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auf führt sich die deutsche Untcrnehmungstüchtigkeit und Producti- virät im letzten Grunde zurück? Die Literatur eines Volkes, selbst im weiteren Sinne als dem der Feuillctonisten genommen, kann doch, genau besehen, nicht davon abhängig sein, ob sich der Buch handel, als bloßer gesckäftlichcr Vermittler zwischen Autoren und Publicum, für dieses oder jenes Geschäftssystem entscheidet. Er ist in der Hauptsache das, wozu ihn seine Literatur macht. Die soge nannte buchhändlerische Productivität ist weiter nichts als eine Um schreibung der literarischen Productivität eines Landes. Mit Verlaub, das erleidet eine bedeutende Modification. Zwischen literarischer und buchhändlerischer Productivität ist wohl zu unterscheiden. Nehmen wir die drei eigentlichen Literaturländer der Welt, so bleibt z. B. in Frankreich die buchhändlerische Unter- nehmerthätigkeit hinter der literarischen Anregung zurück. Der Pariser Verlagshandel — denn das ist bei der traditionellen Ver lassenheit der Departements der eigentliche französische Buchhandel — hat, wie bereitwillig anerkannt wird, von jeher Firmcnträger auf zuweisen gehabt, die als wahre Idealisten das Geschäftsinteresse ihrer Passion und verlagshändlerischen Problemen zum Opfer brachten. Aber im Allgemeinen ist es im modernen Frankreich doch der hausbackene Bedarf und das Sensationsmachen, welches die Verlagsthätigkeit bestimmt. So erklärt es sich, daß einer der ersten und jedenfalls der vornehmste Verleger von Frankreich der Staat ist, und neben ihm sind auch die wissenschaftlichen Gesellschaften verlagsthätiger als das in Deutschland zu beobachten ist. England hält in der Art der Production zwischen Frankreich und Deutschland die Mitte. Von ihm läßt sich vielleicht am ersten sagen, daß die literarische und buchhändlerische Productivität sich nicht viel vor einander vorausgeben. Der englische Schriftsteller hat an seinem Verlagshandel eine bessere und zuverlässigere Stütze, als es die Verhältnisse in Frankreich zeigen. Im Ucbrigen aber ist der „praktisch" kaufmännische Engländer kein Freund von Verlags problemen. Er verlangt festen Boden unter den Füßen, ein greifbares literarisches Bedürfniß, soweit hiervon überhaupt die Rede sein kann, und oft genug passirt es uns Deutschen, daß eng lische Bcrufsgenossen den Kopf schütteln, wenn wir ihnen ein größeres wissenschaftliches oder artistisches Werk mit großem Preise vorlegen und dasselbe als selbständiges, vom Staat und von öffent lichen Instituten unabhängiges Verlagsunternehmen bezeichnen. Die Munisicenz vornehmer und reicher englischer Literatur- freunde, denen gleich vielen berühmten Sammlungen auch manche kostbare Publication zu danken ist, ist weltbekannt, und da neben sind wissenschaftliche Gesellschaften und Institute sehr fleißig verlagsthatig. Die Universitäten von Orford nnd Cambridge, durch einträgliche Privilegien: Druck der autprisirten Bibelausgabe und des Prayerbooks dazu in Stand gesetzt, gehören von altersher zu den ersten wissenschaftlichen Verlagsanstaltcn Englands. In Deutschland nun überholt die buchhändlerische Initiative in der Production die literarische um verschiedene Nasenlängen. Wenn wir aus unseren dickleibigen Katalogen die Erzeugnisse der sogenannten Buchhändlerspeculation entfernen wollten, so würde ihr Umfang sich nicht nur um ein Erhebliches reduciren, sondern sie würden auch mancher Zierde beraubt. Das klingt fast provocnend bei dem bekannten Klange, den das Wort Buchhändlerspeculation beim deutschen Publicum und anderswo hat. Was weiß aber unser Publicum von der Natur und Tragweite dieser Speculation? Wenn irgend ein populärwissenschaftlicher Humbug eines Winkelautors erscheint, so gilt das als Buchhändlermachwerk. An dieser Art Unternehmungen fehlt es denjenigen Ländern am allerwenigsten, bei denen die buchhändlerische Anregung in der Production sich sonst schwächer geltend macht als bei uns. Worin sie jedoch Deutschland nachstehen, das sind die