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Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 5755 bedenkt, daß die graphischen Künste ihrer ganzen Veranlagung und Entwickelung nach auf eine erfolgreiche Verbindung zwischen Künstlern und Gewerbetreibenden angewiesen sind, dann wird sich kein unbefangener Beobachter der Wahr nehmung verschließen können, daß es unseren heimischen Betrieben im Vergleich zu der Leipziger Konkurrenz durch schnittlich noch nicht gelungen ist, die Fühlung mit der Kllnstlerschast zu gewinnen, die nicht nur im Bereiche der Möglichkeit liegt, sondern auch unerläßlich ist, um all die künstlerischen Kräfte, die hier, wie wohl in keinem zweiten Lande der Welt infolge ejner weisen staatlichen Fürsorge vorhanden find, zu sammeln und in die richtigen Bahnen zu leiten. Wenn nian nun hierfür nach einer Erklärung sucht und dabei von allen persönlichen Verfehlungen, die naturgemäß auf beiden Seiten nicht zu vermeiden sind, absieht, so wird man den größten Teil der Schuld an dieser bedauerlichen Erscheinung der Verschiedenheit der Lebensanschauungen zu schreiben müssen, die überall störend zu Tage tritt, wo sich die Sphären zweier Jnteressentengruppen berühren, die, wenn auch wesentlich verschieden, doch auf ein inniges Zusammen wirken angewiesen sind. Dem genial veranlagten jungen Akademiker, der mit seinen Gedanken viel im Reiche der Phantasie verweilt und den Weg zum Ruhme und zum Glück zunächst nur in der Verfolgung von Idealen und hochgesteckten Zielen zu er blicken pflegt, wird der nüchterne Geschäftsmann, der durch den Kanrpf um Existenz und Dasein gezwungen ist, mehr mit der Alltäglichkeit des Lebens und mit Thatsachen zu rechnen, nur zu oft engherzig und kleinlich erscheinen; seine wohlgemeinten Ratschläge werden ihn verletzen, und die ihm gebotenen Honorare im Vergleich zu Preisen, die einzelne Künstler bisweilen für ihre Schöpfungen erzielt haben sollen, viel zu niedrig erscheinen. Und wenn dann noch zum Ueberfluß die Techniken, für die er gelegentlich einmal arbeiten möchte, gebieterisch Forderungen an sein Schaffen stellen, die er nicht versteht, und deswegen lediglich als unwürdige Fesseln empfindet, in die man sein Talent schlagen will, dann wird er nur zu oft in gänzlicher Verkennung der Dinge enttäuscht und ver stimmt einem so dankbaren Arbeitsfelde den Rücken kehren, aus dem der Einzelne allerdings seinen künstlerischen Neigungen und Launen nicht immer nachgehen darf, das dafür aber auch allen denjenigen ein sicheres Brot und eine sichere Ausbeute bietet, die sich die Mühe nehmen, es mit Ernst zu erforschen und mit Liebe zu bestellen. Wenn nun auch nicht geleugnet werden soll, daß sich diese Erkenntnis in Künstlerkccisen immer mehr Bahn bricht, so fehlt uns bis jetzt doch thatsächlich noch ein Mittel, das dem Künstler den Sprung in die rauhe Praxis er leichtert; und dieses Mittel kann nach den auf beiden Seiten gemachten Erfahrungen lediglich in einer Art Hochschule, einer Akademie für die graphischen Künste bestehen, in deren Räumen dein Künstler Gelegenheit geboten wird, sich über die vielseitigen Anforderungen, die die einzelnen Tech niken an ihn stellen, zu informieren, und sich so vor Fehl griffen zu bewahren, die um so ernüchternder und ab schreckender wirken müssen, als sie gewöhnlich mit ganz er heblichen Opfern an Zeit und a» Geld verknüpft sind. So gut wie gar kein Verständnis für die Vorteile, die ein solches Institut der Künstlerschaft im allgemeinen bietet, wird man allerdings bei den meisten jungen Kunst akademikern voraussetzen dürfen, denn mit diesen kann man über eine so profane Berussthätigkeit, wie sie die Ausübung einer graphischen Kunstsparte ihrer Ansicht nach nun einmal ist, ebensowenig reden, wie etwa