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Carl Maria von Weber's Jubel-Ouvertüre, von einer treff lichen Kapelle mit lebendigem, beredtem Vortrage kräftig intonirt, leitete die Feier aufs Würdigste ein. Hierauf sprach der erste Vorsteher des Vereins, Herr Carl Rühle, zur Versammlung, indem er in tiefempfundenen schwungvollen Worten dem Gefühl der Freude und des Stolzes, von welchem er beim Rückblick auf die fünfzigjährige Vergangenheit des Vereins erfüllt sei, Aus druck gab. Vor Allem aber erheische es die Pflicht der Pietät, in dieser weihevollen Stunde der Männer zu gedenken, welche den Ban des Vereins gegründet, ihn aufgerichtet und in ihm Collegialität, Geselligkeit, Freundschaft gepflegt haben. Leider decke Otto August Schulz bereits die kühle Erde, während Ed. Avenarius krank in Dresden darniederliege. Aber ihr Geist weile in der Versammlung, Avenarius gedenke auf seinem Krankenlager heute des festlichen Tages, und der Heimgegangene verdienstvolle Schulz werde durch seinen ihm ebenbürtigen Sohn an dieser Stelle würdig vertreten. Mit der Erinnerung an diese beiden verdienten Gründer des Jubilars wolle der Redner die festliche Stunde eingeleitet sehen. Nunmehr betrat Herr Oberschulrath vr. Paul Möbius ans Gotha die Tribüne, um in längerer tiefdurchdachter, fesselnder Rede dem Festacte die rhetorische Weihe zu geben. Der Fest redner begann mit der Darlegung der Politischen Zustände der Gründungsjahre, welche ja jetzt glücklicher Weise nur noch eine längst abgethane historische Erinnerung bildeten. „Gerade das Jahr 1833, das Geburtsjahr des Vereines, ist in der Kulturgeschichte unseres Voltes gekennzeichnet durch die crimi nellen Verfolgungen der deutschen Burschenschaft. Die Ideen eines geeinigten freien Vaterlandes, die in der Brust so vieler edler deutscher Jünglinge Wurzel geschlagen und die auch die Herzen gar mancher alter und ergrauter Jünger der Wissenschaft noch mit einem heiligen, hochloderndeu Feuer jugendlicher Begeisterung ersüllt hatten; dieselben Ideen, deren endliche, wenn auch durch Eisen und Blut erfolgte Ver wirklichung jenes Deutschland neu geboren hat, zu dessen Erhaltung all seine wahrhaften Söhne mit stolzfrcudiger Begeisterung und mit demüthigem Danke, mit trotzigem Muthe und mit männlicher Zuver sicht sich die Bruderhand reichen aus Leben und Tod; dieselben Ideen, deren glorreicher Sieg unserm Volke allüberall die ihm gebührende Stellung in der Reihe der anderen Völker angewiesen und der erst vor wenig Tagen herab von den Höhen des Niederwaldes wiederum in so herrlicher Weise verkündigt wurde; den damaligen Lenkern unseres Volkes galten diese Ideen noch als staatsgesährlich und brachten ihren Vertretern theils Gefängniß, theils Amtsentsetzung und Verbannung." Redner schildert an der Hand der neuesten Geschichte die ereignißreiche Zeit der letzten 50 Jahre, von den unheil drohenden Gährungen und stürmischen Bewegungen der vormärz lichen Periode, durch die verheißungsvollen Sonnentage des Jahres 1848, denen ja leider wieder ein Rückschritt des öffentlichen Lebens folgte, bis endlich nach schweren inneren und äußeren Kämpfen der historische Tag im Prunksaale des Königsschlosses zu Ver sailles die Erfüllung aller der heißersehnten und erstrebten Wünsche der einstigen „Revolutionäre" des Vormärzes brachte. Der Redner zeigt weiter an einzelnen Daten, wie die Ver einsmitglieder in der aufgeregten Zeit der Jugend des Vereins nicht nur lebhaften innerlichen Antheil an der allgemeinen Be wegung der Gemüther genommen, sondern, wo es galt, einzu treten für die gerechten Forderungen der Zeit, andererseits aber auch für die bürgerliche' Ordnung, wo diese bedroht war, durch die That ihre tiefinnerlich ernste Auffassung der Sachlage be wiesen haben. „Nicht nur mit Fahnenschwenken und Festzügeu bethätigte der Verein seine Theilnahme an dem wandelreichen Schicksale seines Volkes, nein, er leistete dieser Pflicht auch Genüge, selbst wo es sich in dem Kampfe mit, blanken Waffen um Leben und Tod handelte. Den ernstesten und rühmlichsten Beweis hat hiervon jene große Zahl seiner Mitglieder gegeben, die während des blutigen Straßenkampfes unserer Stadt Leipzig in der Nacht vom 6. zum 7. Mai 1849 durch ihre Tapferkeit und Unerschrockenheit wesentlich