großen, nicht bloß reproductiven Sammel werke, die Encyklopädien und Lcrikographien, die Serien für Alt und Jung, die reiche und vielseitige periodische Literatur u. s. w. In solchen Unternehmungen, darunter Nationalwerke im eminentesten Sinne, macht sich die deutsche Buchhändlerspeculation im Vergleich mit dem Auslande am ersten bemerklich. Trotz allem kühnen Wag- niß und mancher schweren Einbuße bilden sic in ihren materiellen Chancen auch wieder den Hebel des deutschen Verlagshandels und machen ihn erst fähig, der einzelnen aus sich angewiesenen Autor leistung ein Entgegenkommen zu zeigen, wie es in anderen Ländern nicht gefunden wird, am wenigsten da, wo man herkömmlich gewohnt ist, ganz außergewöhnlich hohe, das Publicum oft perpler machende Honorarsummen — eine eigenthümliche Indiscretion — nennen zu hören, welche diesem oder jenem Romanschreiber gezahlt worden sein sollen. Und wohl uns, daß es so ist; denn wäre unsere Literatur in Ermangelung eines unternehmungstüchtigen Buchhandels, wie in Frankreich und England, für crceptionelle Aufgaben auf den Staat und reiche Privatliebhaber angewiesen, so würde sie sich manches abgehen lassen müssen. Indem Kleinwächter dem Conditionsgeschäft zuschreibt, daß deutsche Schriftsteller fast unter allen Umständen einen Verleger finden, läßt er im Unklaren darüber, wie das nun werden soll, wenn unser Buchhandel, was er im voraus beifällig begrüßt, die Basis und die Einrichtungen dieser Geschäftsweise allmählich ver lassen sollte. Scheut er sich, die Folgen für die Autoren zu nennen? Hierin und in jeder anderen Beziehung ist sein College bei Faucher's Vierteljahrschrift, Justizrath Braun, viel deutlicher und offen herziger. Er hat überall eine Meinung. In seiner wundersamen Reichstagsrede vom Jahre 1870, womit er, bei Beralhung des Nachdrucksgesetzes, die ganze schriftstellerische und buchhändlerische Welt und daneben eine Anzahl Universitäten von Deutschland in Aufregung brachte, behandelte er die reiche Productivität des deut schen Verlagshandels ebenfalls als Ausfluß der eigenartigen deut schen Geschäftsweise, nur betrachtete er sie nicht als einen Segen, sondern als einen Fluch. Er verwies auf das Ausland, auf Eng land und Frankreich. „Die Verleger würden eine ganze Masse Schund — sagte er nach dem stenographischen Bericht wörtlich —, den sie jetzt drucken, nicht drucken, wenn wir das englische und französische System des Buchhandels hätten. Dann entscheidet es sich auf der ersten Versteigerung oder sonst sehr bald, ob ein Buch zieht oder nicht u. s. w." Aus diesen gehobenen Worten erhellt, daß der sachkundige Neichstagsabgeordnete und Mitgründer der Buchhändlerbank keineswegs davon entzückt ist, daß „deutsche Schrift steller fast unter allen Umständen einen Verleger finden". Es er hellt daraus auch, daß Braun den Begriff des Schundes danach be stimmt, ob ein Buch zieht oder nicht. Der literarische Werth findet nach ihm seinen Gradmesser durch den Umsatz in klingende Münze, so daß bei einer Verminderung der deutschen Production in erster Reihe der „Schund", welcher nicht zieht, ungedruckt bleiben müßte. Die Wahrheit dagegen ist, daß jede Verlagsthätigkeit auf einer nie deren Stufe der Entwickelung sich mit Befriedigung des haus backenen Bedarfs und des eigentlichen Sensationsinteresses, also mit dem was man am ersten ,,Schund" nennen könnte, im Wesentlichen begnügt und erst bei höherer Entwickelung immer ernstere und un dankbarere Aufgaben in den Bereich der Geschäftsthätigkeit zieht, so daß, wie oben bemerkt, der moderne deutsche Verlagshandel die Be friedigung literarischer Interessen zu Geschäftsunternehmungen stempelt, um die sich in Frankreich und England nur der Staat, wissenschaftliche Gesellschaften und reiche Protectoren kümmern können. Wollte man demnach den deutschen Unternehmungsgeist nach der von Braun angedeuteten Weise eindämmen, so daß der deutsche Buchhandel in seiner bisherigen Entwickelung Umkehr nehmen müßte — an und für sich ein lustiger Gedanke —, so würde 541*