mit einem Kadetten über die Vorzüge der Civilversorgungsbcrechtigung: der angehende Offizier will wenigstens General, und der junge Künstler mindestens Lenbach werden. Aber auch die reiferen Künstler, denen es gelungen ist, sich in ihrem Beruf eine auskömmliche Existenz zu schaffen, werden zunächst für die graphischen Künste wenig in Betracht kommen. Wenn der eine oder andere von ihnen auch einmal lithographieren oder radieren sollte, so ist das erfreulich, weil es vorbildlich wirken kann; die Industrie als solche wird aber keine wesentlichen Vorteile davon verspüren. Zwischen diesen beiden Gruppen, also den jungen Kunst akademikern und den gereiften Künstlern, steht aber eine große Anzahl von oft sehr talentvollen Leuten, die zum Teil durch Not und Entbehrungen gründlich darüber belehrt worden sind, daß man vom Bildermalen allein nur in den allerseltensten Fällen leben kann, und die daher vor die bittere Notwendigkeit gestellt sind, umzusatteln und sich nach einem anderen Broterwerb umzusehen. Und diese Leute sind es, die mit ihrer Fertigkeit im Entwerfen und Zeichnen, mit ihrem Farbensinn u. s. w. ein ganz vorzügliches Rekrutenmaterial für unsere graphischen Betriebe, namentlich die lithographischen und chemigraphischen Kunstanstalten, abgeben würden; und wenn die neue Akademie diese Künstler an sich ziehen und sie unterweisen wollte, wie sie ihr Talent auch auf dem Gebiete der graphischen Künste bethätigen könNen, dann erfüllte sie eine ihrer ersten und zugleich auch schönsten Aufgaben Denn einen sehr großen Prozentsatz sämtlicher Zöglinge unserer Kunstakademien und Kunstgewerbeschulen kann man schon einige Jahre nach Beginn ihrer Studien wieder in ganz anderen Berufszweigen wirken sehen, die oft absolut nichts mit der Kunst zu thun haben und daher den doch mehr oder weniger künstlerisch veranlagten und ausgebildeten Menschen auch keine Befriedigung gewähren können. Eine Menge von Enttäuschung und Erbitterung über verlorene Zeit und Mühe könnte also nebenbei durch die Akademie aus der Welt geschafft werden. Für die Schaffung einer solchen Centralstelle ist nun auch bei uns in Bayern die Bedürfnisfrage bereits festgestellt und dann die Unterstützung des königlichen Staatsministsriums erbeten worden. Auf ein wohlwollendes Entgegenkommen desselben konnte man in diesem Falle um so eher rechnen, als es sich hierbei nicht, wie gewöhnlich, darum handelt, divergierende Interessen auszugleichsn, sondern lediglich eins vielseitige Interessengemeinschaft zu fördern, die für unser ganzes Kulturleben von so eminenter Wichtigkeit ist. Allein schon durch seine Existenz würde ein solches Institut Nutzen stiften und ganz wesentlich zur Stärkung der graphischen Industrie beitragen, weil dadurch nicht nur das Interesse der Künstler, sondern der gebildeten Stände überhaupt für diesen so unendlich Vielen noch gänzlich un bekannten Wirkungskreis erweckt würde. Teilnahmlos und ohne jedes Verständnis steht aus Mangel an Anregung im allgemeinen das große Publikum noch immer der interessanten Thätigkeit dieser Erwerbszweige gegenüber, trotzdem sie kein Kulturvolk mehr entbehren kann. Zeitungen und illustrierte Journale werden in die Hand genommen, ohne daß sich die Wenigsten darüber Gedanken machen, wie sie entstehen. Der Autor und der Illustrator kommen allenfalls noch zu ihrem Recht; nach denjenigen aber, die es mit unend lichem Fleiß und Scharfsinn ermöglicht haben, daß auch der Aermste heute seine geistige Anregung haben kann, fragt gewöhnlich Niemand. Und hier soll nun die Wirksamkeit der Anstalt einfetzen, indem sie zunächst einmal der graphischen Industrie in der Oeffentlichkeit zu dem Ansehen verhilft, das sie jetzt unbe dingt haben muß, um über ausreichende Arbeitskräfte ver- 758'-