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302 29. Dezember 1909. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 15953 Briefwechsel brachten, wie ihn im 16. Jahrhundert ein Mann schwerlich reichhaltiger gehabt hat; zehn bis zwölf Schreiber soll er ständig beschäftigt haben. Seine Einnahmen waren ganz enorm, gleich den modernen Wunderdoktoren und gleich manchen Spezialisten wußte er seine Preise zu stellen und beantwortete Anfragen Heilbedürftiger überhaupt nur, wenn gleich von vorn herein ein Geldbetrag beigefügt war; die Arzneimittel und die Behandlung mußten extra bezahlt werden. Thurneysser war in jeder Beziehung ein ganz gewiegter Ge schäftsmann, der den Schwächen seiner Zeit Rechnung zu tragen wußte und sich dadurch bedeutende Reichtümer erwarb. Er war wohl der erste, der den Wert mit großen Mitteln betriebener, ineinandcrgreifender industrieller Schöpfungen und die Bedeu tung des Neklamewesens für den Geschäftsbetrieb nicht nur erkannt, sondern auch ausgebeutet hat. Die Mittel und Wege, mittels deren die Industriellen von heute so bedeutende Erfolge erzielen, sind die von Thurneysser schon versuchten; es ist ein durchaus moderner Zug in diesem Manne des sechzehnten Jahrhunderts. Hier interessiert natürlich besonders des seltsamen Mannes Tätigkeit als Drucker und Buchhändler. Seine Druckerei ist sehr bedeutend gewesen, wie sich vor allem auch aus den Rechnungen der Papierlieferanten ergibt. Er beschäftigte über 200 Arbeiter. Seine besten Verlagsartikel bildeten Kalender, die in verschiedenen Ausgaben erschienen und in ganz Deutschland verbreitet waren. Im Jahre 1677 lieferte die Druckerei Werke im Gesamt beträge von 440 Bogen, darunter seine eigenen Schriften und diejenigen auswärtiger Gelehrter. Auch der Kurfürst erteilte ihm reichliche Aufträge. Thurneysser, dessen Arbeiten an künstlerischer Ausstattung für die damalige Zeit unerreicht dastanden, ist über haupt der erste Drucker in der Mark, der auf den Namen eines Meisters seiner Kunst und eines bedeutenden Verlagsbuchhändlers Anspruch erheben kann. Mannigfache Angriffe, die er vornehmlich von Ärzten und Professoren zu erdulden hatte, verleideten ihm den Aufenthalt in Berlin, und schon 1577 dachte er ernstlich an eine Verlegung seines Wohnsitzes. In diesem Jahre trat er seine Druckerei an seinen Setzer Michael Hentzke ab unter der Bedingung, daß ihm die Oberleitung der Buchdruckerei verbleibe und ihm ein Anteil an ihrem Reingewinn gewährt werde. Im Herbst 1579 reiste er so dann nach Basel, erwarb dort das Bürgerrecht sowie eine um fangreiche Besitzung und vermählte sich, da seine zweite Frau gestorben war, mit der Tochter des Patriziers Matthaeus Herbroth aus Ravenstein. Während die Frau in Basel blieb, kehrte er nach Berlin zurück, sandte aber nach und nach den größten Teil seiner fahrenden Habe und seines Vermögens in seine Heimatstadt. Die Frau befleißigte sich jedoch keines sehr ein wandfreien Lebenswandels, und Thurneysser dachte ernstlich an eine Scheidung. Anfang 1682 ließ er sie zwar nach Berlin kommen, muß sich aber von der Richtigkeit der Anschuldigungen überzeugt haben, denn er sandte sie ihrem Vater zurück, worauf eine Klage auf Ehescheidung von seiten der Frau gegen ihn geführt wurde. Die gerichtlichen Verhandlungen wurden in Basel geführt, Thurneysser, der nicht selbst Hinreisen konnte, war auf Notare angewiesen, die ihn nach Möglichkeit schröpften und seine Sache schlecht vertraten. So kam es 1584 zur Verurteilung Thurneyssers, seine in Basel befindlichen Besitztümer, Grundbesitz, Geld und fahrende Habe, wurden der Frau zugesprochen, und er kam dadurch um den größten Teil seines Vermögens. Obwohl er nach wie vor in hoher Gunst beim Kurfürsten stand, verließ er auf die Kunde von dem verlorenen Prozeß heim lich Berlin und begab sich nach Prag und später nach Rom. Seine letzten Lebensjahre scheint er in Köln verbracht zu haben, 1595 oder 1696 soll er in einem dortigen Kloster gestorben sein. War Thurneysser ein Schwindler und Betrüger? Ich möchte dieses verneinen. Er hat seinen Gönner, den Kurfürsten nicht ausgesogen und betrogen und ist nicht den »Goldmachern« zuzuzählen, die so eifrig für ihre eigene Tasche sorgten. Er war ein Kind seiner Zeit, der den Aberglauben der Zeit für sich dienstbar zu machen wußte und der sehr viel Gutes geschaffen hat; die ganze gewerbliche Tätigkeit der Mark geht auf ihn zu rück, als Sprachforscher. Arzt und Dichter hat er für die damalige Zeit große Bedeutung gehabt. Nie darf jedoch vergessen werden, daß Thurneysser durch Börsenblatt für dm Deutschen Buchhandel. 