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^ 115, IS. Mai 1811. Nichtamtlicher Teil, Börsenblatt f. b. Dtschn. Vuchhanvc». V119 oder doch hätte gesorgt werden müssen. In diesem »müssen« liegt wohl auch der Grund, warum die Anstalt nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes nicht den Aufschwung ge nommen hat, der zu erwarten war. Das ganze Fachschulwesen befand sich in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhun- derts in den Anfangsstadien, und erst einer späteren Zeit sollte es Vorbehalten fein, die Wichtigkeit der theoretisch-beruflichen Ausbildung zu erkennen. Der andere wichtige Punkt, den ich erwähnen muß, ist die seit 1907 ins Leben getretene Extraner(Vollschüler-)-Abteilung. Schon Direktor vr. Möbius unterbreitete im Jahre 1857 einen Plan, dahingehend, daß neben der Lehrlingsabteilung noch eine solche für junge Leute begründet werden möge, die nach Be endigung des bis zur Konfirmation gewöhnlichen Schulunterrichts sich vor ihrem Eintritt in das praktische Geschäftsleben eine dem Buchhändler notwendige theoretisch, wissenschaftliche Ausbildung anzueignen wünschten. Der Erfolg, den wir mit der Gründung einer derartigen Abteilung gemacht haben, ist bei der Kürze ihres Bestehens noch nicht zu übersehen. Bis jetzt haben 32 junge Leute von dieser Einrichtung Gebrauch gemacht. Um weitern jungen Leuten Ge- legenheit zu geben, sich noch in einzelnen Unterrichtsfächern zu vervollkommnen, haben wir gleichzeitig mit der Extranerabtei- lung die der Hospitanten eingeführt und dann während des Winterhalbjahrs auf Anregung des Königlichen Ministeriums Fortbildungskurse für junge Gehilfen. Seit ihrem Bestehen haben 30 Hospitanten und seit dem Winter 1907 08 343 Gehilfen und 12 Gehilfinnen von diesen Einrichtungen Gebrauch gemacht. Um das Band, das uns mit unseren Mitarbeitern verbindet, noch fester zu knüpfen, haben wir auf einen Antrag des Leipziger Buchhandlungs-Gehilfen-Vereins seiner ansehnlichen Bibliothek gern Unterkunft in unserem neuen Heim geboten, und so stehen unsere beiden Büchereien im wechselseitigen Austausch beiden Teilen zur Verfügung. Bei dem reichen Bestand dieser Büchereien, die von Jahr zu Jahr durch Schenkungen wohl gesinnter Kollegen und Ankäufe vermehrt werden mögen, steht eine starke Benutzung in Aussicht. Mit dem errungenen Erfolg der neuen Schule werden wir aber nicht ruhen und weiter arbeiten an der Vervollkommnung unserer Anstalt und ihrer Einrichtungen. Schon sehen wir eine Umarbeitung des Lehrplans kommen. Neben der Buchgewerbe- künde und der Musikgeschichte gedenken wir jetzt noch die Kunst- geschichte in den Kreis unserer Unterrichtsfächer aufzunehmen. Ob als Wahlfach für die Lehrlingsabteilung oder zunächst nur für die Fortbildungskurse bedarf noch eingehender Erwägung. Jedenfalls sind wir der Meinung, daß neben der Musikgeschichte, die als Wahlfach sich des größten Zuspruchs erfreut, Kunst geschichte nicht minder veredelnd und läuternd auf junge Ge müter einzuwirken vermag. Bei der Neueinrichtung der Schulräume haben wir durch Anschaffung eines Projektionsapparats auf den Unterricht für Kunstgeschichte schon jetzt Rücksicht genommen. Und diese Ein- richtung wird auch auf die Vervollkommnung des buchgewerb lichen Unterrichts einen bedeutenden Einfluß auszuüben ver mögen, um so mehr, als ein Freund unserer Anstalt in dankens- werter Weise wertvolle Diapositive am heutigen Tage ge schenkt hat. Bei der Umarbeitung des Lehrplans möchte ich persönlich die Staats- und Bürgerkunde aufnehmen. Es ist geradezu erstaun lich, welche Gleichgültigkeit und Verständnislosigkeit gegenüber den staatlichen Angelegenheiten in allen Volksschichten zu finden ist. Das Verständnis der Jugend für die Pflichten des einzelnen Staatsbürgers dem Staate gegenüber durch rein sachliche Be- lehrung zu wecken, halte ich für eine notwendige Aufgabe einer Fachschule, wie die unsere. Die Anstalt soll den Schülern eine Reihe von sicheren, auch fürdasbürgerlicheLeben brauchbaren Kennt nissen von den staatlichen Einrichtungen, insbesondere von der Ver fassung und den Behörden, sowie von den Rechten und Pflichten der Staatsuntertanen übermitteln. Das Verständnis für das staatliche Leben soll erweckt und die Überzeugung befestigt werden, daß das Wohlergehen der einzelnen Staatsbürger vom