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Zur Erläuterung des Schreibens des Herrn vr Paetel muß ich auf die Vorgänge selbst noch weiter eingehen. Unterm 13. August hat der Verband der Kreis- und Ortsvereine das folgende Rund schreiben an die Mitglieder'des Verlegcrvereins verschickt: »Der Vorstand des Verbandes der Kreis- und Ortsvereine, dem satzungsgemäß die Aufgabe obliegt, fiir die Ausgleichung der Inter essen von Sortiment und Verlag tätig zu sein, wendet sich an die Firmen des deutschen Verlagsbuchhandelz mit der Bitte, sich der beiliegenden Erklärung anschließen zu wollen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß sich der feste Laden preis, dieses Grundprinzip des deutschen Buchhandels, nicht Mehr ausrechterhalten läßt, wenn es nicht gelingt, den gegenwärtigen Zwist im deutschen Buchhandel zu einem friedlichen Ausgleich zu dringen. Zur Beilegung dieses Konflikts und zum Schutze gemein- sam vereinbarter Bestimmungen ist allein die alle Glieder des Buchhandels umfassende Spitzenorganisation, der Börsenverein, in der Lage. Treten seine Mitglieder, unter Zurückdrängung des Gefühls, mit der einen oder andern Maßnahme des Vorstandes zur Zeit vielleicht nicht völlig einverstanden zu sein, in diesem Willen zur Zusammenarbeit jetzt nicht entschlossen hinter den Börscnvcrein, so ist seine Autorität nach innen und außen dahin, und so tritt an die Stelle der Ausgleichspolitik im Buchhandel die reine Macht politik. Es beginnt der Kampf aller gegen alle, und die Organi- sation, auf deren Geschlossenheit wir bisher stolz sein durften, wird gerade in einem Augenblick zertrümmert, in der wir sie dringender als je zur Bekämpfung zukünstiger wirtschaftlicher Nöte gebrauchen. Da diese Entwicklung für den Verlag — insbesondere für den kleinen und mittleren — nicht weniger bedenklich ist als für das Sortiment, bitten wir Sie, sich dem Vorgehen des Verbandes der Kreis- und Ortsvereine anzuschließen, bis es der im Oktober statt findenden ao. Hauptversammlung des Börsenvereins hossentlich gelingt, zu einer allseitig befriedigenden Einigung zu gelangen.« Die beigesügte Erklärung hatte folgenden Wortlaut: Erklärung. »Entgegen der Aussorderung des Vorstandes des Deutschen Verlegervereins an seine Mitglieder, bei Verkäusen an das Publi kum vom 1. August ab nach den von ihm aufgestellten »Richtlinien» zu verfahren und somit gegen die vom Vorstande des Börsen- Vereins, als dem von der Hauptversammlung allein zur Regelung dieser Angelegenheit Beaustragten, beschlossene Notstandsordnung fortgesetzt und geflissentlich zu verstoßen, erklären die Unterzeich neten Firmen, daß sie für sich und den gesamten Buchhandel die Notstandsordnung in der Fassung vom 17. Juli 1920 als allein verbindlich erachten. Sie erkennen an, daß in dieser Fassung, der das Sortiment zugestimmt hat, der Abbau der Notstandsordnung bereits begonnen hat und soweit ersolgt ist, wie es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Buchhandels zurzeit zulassen. Sie erblicken in der Stellungnahme des Vorstandes des Deut schen Berlegervereins eine Untergrabung der Autorität des Börsen- Vereins und damit eine schwere Gefährdung des Fortbestandes unserer bewährten Organisation.« Mit diesem Rundschreiben beschäftigt sich der Vorstand des Deut schen Verlegervereins in der neuesten Nummer seiner »Mitteilungen«. Er schreibt darüber: »Die Rundschreiben des Verbandes der Kreis- und Ortsvereine vom 12. und 13. August dürfen wir nicht unerwidert lassen. Denn wenn auch der Verband sicher die beste Absicht hat, »ausgleichend zu wirken, so läuft sein Vorgehen tatsächlich doch auf eine Zer- splittcrung des Verlages hinaus, wie denn auch in dem einen Rund schreiben die »kleinen und mittleren« Verleger gegen die übrigen ausgespielt werden. Es ist irreführend, wenn der Verband be hauptet, es handle sich um die Erhaltung des Ladenpreises und des Börsenvereins. Erstcrer ist tatsächlich aufgehoben, und eben aus seine Wiederinkraftsetzung zielt unser Vorgehen. Letzterer wird auch diese Kämpfe überstehen, wenn er seine Stellung über den Parteien zu wahren vermag. Um was es sich vielmehr handelt, das ist das ausgesprochene Streben des Sortiments, dem Verleger sein Recht auf Bestim mung des Ladenpreises und aus Festsetzung der Bezugsbedingungen aus der Hand zu winden und die geschäftlichen Maßnahmen des einzelnen Verlegers abhängig zu machen von Vereinsbeschlüssen, bei denen das Sortiment durch Mehrheit entscheidet. Der