76. Jahrgang eigene Mühe und mit eigenen Kosten den Druck und den Holz- schnitt in der Mark zu großer Höhe gebracht hat, seine Holz schnitte sind mustergültig. Die Druckerei hatte bereits 1577 Michael Hentzke übernommen; er starb, jedoch schon 1580, seine Witwe heiratete Nicolaus Voltz aus Erfurt, der das Geschäft von 1683 an weiterführte, vorerst noch unter der Oberleitung Thurneyssers. Nachdem dieser Berlin verlassen, scheint der Rektor des Gymnasiums zum Grauen Kloster, Wilhelm Hilden, Anteil an der Druckerei gehabt zu haben, von manchen Seiten wird auch behauptet, daß er in ver wandtschaftlichen Beziehungen zu Voltz gestanden habe. Hilden druckte griechisch und lateinisch; er verließ aber schon 1686 Berlin, um einem Ruf als Professor der griechischen Sprache und Mathe matik an die Universität Frankfurt a. O. Folge zu leisten. Dort starb er bereits im nächsten Jahre. Voltz siedelte 1592 gleichfalls nach Frankfurt über und druckte dort fortan. Berlin war wieder einige Jahre lang ohne Druckerei. 1699 wurde der Drucker Christoph Runge aus Damm in der Neumark vom Kurfürsten Friedrich Joachim nach Berlin berufen und ihm die Räume des Grauen Klosters zur Errichtung einer Druckerei angewiesen. Ir07 starb Christian Runge, seinen Erben die Druckerei hinterlassend, die dann von 1610 an der Sohn Georg Runge fortführte; dieser starb 1639 und hinterließ das Geschäft seiner Witwe, die es bis 1643 fortführte und dann ihrem Sohne Christoph übergab, der das Geschäft bis 1681 besaß. Die Familie Runge hat während der Zeiten des dreißigjährigen Krieges schwer zu kämpfen gehabt, und noch Christoph Runge hatte 1648 vom Großen Kurfürsten ein dreijähriges Moratorium gegen seine Gläubiger gewährt erhalten. Im gleichen Jahre wurde ihm gestattet, den eigenen Verlag in seinem Hause zu verkaufen, »dafern ihm die Berliner Buch händler solche Werke umb einen billigen Preis abhandeln wollten«. Wir erfahren dabei gleichzeitig, daß der Berliner Buchhandel da mals sehr im argen lag; der eine Buchhändler Guth war ge storben, der andere, Kalle, befand sich in schlechten Vermögens verhältnissen. Georg Runge hatte 1621 ein Privileg erhalten, daß neben ihm kein anderer Buchdrucker sich in Berlin und Cölln niederlassen dürfe, und daß er und seine Elben einzig und allein berechtigt und befugt sein sollten, dort die Buchdruckerkunst auszuüben. Runge druckte auch die vom Botenmeister Frischmann heraus gegebene Zeitung, sein Sohn erwarb sie zu eigen und erhielt 1656 die Konzession zum Druck und Verlag der Berliner Avisen. Christoph Runge jr. brachte die Druckerei in den fünfziger Jahren, nicht zum wenigsten dadurch, daß ihm die Zeitungs- konzessivn zugefallen war, zu hoher Blüte; er erwarb, nachdem er das Graue Kloster hatte räumen müssen, 1658 ein eigenes Haus und verlegte seine erheblich vergrößerte Druckerei dorthin. Aber ihm erwuchs bald scharfe Konkurrenz. Trotz seines Privilegs erhielt der Buchdrucker Georg Schultze aus Guben 1664 auf Betreiben des kurfürstlichen Bibliothekars gleichfalls ein Privi leg zur Ausübung der Druckkunst in Berlin und Cölln, und zwar erhielt er zur Ausübung seiner Kunst einen Raum im Schlosse selbst angewiesen. Schultze war als armer Knabe seinerzeit von Runges Mutter aus Mitleid ausgenommen worden, er hatte bei Christoph Runge jr. selbst die Buchdruckerkunst erlernt und sich dann, nachdem er eine reiche Witfrau geheiratet hatte, in Guben niedergelassen. Von dort kam er nach Berlin und wußte bald nicht nur seinem alten Meister einen großen Teil der Kundschaft abzujagen, sondern nahm ihm auch seinen letzten Setzer fort, hetzte die Gesellen gegen ihn auf und machte ihn den Nachbarn verächtlich. Er maßte sich außerdem den Titel eines Kurfürstlichen Hofbuchdruckers an. Vergeblich waren alle Eingaben Runges an den Kurfürsten zum Schutz seiner Privilegien. Zwar wurde angeordnet, daß die beiden Drucker sich gütlich einigen sollten und, wenn dies nicht möglich sei, ein Gutachten eingeholt werden solle, wer recht, wer unrecht habe; zu einem solchen Gutachten kam es jedoch nicht, und Christoph Runge, dem die letzten Jahre seiner Tätigkeit durch diesen Zwischenfall sehr vergällt wurden, ist 1681 gestorben. Die Witwe, es war die dritte Frau Runges, erbte die Offizin. Gern hätte diese das Geschäft, das durch seine Verlagsunter nehmungen, vornehmlich durch das Gesangbuch, und durch das Privileg des Zeitungsdruckes wertvoll war, dem Kurfürsten ver- 2068