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68, 24. März 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Tlschn. «u»h»ndrl. 3637 Der Buchhandel im Jahre 1844. Aus einem alten Börsenblatt. *Die bekannte Erscheinung, daß die Sorgen der Gegenwart leicht dazu verführen, der sogenannten »guten« alten Zeit lob preisend das Wort zu reden, wiederholt sich auch im Buchhandel. Bei Klagen über gesteigerte Mühen und verringerten Gewinn des gegenwärtigen Sortiments hören wir gelegentlich viel Rühmens von unvergleichlich bequemerem und gewinnreicherem Geschäfts betriebe in früheren Jahrzehnten. Diese Lobpreisungen auf ihr richtiges Maß zurückzuführen, dürfte vielleicht ein alter Börsen- blattartikel aus dem Jahre 1844 geeignet sein, der wenige Tage später auch teilweisen Abdruck im Leipziger Tageblatt gefunden bat und damit der breiten Öffentlichkeit bekannt ge worden ist. Diese alte Zeitungsnummer verdanken wir der Aufmerksamkeit eines Kollegen, mit dem wir gern in der Meinung übereinstimmcn, daß ein wenigstens teilweiser Wiederabdruck des Börsenblattartikels manchem heutigen Leser interessant sein würde. Es ist der Abdruck eines Vortrags, gehalten in der Kreis versammlung der Thüringischen Buchhändler am 2. September 1844. Er findet sich im Börsenblatt Nr. 83 vom 17. September 1844. Der Vortragende ist dort nicht genannt; doch läßt sich aus eigener Erklärung in Nr. 113 des Börsenblatts vom 31. De zember 1844 — und übrigens auch aus dem hier mit abgedruckten Schluß des Vortrags — Bernhard Friedrich Voigt in Weimar als solcher feststellen. Wir geben im folgenden den hier besonders interessierenden Eingang des Vortrags wieder und hoffen, daß er einiger Aufmerksamkeit gewürdigt wird: Ueber Verfall und Wiederaufhülfe des Buchhandels. (Vorgetragen in der Thüring. Kreisversammlung den 2. Sept. 1844). Wir beschäftigen uns viel mit Dingen, die zwar von unserm Interesse für höhere Angelegenheiten des Buchhandels und ihm verwandten Streitfragen zeugen, die aber weniger unfern prak tischen Nutzen und Betrieb betreffen. Nur wenige sind z. B. be theiligt bei der Frage: »ob französische Autoren und Verleger das Recht geistigen Eigenthums in Deutschland oder ein internationales Verlagsrecht ansprechen können«, welcher Gegenstand bisher so manchen guten Kopf ohne sonderlichen Nutzen für unsere Geschäfte beschäftigt und so manche Spalte unserer Buchhändlerblätter an gefüllt hat. Fast scheint es, als wollten wir ein geflissentliches Still schweigen über die wunden Stellen, wo uns der Schuh eigentlich drückt, beobachten, denn nur selten bekennen wir uns aufrichtig, daß das Hauptübel unserer Zeit in dem sich mit jedem Jahre in so erschreckender Weise vermindernden Bücherabsatze liegt, daß sich die zwar zunehmende Lectüre fast nur noch auf Zeitungen und Zeitschriften beschränkt, daß sie sich aber in dieser Beziehung in einem erstaunlichen Grade vermehrt hat, vermehrt in einer Weise, daß der Bücherleser mit jedem Jahre weniger, der Zeitungsleser dagegen mit jedem Jahre mehr werden. »Darin bestärkt uns ein Blick auf das heutige Zeitungs- und Journalwesen. Diese Products der periodischen Presse haben sich seit der Wiederherstellung von Deutschlands Selbstständigkeit nicht etwa verdoppelt, sondern wohl verfünffacht, aber trotz dieser die Vossische Zeitung 14 000, Kölner Zeitung V000, Dorfzeitung 7000 u. s. w. Sie gewähren bei ihren enormen Jnsertions- erträgen zum Theil Revenüen gleich großen Herrschaften und dabei bringen ihnen oft auch noch sorgenbeladene Verleger ihr letztes Scherflein für eine Unmasse ganz vergeblich verschwen deter Jnsertionsgebühren, denn es ist kaum glaublich, welche un geheure Summen dafür weggeworfen werden, ja sie erreichen sicher nur allein in Deutschland eine jährliche Höhe von mehr als 100,000 Thaler. Mir ist ein Beispiel bekannt, wo einer der größern Berliner Sortimenter dafür einem einzigen Verleger in einer Messe mehrere Tausend Thaler zu berechnen hatte! »Aber auch abgesehen von der Verdrängung des Bücher absatzes durch die Zeitungen, so hat dessen Abnahme noch ganz andere Quellen. — Wer sich sonst daran gewöhnt hatte, sich z. B. diejenigen belletristischen Werke, welche ihn am mehrsten an- sprachen, zu kaufen und in seiner ihm so lieben Bibliothek auf zustellen, der begnügt sich jetzt, sie aus der Leihbibliothek oder Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 77. Jahrgang. in einem Gesellschaftslesezirkel zu lesen. Der