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9124 Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 201. 29. August 1908. bereit; freilich im trunkenen Zustande ist der -Mushik- zu Aus schreitungen aller Art sehr geneigt, und dann tut man besser, ihm nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen. Aber das soll ja im kultivierten Westen Europas ebenso sein. Mich führten meine Geschäfte zurück nach Riga, der deutschen Stadt am baltischen Strand, wo man nur am Bahnhof merkt, daß man sich in Rußland befindet. Mit seinen schönen Anlagen und prächtigen Gebäuden macht Riga ganz den Eindruck einer deutschen See- und Handelsstadt; fast allgemein hört man deutsche Laute. Wie mir allerdings verschiedentlich gesagt wurde, hat die Russifizterung nicht unerhebliche Fortschritte gemacht, und zwar nicht zum Vorteil der Stadt. Tatsächlich haben ja mit dem ge walttätigen Eingreifen der lettischen Bauern die Stürme der letzten Jahre hier wohl am schlimmsten getobt. Es ist ja noch in aller Erinnerung, wie gerade in Riga die Leidenschaften heftig entfacht waren, und wenn den dortigen Buch händlern verhältnismäßig weniger Schaden zugesügt wurde, so verdanken sie das wohl nur der zentralen Lage ihrer Geschäfte in mitten der Stadt. Trotzdem ist es vorgekommen, daß einem unserer Kollegen die Tageskasse geraubt wurde. Natürlich hatten auch die Buchhändler unter der allgemeinen Depression der Geschäfte sehr stark zu leiden, und erst jetzt fängt man an, sich allmählich zu er holen und auf eine bessere Zeit zu hoffen. Äußerlich macht die Stadt wieder einen völlig ruhigen Ein druck; nur die häufigen Urteile der Kriegsgerichte, von denen man in den Zeitungen liest, erinnern an die vorhergegangenen Ereig nisse und beweisen, daß man den verbrecherischen Unruhestiftern noch energisch zu Leibe geht. An der hier in die Ostsee mündenden Düna gelegen, ist Riga das Zentrum eines äußerst lebhaften Verkehrs; dabei gewährt der nahe Ostsecstrand eine gern benutzte Gelegenheit zur Ruhe und Erholung nach geschäftlicher Arbeit. — Mein Aufenthalt in Riga ist nur kurz, bald sehe ich mich wieder auf dem Wege nach Warschau. Infolge der politischen Verhältnisse sind hier leider wenig geschäftliche Erfolge zu erzielen. Gewiß ist auch für den polnischen Geschäftsmann bei der Einführung eines neuen Unter nehmens der zu erwartende Erfolg ausschlaggebend; aber wenn der deutsche Ursprung des Unternehmens sich nicht völlig verbergen läßt, muß der polnische Geschäftsmann mit der starken Abneigung seiner Käufer gegen alles Deutsche rechnen. Und dieser Faktor erschwert sehr häufig daS Zustandekommen anderswo aussichtsreicher Ge schäfte. In der Stadl selbst beweisen die zahlreichen Gendarmen, Kosakenpatrouillen und Posten, daß der Belagerungszustand noch nicht aufgehoben ist. Ab und zu wird man von Gendarmen auch um Vorzeigung seines Paffes ersucht. Aber sonst ist es allgemein ruhig, und alles geht seiner gewohnten Beschäftigung nach. Auf dem Umwege über Lodz, wo ich einige Stunden Aufent halt nehme, bin ich schließlich doch froh, nach drei angestrengten Reisewochen wieder nach Berlin zurückkehren zu können. Wenn ich meine Erfahrungen auf der Reise zusammenfassen soll, so möchte ich sagen, daß der russische Buchhandel im allgemeinen nicht so gelitten hat, wie man hier vielfach annahm Vor allem haben sich die renommierten alten Firmen als durchaus standhaft und solid auch in den schlechtesten Zeiten bewährt. Daß sich die Geschäftslage stetig tussern wird, ist allgemeine Überzeugung, wenn man auch freilich mir Rücksicht auf russische Verhältnisse seine Geduld etwas meistern muß Für uns deutsche Buchhändler ist die Glschästeverbindung mit Rußland so bedeutend und so wichtig, daß wir nur wünschen können, unsere russischen Kollegen möchten recht bald die teilweise noch fühlbaren Folgen der unruhigen Zeiten überwinden und in nicht allzulanger Zeit sich wieder eines flotten Geschästsganges erfreuen. Kleine Mitteilungen. L«hrerb>blioth»ke«. — Über die Lehrerbibliotheken unserer höheren Schulen hat auf dem dritten Verbandstage des Vereins verbandes akademisch gebildeter Lehrer Deutschlands in Braun schweig Oberlehrer vr. R. Ulrich in Berlin einen bemerkenswerten Vortrag gehalten, der im letzten Hcft der »Neuen Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur und für Pädagogik» vollständig erschienen ist. Der Vortragende würdigte darin, wie ich dieser Quelle entnehme, zunächst die Bedeutung, die diesen Bibliotheken sowohl für das wissenschaftliche Leben an den Lehrerkollegien