ihnen mehr glaubt, selbst wenn es sich um gediegenere Werke handelt. Bedarf es hiernach der weiteren Frage, wohin diese Massen neuer Etablissements führen? Abgesehen von den Schleudereien der Verleger undSortimenter, die in manchen Gegenden wirklich in's Fabel hafte gehen und den traurigsten Beweis geben, wo das Uebel liegt, sind sehr vielePrincipale auch noch gewissenlos genug, 2, 3, ja selbst Lehr linge anzunehmen (exempla sunt odios»), Jungens, häufig ohne die ge ringsten Vorkenntnisse und Bildung, aufgerafft, wo der Zufall sie finden ließ, und ziehen dann in denselben Laufburschen heran, die nach 4 bis 5 Jahren zum Namen Eommis avanciren. Ist es nicht himmelschreiende- Unrecht, so gewissenlos zu verfahren, junge Leute so um ihr Lebensglück zu betrügen, dieselben zu einem Stande nicht zu bilden, sondern hinzu weisen, wo sie entweder ihr Leben lang eine untergeordnete, keineswegs beneidenswerthe Rolle spielen, oder im glücklichsten Falle Principale werden und zwar ähnlicher Art wie ihre eigenen Lehcherren, — und sich das Krebsübel wiederholt in vermehrter, nur wuchernder Weise. Wohin wird dieß führen? Zu stets sich mehrender Eoncur renz und Schleudere!, zum Ergreifen der verzweifeltsten Mittel, die eine hirnverbrannte Phantasie entdecken mag, — worunterdas unsinnige Rabatlgeben an Privatkunden nicht als das geringste Uebel angesehen werden darf, — zu stets längerem Eredite und schlechterem Zahlen, zu überhandnehmenden Bankerotten, zu Untergrabung jeder ehrenhaften Gesinnung und zu Herabsinken zum Büchertrödel. Das Herz blutet Einem, spiegelt sich so die Zukunft des Buchhandels vor der Seele, sieht man, wie viele Opfer fallen werden und fallen müssen, die be wußtlos diesem Stande zugeführt wurden und nun keine Wahl mehr haben, wenn anders sie nicht die Muskete ergreifen wollen, liest man die Jeremiaden in einer jeden Nummer des Börsenblattes, wo Jam mer den Jammer drängt und gleichsam bändcringend, Verleger und Sortimenter sich wechselseitig ihre Noth zum Vorwurfe machen! — Eollegen — Verleger wie Sortimenter — haltet ein auf dem betretenen Pfade, dämmt den Strom ein, der mehr oder weniger Alle mit fortreißen wird, bedenkt „wo hin kommen wirund wohin müssen die Meisten unter uns kommen, wenn's so fort geht?! Wer det Kaufleute, denn im deutschen Buchhandel sind leider nur sehr wenige Kaufleute im wahren Sinne des Wortes, steuert anderthalb jährigem und noch längerem unbedingten und leichtsinnigen Ereditgeben, lernt rechnen und bilanziren, steuert dem Mißbrauche ewigen ü 6»»d.- Gebens (kein Buch aus früheren Jahren sollte je wieder ä Oond. ge geben werden; dieß untergräbt den Handel und fördert gehaltlose Etablis sements), einiget Euch in Kreis- und andern Vereinen, die thätiger sein müssen, als nur die jährlichen Beiträge einzukassiren, um gemeinsam gegen leichtfertige Schuldenmacher und böse Zahler, gegen übermäßig auftauchende Eoncurrenz, gegen den Mißbrauch des Kundenrabatts und Verleger-Schleuderei, gegen ungerechtfertigte, unbeschränkte und leichtsinnigeAnnahmekenntnißloser Lehrlinge, gegen Etablissements, baac aller Fonds, nur rein darauf hingewiesen, aus den Taschen Anderer zu vegetiren rc. rc., zu handeln. Unterstützt Euch wechselseitig durch öftere Mittheilung Eurer Auslieferungslisten, kürzt dieses, alles untergrabende, lange Ereditgeben, beschränkt dieses, den soliden Buchhandel ruinirende, unbedingte Novitäten-Ver senden. Haltet dann fest an getroffenen Uebereinkünften, haltet im eigenen Interesse streng daran, selbst wenn nicht schon Mannes Wort und Ehrgefühl Euch dazu verpflichteten, denn wahrlich es han delt sich um das Wohl und Wehe nicht nur des Einzelnen, sondern des Ganzen. Es kann noch Manches wieder gut werden, noch ist nicht Alles verloren, noch kann Deutschlands Buchhandel wieder dahin kommen, dem aller anderen Länder durch Intelligenz, Ehrenhaftigkeit, Solidi tät, tüchtige Organisation und Production als Vorbild zu leuchten, noch ist es nicht „zu spät", aber Vereinigung gegen alle einge rissenen Mißbräuche, gegen die Unzahl von Krebsschäden, gegen dieß Wühlen in unserem eigenen Fleische muß staltsinden, wollen wir nicht einem sonst unvermeidlichen Jammer, Elende und sicherem Unter gänge mit Riesenschritten entgegen gehen — und verfallen. Gewiß diese Worte sind gut gemeint und nicht aus Noth pro domo geschrieben, nein die Frage, „wohin kommen wir" und dasHerz haben sie dictirt, die Liebe zum Ganzen sprach sich aus, wenn auch die Feder nur Das anzudeuten vermag, wozu beredtere Worte fehlen. 38*