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6582 «r,-»«laU s. ». «Ilchh»»»-!. Nichtamüicher Teil. ov 122, 2S. Mat 1912. Nichtamtlicher Teil, Leipziger Briefe. v. Besondere Ereignisse und Veranstaltungen Pflegen nicht nur ihre Schatten vorauszuwersen, sondern auch ihre Nach klänge zu haben. Nicht anders ist es mit den Kantatetagen beschaffen, die nunmehr hinter uns liegen und wieder dem gewöhnlichen Laufe der Dinge Platz machen mußten. Was sie für den Buchhandel in diesem Jahre bedeuteten und was sie ihm gebracht haben, ist allgemein bekannt. Es bleibt uns nur übrig, festzustellen, wie Leipzig und die Vormachtstellung des Leipziger Buchhandels dabei abgcschnitten haben. Zunächst hoffen wir, daß unsere zahlreichen Gäste mit uns zufrieden waren, die wir die Ausübung unseres Gastrechtes immer als besondere Ehre angesehen und auch in diesem Jahre alles getan haben, den alten Ruf, den Leipzig in dieser Beziehung im Buchhandel genießt, nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern auch nach Möglichkeit zu stärken. Aus den Reden unserer offiziellen Persönlichkeiten, die nach alter Sitte am Kantate festmahl teilnchmcn, durften wir zu unserer Genugtuung eine Voile Würdigung des Buchhandels im allgemeinen, wie auch des Leipziger Buchhandels im besonderen entnehmen. War es eine Sinnestäuschung, daß uns angesichts mancher äußeren Anfechtungen unseres Standes eine gewisse innere Wärme dieser Reden ausfiel, denen man doch sonst eigentlich eine besondere berufspolitische Bedeutung nicht beizumessen pflegt? Die Rede unseres Oberbürgermeisters vr. Dittrich ging in dieser Beziehung sogar über den bei derartigen Ge legenheiten allgemein üblichen Rahmen hinaus. Wir erfuhren aus seinem Munde erstmalig, daß die Errichtung der Reichs bibliothek oder der Deutschen Zentralbidliothek in Leipzig so gut wie gesichert erscheint. Konnten wir bereits in unserem vorigen Briefe aus die Erweiterung Hinweisen, die unserer Universität durch die Angliederung der Dresdner tierärztlichen Hochschule bcvorsteht, und die Belebung andeuten, die dadurch unser Buchhandel voraussichtlich erfahren wird, so dürfen wir heute von einer nicht minder erfreulichen Kunde berichten, die uns die Tageszeitungen melden. Wie allgemein bekannt, ist in Berlin durch die auf der Basis großer meist privater Geldmittel gegründete Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften die Möglichkeit geschaffen worden, eine Anzahl, in erster Linie naturwissenschaftlicher Forschungsinstitute zu errichten, die natürlich der Stadt Berlin und der Berliner Universität in hervorragender Weise zugute kommen. Diese Schöpfung legte in Leipziger wissenschaft lichen Kreisen den Wunsch nahe, nicht zurllckzubleiben, wobei man allerdings den Anschein vermeiden mutzte, als ob es sich hier um dasselbe wie in Berlin handle. Nicht eine Kon kurrenz Berliner wissenschaftlicher Unternehmungen ist be absichtigt, sondern — und das ist das Wesentliche des Ge dankens eine Ergänzung derselben. Insofern scheint man zunächst die in Berlin in den Mittelpunkt gestellten Natur wissenschaften ausschalten zu wollen, denn man plant die Errichtung einer Forschungsstätte für die sogenannten Geistes wissenschaften. Forschungsinstitute sind vorläufig vor gesehen auf den Gebieten der Geschichte, der Religions-, Kultur- und Kunstgeschichte, der Sprachwissenschaften, der Geo graphie und Ethnographie, der Philosophie und Psychologie und nach Befinden auch der Volkswirtschaft. Das Projekt beschäftigte zunächst den Rector magnikicus unserer Uni versität im Studienjahre 1910/1911, der sich persönlich der Mühe unterzog, die Geneigtheit privater Kreise zur Förderung eines solchen Unternehmens in Leipzig und im Zusammen hänge mit unserer Universität zu prüfen. Der