dazu beitrugen, daß die Insurgenten am weiteren Vordringen gehindert und vor Allem von dem bereits geplanten Verbrennen des Postgebäudes abgehalten wurden. — Daß aber gerade diese Betheiligung an den Ereignissen jener merkwürdigen Zeit nicht etwa blos als ein schnell vorübergehen des Ansflackern jugendlichen Muthes zu betrachten ist, sondern als eine liesinnerliche Bewegung die Gemüther schon lange vorher in Besitz genommen hatte, geht jedensalls am deutlichsten aus der That- sachc hervor, daß sich bereits im vorhergehende» Sommer 1848 der Verein suspendirt, also sich selbst aufgeopfert hatte, nur um feinen Mitgliedern desto mehr Zeit und Freiheit für den öffentlichen patrio tischen Dienst zu lassen." Weitergehend von diesen äußeren Vorgängen, die in der Geschichte der Leipziger Revolutionsjahre ihr Denkmal gefunden haben, berührt der Redner nun die inneren, den Verein be wegenden kleinen und großen Ereignisse, Bestrebungen und in- tellectuellen Anregungen. Als eine solche intellectuelle Urheber schaft rechnet er dem Jubelverein die Stiftung des im Kreise der Berufsgenoffen längst historisch gewordenen alljährlichen Can tate-Essens zu besonderem Verdienste an. „Als den ursprünglichen Schöpfer uud Veranstalter dieser Fest lichkeiten haben wir Niemand anders zu erblicken als unseren heutigen Geburtstäger, den Verein der Buchhandlungsgehilfen zu Leipzig, und gewiß hat er sich gerade durch diese Schöpfung ein um so schätzens- wertheres Verdienst um den eigenen Beruf erworben, je gefeierter die Namen sind, die wie aus den Kreisen der Gelehrten, so noch weit mehr aus denen der Buchhändler sich schon oft an jener Vereinigung betheiligten. Unzweifelhaft würden ja die Aufforderungen, die von dem Vereine zu dieser Festlichkeit am 24. April 1835 ausgingen, nicht von einem bis auf die Gegenwart an äußerem Glanz und innerem Werth stets wachsenden Erfolge begleitet gewesen sein, wäre man nicht allseitig zu dem Vereine und dem Geiste, der ihn durchlebte, von dem besten und festesten Vertrauen erfüllt gewesen." Noch in mancherlei anmuthige Einzelheiten vertiefte sich dieser hochinteressante Rückblick des Festredners, in deren Auf zählung wir ihm an dieser Stelle leider nicht zu folgen ver mögen; — sodann von einem höheren Gesichtspunkte die Lage über schauend und die dem deutschen Buchhandel innewohnende ge waltige culturelle Lebenskraft betonend, knüpfte er an ein Wort des „Osssrvatoro Roiaa.no" vom Jahre 1867 an, mit welchem dieser — noch drei Jahre vor (!) dem deutsch-französischen Kriege — mit anerkennenswerther Offenheit das folgende redende Zeugniß des germanischen Uebergewichtes ablegte: „Wir sehen täglich mehr das germanische Element über das lateinische, dessen stärkster Repräsentant seit Karl dem Großen Frank reich war, die Ueberhand gewinnen. Der Germanismus bringt Ideen, Prinzipien und eine schon vollständige Civilisation mit sich, welche der lateinischen Civilisation radical entgegengesetzt ist. Seit fast einem Jahrhundert denkt die lateinische Welt mit germanischen Grundideen und verfälscht ihre eigene Cnltnr mit der germanischen. Die Philo sophie, die schöne und wissenschaftliche Literatur und die Jurisprudenz sind von germanischen Ideen und rein deutschen Gedanken inficirt. Das Uebergewicht in Waffen, welches heute Deutschland erlangt hat, ist nur eine Wiederholung auf materiellem, politischem und inter nationalem Gebiete, welches es durch Kant, Goethe, Hegel und Sa- vignh auf geistigen Gebieten längst erhalten hat." Diesen Satz von seiner Allgemeinheit auf das Besondere anwendend und an das noch bevorstehende große Jubiläum dieses Jahres erinnernd, hebt der Redner den mächtigen Einfluß der Reformation aus die Entwicklung des deutschen Buchhandels hervor und schließt seine Ausführungen mit der Mahnung, alle zeit treu auszuharren im Geiste des großen Reformators, dem Geiste des Rechts, der Wahrheit und der Freiheit. Als erste der beglückwünschenden Deputationen begrüßte den Jubilar nun der Vorstand des Leipziger Buchhändler-Ver eins, in dessen Namen Herr Stadtrath Franz Wagner das Wort ergriff. Es sind goldene Worte, mit denen der Redner dem Vereine zum Herzen sprach, und wir glauben im Sinne unserer Leser zu handeln, wenn wir diese sehr wirkungsvolle Ansprache