Kampf geht also um Lebensfragen deS Verlages. Der formalistischen Berusung des Verbandes auf den Buch- staben der Notstandsordnung gegenüber sind wir genötigt, zu be tonen, daß wir schon seit Jahresfrist wiederholt erklärt haben, daß die Notstandsordnung dadurch außer Kraft gesetzt worden ist, daß sie von der anerkannten Vertretung des Sortiments durchbrochen und vom Börsenverein nicht geschützt wurde. Gleiches Recht für alle! Man darf nicht verlangen, daß die Notstandsordnung nur von der einen Partei besolgt wird, während sie die andere un gestraft verletzen darf. Wir empfehlen unseren Mitgliedern dringend, sich zum minde sten vor der Herbstversammlung nicht durch die vom Verband vor gelegte Erklärung festzulegen, die sich in ihren Folgen gegen die Unterzeichner selber richtet.« Nun, meine Herren, was die Erklärung anlangt, so kann ich fest stellen, daß dieselbe bisher anerkannt und unterzeichnet worden ist von rund 150 Mitgliedern des Deutschen Verlegervereins, also von einer stattlichenAnzahl, und es befinden sich darunter sehr angesehene Firmen des Verlags. Sie sehen daraus immerhin, daß in weiten Kreisen seiner Mitglieder der Verlegervereinsvorstand nicht unbedingt aus eine Zustimmung zu seinem Vorgehen rechnen kann. Ein ähnliches Resultat hat auch eine Erklärung gehabt, die die Hamburger Mit glieder des Berlegervereins verschickt haben. Wir behalten uns vor, das Ergebnis dieser Umfrage, denn cs ist ja gewissermaßen eine Um frage, im Börsenblatt bekanntzugeben. Nun dürfen Sie nicht über sehen, meine Herren, daß die Nichtunterzcichnung der »Erklärung« seitens der übrigen Mitglieder des Verlegervereins nicht etwa eine Ablehnung bedeutet, denn wir haben außerdem eine ganze Anzahl Zuschristcn angesehener Firmen erhalten, in denen sic uns Mit teilen, sic seien mit dem Vorgehen des Berlegervereins nicht ein verstanden, wollten sich aber durch Unterzeichnung der »Erklärung, nicht vor der Hauptversammlung sestlegen. Es ist also anzunehmen, daß noch eine weitere stattliche Anzahl von Vcrlagssirmcn aus dem Boden unserer »Erklärung» steht. Ich glaube, ich kann meine Ausführungen hiermit abschlteßen, und möchte Ihnen Vorschlägen, daß wir uns heute mit den Gründen, die der Verlegervereinsvorstand für sein Nichterscheinen angegeben hat, nicht weiter auseinandersetzen. Wir haben uns mit der Tat sache abzusinden, daß er nicht anwesend ist. Unser Ziel geht darauf hinaus, positive Arbeit zu leisten; ein Eingehen aus die Ablehnungs gründe würde Zeitvergeudung sein. Ich schließe in der Hoffnung, daß die Abgeordneten der Kreis- und Ortsvereine die vom Verbands- Vorstand befolgte Politik gutheißen, und erteile nunmehr das Wort Herrn Nitschmann zu seinem Referat (das in Nr. 9 des Buchhändler gilde-Blatts vom 15. September 1920 abgedruckt wurde und deshalb hier nicht wiederholt wird). Vorsitzender Herr Walther Jäh (Halle a. S.): Ich danke Herrn Nitschmann auch im Namen des Verbandsvorstandes dafür, daß er so bereitwillig das Referat übernommen hat, das er uns in so maßvoller und sachlicher Weise hier erstattet hat. Ehe wir in die Diskussion ein- trcten, legt der Vorstand des Verbandes Wert daraus, Ihnen seine eigene Meinung über diese Angelegenheit bekanntzugeben. Ich erlaube mir deshalb, Ihnen einen Teil des Jahresberichts des Sächsisch- Thüringischen Buchhändler-Verbandes vorzutragen, nachdem sich meine Vorstandslollegen mit diesen meinen dortigen Ausführungen in vollem Umfange einverstanden erklärt haben. (Abgedruckt im B.-Bl. Nr. 22S V.S. Oktober. S. 1204,3. Abs.itzbis S.I208, 3. Absatz.) Wir treten nunmehr in die Diskussion ein, und ich erteile zu nächst das Wort Herrn Geheimrat Siegismund. HerrGeheimrat Karl SicgiSmund (Berlin): Meine Herren, diehisto- rische Entwicklung der Dinge, wie sie bis heute gegangen ist, ist gegeben worden in den ausführlichen Mitteilungen, die uns eben unser ver ehrter Herr Vorsitzender verlesen hat. Ich bin infolgedessen in der Lage, ziemlich schnell über diese Vorgänge hinweggehcn zu können, um nachher auf den Kern dessen etwas ausführlicher eingehen zu können, was ich zu sagen mir vorgenommen habe. Es ist für mich keine Frage, daß an der Entwicklung, wie sie seither gegangen ist, das Sortiment einen wesentlichen Teil der Schuld mit trägt. Die heutige Krisis ist, wenn man zurückblickt und sich die Verhältnisse vor Augen hält, zurückzusühren aus die Disziplinlosigkeit des Sorti- ments im Jahre 1919. Es ist die Notstandsordnung im Jahre 1918 1279