Reichste und Vor nehmste hält es nicht unter seiner Würde, darauf zu warte», bis die Reihe an ihn kommt, oder seine Hände an ein oft ekelhaft beschmutztes, ja oft sogar übelriechendes Buch zu legen, und seine Lectüre mit Soldaten, Kutschern und andern Dienstboten zu theilen. — Bibliotheken, sonst die nothwendigste Zierde eines großen und glänzenden Hauses, gelten jetzt für eine Thor- heit und sind in der Mode der Sucht, durch fürstlich-häus liche Einrichtungen, durch Kleiderpracht, durch Tafelglanz, durch Equipagen, Badereisen u. s. w. zu glänzen — gewichen. Die Klöster sind zwar zum Theil wieder bevölkert, aber zur Zeit noch ohne die sonst so wohlthätig auf den Bücherabsatz wirkenden Klosterbibliotheken. Selbst die wissenschaftlichen Werke finden jetzt bei weitem nicht mehr den Anklang, das Studium und die Ab- nähme, wie noch vor 15 bis 20 Jahren. Die Juristen und Mediziner begnügen sich mit ihrem Handwerkszeug, viele Geistliche, wenn es hoch kommt, mit ihrem theologischen Lese zirkel, oft aber auch nur mit der Ausübung der Oeconomie, Vieh- und — Kinderzucht, und die Philosophen zersplittern sich in polemischen Ephemeren und Zeitschriften. In einem großen deutschen Staate ist sogar kürzlich durch eine Ministerialordre befohlen worden, streng darauf zu sehen, daß die liebe Schul jugend, außer einem ABC-Buche, dem Katechismus, der Bibel und höchstens Wilmsens Kinderfreund, keine andern Bücher sehen soll. — »Sehr richtig bemerkte neulich die Wiener Theaterzeitung: „Kehrten auch die Schriftsteller hinsichtlich des Honorars zu ihrer früheren Uneigennützigkeit zurück, so hätte der Buchhandel dann immer erst noch das Problem zu lösen, daß die Leute, welche Bücher lesen wollen, dieselben auch kaufen. Hierin genügen dem Publicum die Leihbibliotheken, und Leute, die nach ihrer Bildung und gesellschaftlichen Stellung sich schämen sollten, ein geborgtes Buch zu lesen, rühmen sich öffentlich, kein Geld für Bücher aus zugeben, und setzen lieber Freund und Feind in Contribution, um eine Lectüre zu erlangen, nach der ihnen gelüstet, statt ihre schul dige Beisteuer zur Unterstützung der Literatur herzugeben." Wer jetzt kauft, ist eine Säule der Literatur, wer schreibt und das Büchermeer vermehrt, liefert einen Beitrag mehr zu ihrer Vernichtung. Der alte Adel, wie er vor Zeiten, in Allem grandios aber honnett, stolz aber freigebig, durch Feudallasten drückend, aber durch seinen Aufwand für Gewerbe, Luxus und Buchhandel belebend war, hielt eine prächtige Bibliothek in den herrlichsten Einbänden für einen wesentlichen und unerläßlichen Bestandtheil seiner Würde und des Glanzes seines Hauses; kein Buch wurde von ihm in die Hand genommen, was schon durch andere, wohl gar niederere Hände gegangen war; das Bücherschreiben überließ er den »armen Teufeln«, was in seinen Augen auch die ersten Genies und die gelehrtesten der Nation waren. Dieser Adel oder vielmehr dessen jetzt lebende Nachkommenschaft macht heut zu Tage theilweise die Literatur zum eigenen Erwerbszweig, denn zu keiner Zeit hat man so viele adelige Schriftsteller und Schrift stellerinnen gehabt, als jetzt, namentlich im belletristischen Fache, wo in der Regel der dritte ein Edelmann ist. »Ein Beobachter dieser Gegenstände theilte kürzlich in einem öffentlichen Blatte nachstehenden Vorfall mit: „vor wenigen Tagen stand ich in der Schroederschen Buchhandlung unter den Linden in Berlin. Eine glänzende Equipage fuhr vor, und ein vornehmer Herr, dessen Namen ich verschweige, stieg aus, um einige französische Bücher, die für ihn bereit lagen, in Empfang zu nehmen. — Haben Sie den neuen Roman von Willibald Alexis? fragte er, — den Urban Grandier? Hier ist er, sagte der Commis, er kostet 3 Thaler. — O! ich will ihn nicht kaufen, erwiderte jener; meine Frau wünscht ihn bloß zu lesen, und Sie werden wohl so gefällig sein, mir ihn zu borgen. — Sehr gerne, Herr Graf, allein wir können ein ausgeschnittenes Buch dann schwer verkaufen. — Ich will Ihnen für das Lesen gerne etwas vergüten, auch soll es bloß von der Seite ausgeschnitten werden. — Der Commis pro- testirte gegen die Vergütung mit der ironischen Bemerkung, daß eine Buchhandlung keine Leihbibliothek sei. Der Graf nahm das Buch und ging. Welche sarkastischen Bemerkungen der Commis hinter ihm her machte, hörte er freilich nicht. Allein ich hätte ihn gefragt, ob es zu Zeiten seines Großvaters auch Sitte gewesen, daß ein reicher Graf vom vornehmsten Ton sich 469