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9774 «rqcxtl-ll I. d. Lqchn. B»4-and-I. Nichtamtlicher Teil. ^ 198, 26. August 1912. bundcs zum Ereignis geworden. Es ist hier von anderer Seite schon darüber berichtet worden (vgl. Kölner Briefe VII in Nr. 178), und so bleibt mir nur zu sagen übrig, wie es wohl sein wird, wenn erst einmal die Jünger und Nachfolger dieser Künstler ausstellen werden. Wenn dieser gemalte Wahn sinn, den man hier allen Ernstes als Kunst ausstellt, sich schon in klassischer Abgeklärtheit präsentieren wird, und uns die jungen Menschen, die heute noch die Schulbank drücken, er klären, wie sehr sie noch über ihre Meister hinausgeschritten sind in expressionistischer Anschauung und Freiheit der Kunst! Zugegeben und mit Begeisterung wird anerkannt, daß unter diesen 600 Bildern eine ganz stattliche Anzahl hochinteressanter Malereien sind (darunter auch ein Teil der erwähnten Bilder van Goghs), die das Problem der Form und Farbe in einer Weise lösen, der auch noch das Auge des Normalmenschen folgen kann. Aber darüber hinaus, Wiebiel wahnwitziges Zeug ist da ausgestellt, bei dessen Anblick man sich förmlich geohrfeigt fühlt! Und da haben wir in dieser Ausstellung erst den ersten internationalen Niederschlag dessen, was der Ex pressionismus, der Kubismus und Futurismus zum Kredo er hoben! Was wird da noch die Zukunft bringen? Vielleicht, das ist die Hoffnung derer, die all und jede künstlerische Er scheinung als Ausfluß einer Zeit zu respektieren bereit sind, werden sie revozieren, werden umkehren vom Wege der Ver irrung. Vielleicht auch nicht. Dann aber wird's fürchterlich! Freilich, solange diese Senfationsmacher, von deren künstle rischer Ehrlichkeit kein Mensch überzeugt ist, so willige Pioniere finden, wie cs der Verfasser eines Führers zur Ausstellung und dessen Vorwortes ist, kann man es ihnen beinahe nicht übel nehmen, wenn sie ihre farbentriefenden Peitschenhiebe nur noch wütender auf die Menge herniedersausen lassen. Wenn man will, kann man bei jedem dieser Leute, oder doch den meisten, ein gewisses Können herausfinden. Aber sie wollen ja gar nichts können. Sie unterschlagen es einfach, machen sich selbst etwas weis und stellen mit der größten Keckheit ein unentwirrbares Konglomerat von Dreiecken und Vierecken als Mann mit Violine vor, weil sie ganz genau wissen, daß sich in unserem kulturgesegneten Jahrhundert doch solche Zeitge nossen finden, die mit dem Brustton der Überzeugung der blöden Menge verkünden: der Maler hat recht, es ist wirklich ein Mann mit einer Violine. Wie großartig, wie herrlich steht es doch um unsere Kultur, um die Kunst, die es fertig gebracht hat, den Menschen und Tieren, den Bäumen und Sträuchern Formen und Farben zu geben, von denen sich der logenannte Schöpfer aller Dinge nichts hat träumen lassen! Aber genug davon. Eine Bahnstunde davon, in Düssel dorf, kann man sich wieder aussöhnen mit seinen Widersachern. Hier ist in der Kunsthalle die Sammlung Marczell von Nemes zu sehen, und hier kann man, mit den naiven und doch so wundersamen Offenbarungen der Frühitaliener beginnend, einen Gang durch die Jahrhunderte der Kunst machen, der Herz und Sinne erhebt. Hier, vor diesen »antiquierten Schmökern«, über die der Futurismus mit diabolischem Lä cheln triumphiert, fühlt man so recht intensiv, welche andere Aufgaben die Kunst doch bisher verfolgte, bis zu dem Tage, da sich in llbergeschnappten Hirnen die fixe Idee entwickelte, daß es eine Schande sei, einen Gegenstand so zu malen, wie er wirklich fei. Wenn irgendein Privatsammler den An spruch erheben darf, mit erlesenem Geschmack, mit kultivierte stem Feinempfinden den Wegen der Kunstentwicklung gefolgt zu sein, das Beste, Vollkommenste, was sie zu bieten vermochte, aufgelesen zu haben, dann darf es Wohl Marczell von Nemes, dem man für das Darleihen seiner Schätze nicht dankbar ge nug sein kann. Aus den 123 Werken einiges herauszugreifen, ist unendlich schwer, weil fast alle vertretenen Meister mit erst klassigen Bildern zu finden sind. Schon