unserer höheren Schulen als auch darüber hinaus für weitere Kreise des gebildeten Publikums, insbesondere in mittleren und kleineren Städten, zukommt, um dann einige beachtenswerte Gedanken über den weiteren Ausbau dieser Biblio theken und ihrer Organisation anzufügen. Erwägt man, daß den etwa 1500 Lehrerbibliotheken der höheren Schulen des Deutschen Reiches jährlich insgesamt etwa eine halbe Million Mark zu ihrer Vermehrung zur Verfügung steht, so wird man nicht bestreiten können, daß auch die öffent lichen Behörden sich zumeist von dem Werte dieser Bibliotheken überzeugt haben und ihnen grundsätzlich gern ihre Unterstützung leihen; immerhin bleibt in dieser Beziehung, namentlich in Süd deutschland, noch mancherlei zu tun übrig. Unter 300 ^ sollte der Betrag, der den höheren Schulen jährlich zur Vermehrung ihrer Bibliotheken zur Verfügung steht, nirgend heruntergehen, auch nicht an unvollkommenen Lehranstalten mit kleineren Kollegien, die ja gerade infolge ihrer Abgeschlossenheit und der Entfernung von größeren Bildungszentren, in der sie sich zumeist befinden, eines gewissen Ersatzes in ihrer Bibliothek um so mehr be dürfen. Wo es vorkommt, daß etwa städtische Patronate auch diese kleine Summe nicht bewilligen können — oder nicht wollen —, da wäre es nach Ansicht des Verfassers Recht und Pflicht des Staates, im Interesse der Schule helfend oder mahnend ein zugreifen. Von großer Bedeutung wird es dann natürlich sein, daß diese Summe richtig, d. h. in der zweckmäßigsten Weise ausgegeben wird; vor allem soll sich also eine Lehrerbibliothek davor hüten, ihre Mittel für kleine, unbedeutende Werke, Broschüren usw., die nur der elementaren Einführung in ein Wissensgebiet dienen, zu verschleudern. Wenn auch die kategorische Weisung einer älteren preußischen Bibliotheksverfügung, in der es einfach hieß: »Bücher, welche neu unter 1 Taler kosten, muß sich jeder Lehrer aus eigenen Mitteln anschaffen», uns heute allzu pedantisch Vorkommen mag, so lag ihr doch ein berechtigter Gedanke zugrunde, nach dem auch in Österreich grundsätzlich verfahren wird. Der Verfasser hält es darum für richtiger, daß eine Lehrerbtbltothek die etwa 600 die ihr jährlich zur Verfügung stehen, auf ein Dutzend guter Zeitschriften und auf 20 bis 30 größere Werke zu 10 bis 20 ^ und mehr verwendet, als wenn sie diese für solche minder gehalt vollen und bald veraltenden Kleinigkeiten auSgibt. Weiter hält es der Verfasser für gut, wenn benachbarte Schulen, deren Lehrerkollegien sich leicht die gegenseitige Benutzung ihrer Biblioiheken gewähren können, diese Möglichkeit, mehr als heute geschieht, dazu benutzen, um durch ein planmäßiges Vor gehen im kleineren Verband die vorhandenen Mittel möglichst fruchtbar zu machen, vor allem also die Verwertung der Mittel für verschiedenartige Zeitschriften, Sammelwerke usw. ins Auge zu fasten. In einer mittleren Provinzialstadt, die keine größere wissenschaftliche Bibliothek, aber zwei oder drei höhere Schulen init Bibliotheken hat, werden erfahrungsgemäß neben den Zeitschriften und Sammelwerken, die jede Anstaltsbibliothek besitzen muß, oft auch manche minder unentbehrliche, aber doch gute Werke dieser Art zweimal und öfter gehalten, während andere -aus Mangel an Mitteln- nirgend vorhanden sind. So kann man in einer Stadt beispielsweise zwei oder dreimal dicht bei einander den »Hermes«, aber nirgend -Das Rheinische Museum», mehrmals die -Geographische Zeitschrift», aber nirgend »Petermanns Mitteilungen- — und umgekehrt — finden; und dieses Verhältnis findet sicher in zahlreichen Städten und auf Dutzenden von Ge bieten statt, während es doch gewiß nahe läge, daß solche räumlich benachbarten Bibliotheken sich Uber das Halten ihrer Zeitschriften und Sammelwerke gegenseitig verständigen und so eine größere Mannigfaltigkeit wissenschaftlicher Literatur innerhalb eines und desselben Raumbezirkes erwerben könnten, als heute zumeist noch der Fall ist. Ein regelmäßiger, bequem zu handhabender Leih verkehr dieser Bibliotheken untereinander wäre natürlich hierzu die — gewiß nicht schwer zu verwirklichende — Voraussetzung. Erleichtert könnte dieser Verkehr durch ein Verzeichnis der von den höheren Schulen Deutschlands, Deutsch-Österreichs und der Schweiz gehaltenen Zeitschriften und wichtigsten Sammelwerke werden, mit dessen Ausarbeitung der genannte Verfasser bereits vor mehreren Jahren begonnen hat, sowie durch ein Adreßbuch der deutschen Lehrerbibliotheken, das kurz und knapp über die Zahl und Art der Bestände, die Kataloge, die Benutzungspraxis