Gedeihen eines geordneten Staatswesens abhängig ist, und daß das Wohl des Vaterlands wiederum auf der Tüchtigkeit und dem opfer bereiten Sinn seiner Bürger beruht. Ich halte deshalb eine sachliche Belehrung über die staatlichen Zustände der Gegen- wart und über ihr geschichtliches Werden für dringend ge- boten. Zu diesem Unterricht hat ja auch unser Kaiser Wilhelm durch seinen Erlaß aus dem Ende der 80er Jahre und durch seine Rede auf der Schulkonferenz 1890 den ersten Anstoß gegeben. In ihrer Weise leistet die sozialdemokratische Partei darin ganz Erhebliches mehr. Und sollen wir hier nicht unsere ganze Kraft einsetzen, unsere Jugend sachlich über Dinge aufzuklären, die ihnen später von anderer Seite beigebracht werden, wie sie durch die Brille der Parteipolitik aussehen! Ich halte die Sache für so wichtig, daß ich nicht anstehen würde, dieserhalb den Unterricht in jeder Klasse um eine Stunde wöchentlich zu vermehren. Wer die Jugend besitzt, hat die Zukunft! Liebe Schüler! Zum Schlüsse möchte ich noch einige Worte an Sie richten. Sie haben heute so viel Gutes und Schönes gehört darüber, was für Sie zu Ihrer Ausbildung von Staat, Stadt, Ihren Lehr herren und uns getan worden ist und weiter getan werden soll, daß ich die herzliche und dringende Bitte an Sie richte: Seien Sie dieser Wohltaten immer eingedenk! Schon an anderer Stelle und -bei anderer Gelegenheit habe ich einmal zu Ihnen gesprochen und Ihnen auseinandergesetzt, daß die Lehranstalt nicht lehren kann, wie man Geld verdient. Wir wissen, daß eine Fachschule nie einen fertigen Gehilfen oder Disponenten erziehen kann, daß das, was man geschäftlichen Blick nennt, sich überhaupt nicht lehren läßt. Die Anstalt kann denen, die in sich die Fähigkeiten zum Buchhändler oder zum Kaufmann haben, dazu verhelfen, diese Fähigkeiten leichter, vollständiger, vielseitiger zu entwickeln und auszunutzen. Die Lehranstalt kann für sich allein nur unfertige Buchhändler heranziehen, genau wie die Hochschule andererseits nichtfertige Verwaltungsbeamte, Richter oder Rechtsanwälte. Zum Kaufmann, Buchhändler, Richter oder Rechtsanwalt wird man nur durch die Praxis. Wir er streben aber eine Ausbildung, die in der Praxis möglichst leicht und schnell und vollkommen dazu werden läßt. Das Schwergewicht der Lehranstalt liegt daher in den Fächern, die nicht bloße Fähigkeiten, sondern eine allgemeine Schulung des Geistes bezwecken. Wir wollen durch unseren Lehrplan eine Brücke schlagen von der Theorie zu der Praxis und suchen jene durch diese zu befruchten. Wir erstreben eine theoretische Vertiefung des praktischen Könnens des Buch händlers, eine Weckung des Bildungstriebes, eine Weitung des Blicks, eine Schärfung seiner Beobachtungsgabe, eine allgemeine Schulung des selbständigen Denkens. Besuchen Sie, liebe Schüler, und namentlich die älteren von Ihnen, die Lehranstalt mit diesen Anschauungen, und lassen Sie Theorie und Praxis in gleichem Maße auf sich einwirken, dann wird es Ihnen um so schneller gelingen, tüchtige Mitarbeiter unseres Berufs zu werden! Das walte Gott!« Namens des König!. Ministeriums des Innern, dem die Lehranstalt als gewerbliche Schule im Sinne des Gesetzes vom 3. April 1880 untersteht, dankte Herr Geheimer Regierungs rat l)r. Stadler für die Einladung zur Einweihungsfeier, der er um so freudiger entsprochen habe, als das Ministerium mit be sonderem Interesse den Entwicklungsgang der Schule verfolgt und ihr Emporblühen — namentlich in den letzten fünf Jahren — mit aufrichtiger Genugtuung begrüßt habe. Die hohen Auf gaben des Buchhandels rechtfertigten eine derartige besondere Lehranstalt, und das Ministerium sei stolz darauf, daß Sachsen als der einzige Staat ein derartiges Institut aufweisen könne, das sich die Ausbildung des buchhändlerischen Nachwuchses zur besonderen Aufgabe mache. Auch er wies, indem er die Schüler gleichzeitig ermahnte, der Worte des Herrn Hirschfeld eingedenk zu sein, darauf hin, daß positives fachliches Wissen zu vermitteln nicht so sehr in den Rahmen der Schule falle, als vielmehr die allgemeine Schulung des Geistes und Herzens der Schüler, damit sie in ihrem späteren Leben den an sie zu stellenden Aufgaben sich gewachsen zeigen. Bisher habe die Schule, die mit ihren 17 Lehrkräften einen tüchtigen Nachwuchs für den im Wirtschafts- 794*