die wundervolle Ma donna von Bellini löst in ihrer schlichten Innigkeit der Auf fassung, in ihrer wunderschönen koloristischen Behandlung Helles Entzücken aus. Und dann die prachtvollen Veroneses, die Tintorrettos, die niederländischen Meister mir einem faszi nierenden Bilde Rembrandts, das seinen Vater darstellen soll, an der Spitze; die Altdeutschen mit derherrlichenVenus des Hans Valdung als Clou, deren Körper geradezu einem Hymnus auf die Schönheit des Weibes gleicht, und endlich die Engländer und Franzosen des 17. und 18. Jahrhunderts mit ihren deli katen Malereien. Spanien ist vertreten durch die ganz Großen seiner Kunst: El Greco, der Vielumslrittene, mit einer großen Anzahl von Bildern, die das tiefe Wesen seiner geheimnis vollen Kunst dem schauenden Auge erschließen, Murillo und Francisco de Goya, dessen universales Können die Dinge des Lebens ebenso mit brutaler Kraft unter seine Hände zwingt, wie er ihnen mit liebevoller Empfindung in ihre letzten Fält- chen folgt. Und dann kommt das vielberühmte 19. Jahr- hundert, in dem für Nemes nur die Franzosen des Sammelns wert waren. Delacroix beginnt, der geistvolle Spötter Daumier folgt, dann schließen sich die Courbet, Corot, Manet, Cäzanne, Degas,Gauguin und vanGogh zu einem buntenReigen, in dem malerische Kultur, höchst gesteigerteSensibilität für die optischen Wirkungen der Erscheinungswelt Trumpf ist. Ein einziger Rausch des Genusses. Vor nahezu 500 Jahren malte Bellini seine Madonnen und seine wundervollen Porträts. Heute noch stehen wir davor in stiller Bewunderung. Ob nach 500 Jah ren der Mann mit der Violine des Herrn Picasso von der Köl ner Sonderbundausstellung auch noch die Bewunderung finden wird, die ihm heute einige morbide Köpfe zollen? Wer kann .es wissen? Aber unwahrscheinlich ist es! Wieder eine knappe Stunde weiter, in Essen, dort, wo unter der kaiserlichen Teilnahme das Jubiläum des größten deutschen Industrieunternehmens gefeiert wurde, hat man auch die Kunst zur Feier des Tages herangezogen. In den wunder schönen, intimen Räumen des Kunstmuseums, dem kein Mensch anmerkt, daß es ein Museum ist, findet die Ausstellung: Die Industrie in der bildenden Kunst lebhaftestes Interesse. Erste deutsche und auch ausländische Meister sind vertreten. Sie haben der Arbeit, die nur mit zwei Händen getan werden kann, ihren Tribut entrichtet. Prachtbilder, in denen der ganze unheimliche Zauber, den die Stätten der Arbeit ausströmen, zum malerischen Eindruck verdichtet ist, legen Zeugnis ab von der reichen künstlerischen Anregung, die dieses trübe Milieu bietet. Eugen Bracht, Pleuer, Sandrock, Kallmorgen, Keller, Baluschek u. a. finden sich hier mit ihren Bildern zu einem Triumphzug der Arbeit zusammen. Aber auch über die rein künstlerischen Eindrücke hinweg ist der Besuch des Essener Kunstmuseums interessant und lehrreich. Man könnte es ge wissermaßen als die schönste und idealste Lösung des modernen Museums bezeichnen. Es ist nicht ursprünglich für seinen Zweck geschaffen, resp. gebaut worden. Aber daß die Räume in ihrer Verteilung durch zwei bequem zu durchmessende Etagen direkt prädestiniert waren, das fühlt man. Nicht der kalte, nüchterne Ausstellungsraum ist es, der für bescheidene Gemüter schon etwas Steifes, Abwehrendes hat, in das sie sich kaum hineingetrauen, sondern das behagliche Zimmer, das auch noch, wenn es zum Saal wird, nicht des intimen Cha rakters entbehrt. Hier hat man eben gewußt, daß nicht die Ströme kunstverschlingender Snobs einkehren werden, son dern die, die, ständig umrauscht vom gewaltigen Rhythmus der Arbeit, in der Kunst ihre Feierstunden suchen. Daß es in unserer Zeit der Übersättigung mit Kunst un- gemein wichtig ist, wie und in welcher Form sie uns entgegen tritt, bzw. geboten wird, ist empirische Weisheit. Die Mu- scumsdirektoren, die Besitzer der Privat-Kunstsalons wissen es ebenso, wie es der Kunsthändler wissen soll und mutz. Welch reiche Möglichkeiten auch ihm, dem Kunstsortimenter, offen stehen, sieht man wieder, wenn man einmal einige großstädtische.