Erfolg ist nicht ausgeblieben, denn nicht weniger als 820 000 ^ sind von opferwilligen Bürgern unserer Stadt bisher zu diesem Zwecke gestiftet worden. Da seitens der Stadt ein jährlicher Zuschuß von 20 000 und seitens des Staates ein solcher von 55 000 in Aussicht gestellt ist, so stehen zusammen mit den Erträgnissen des Stiftungskapitals alljährlich rund 100 000 zur Verfügung. Es kann also die Verwirklichung des Planes als gesichert gelten. Eine Schenkung in der Höhe von 20 000 der Firma B. G. Teubner, hier, zur Förderung von Studien auf demGebiete derMathemalik,dte dieser Tagege- machl worden ist, ist den angegebenen Beträgen hinzuzurechnen. Man kann sich dieser Art Wohltätigkeit und Gemeinsin» wohl aufrichtig freuen. Auch unsere Buchhändler werden gern davon hören, weil jede Belebung unseres wissenschaftlichen Lebens auch ihnen zugute kommen mutz. Dieser Erfolg ist ein Beweis dafür, datz es nicht immer der Wohltätigkeits bazare und der Blumentage bedarf, wenn ein Appell an die Opferwilligkeit unserer Mitbürger gerichtet werden soll. Anläßlich des großen Margaretenvolksfestes, das am 18. Mai hier stattfand und trotz der Ungunst der Witterung einen vollen Erfolg zu verzeichnen hatte, ist wieder einmal der Streit darüber entbrannt, ob sich derartige Veranstaltungen vom ethischen und sozialen Standpunkte rechtfertigen lassen. Selbst Leute von wenig demokratischer Gesinnung hörte ich diese Frage glatt verneinen. Es besteht natürlich ein Unter schied darin, wie sich der Einzelne der gewiß nicht geringen Summe hannloser Fröhlichkeit gegenüberstellt, die solche Tage namentlich bei der Jugend auszulösen pflegt. Da macht selbst der Griesgram gute Miene zum bösen Spiele und gibt mit einem etwas brummigen innerlichen Gefühl seine Groschen hin, um außer der obligaten Blume einen freundlichen Blick und ein Dankeschön der liebenswürdigen Verkäuferin dafür einzutauschen. Hand aufs Herz: auch wir Buchhändler konn ten soviel Liebreiz nicht widerstehen, und griffen in unseren Beutel, der noch die Male der Wunden trug, die ihm Herr Petters aus Heidelberg, der nimmermüde Anwalt unserer Hilfsbedürftigen, und Herr Süsserott aus Berlin, der glück liche und erfolgreiche Vater des Buchhändler-Erholungs heimesgeschlagen. Mancher Zweck erfordert eben einen sanften Zwang auf die Menschheit. Wie schön wäre es, wenn wir ihn in ähnlicher Weise auf das Publikum ausdehnen und es da durch zum Bücherkaufen anregen könnten! Etwas Ähnliches mag wohl dem Inhaber der Serigschen Buchhandlung hier vorgeschwebt haben, der in seinem mit Margaretenblumen geschmückten Schaufenster die Werke Leipziger Schriftsteller und eine Anzahl sich auf Leipzig beziehender anderer Bücher ausgestellt hatte, gleichsam eine stumme Mahnung an die Tau sende von Passanten, auch ihrer Dichter nicht zu vergessen. Einen von ihnen, auch einen der Unserigen, haben wir wenige Tage vorher begraben: Edwin Bormann. Es gibt keinen deutschen Buchhändler, der ihn nicht kennt. Sein letztes Gedicht war ein Opfer seiner Muse für den Margaretentag. Der Mai, der Frühling, den er liebte, wie nur der Dichter den Frühling liebt, und von dem er die Genesung nach schwerer Krankheit erhoffte, nahm ihn, den Humor- und gemütvollen Dichter und Menschen, den grübelnden, scharfsinnigen Forscher, von uns und schüttete seine Blüten auf sein Grab. Dieser Verlust reißt eine empfindliche Lücke in unsere ohnehin im Vergleiche mit früheren Epochen recht kleine Schar schaffender Geister in Leipzig. Wie einst der Nibelungenübersetzer Wil helm Jordan verlegte Bormann seine Werke selbst, und es ist charakteristisch für ihn, datz er bald den Humor der Interna unseres Berufes erkannte und dichterisch zu verwerten ver stand. Diese Poesien haben ihn recht eigentlich erst zu einem