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5052 Börsenblatt f. d. Ltschn. Buchhandel Nichtamtlicher Teil. 94, 24. April 1912. daß nicht einmal die Kosten vereinnahmt werden und der Konzertierende diese aus seiner Tasche zu decken hat. Ob da der Musikalienhändler von der vorhandenen Bruttoeinnahme seine bescheidenen Prozente einfordern darf? Er ist ja doch, wenigstens nach Ansicht des gottbegnadeten Künstlers, schuldig an dem Mißerfolg — gottbegnadet ist bekanntlich jeder Künstler —. Darum ist es auch bei Konzerten, wo das Risiko nicht in Frage kommt, sehr wichtig, die Bedürfnisfrage recht ernst zu prüfen, wenn man nicht von Hause aus auf jeden entsprechen den Nutzen verzichten will. Namentlich sei man mit der Ab lehnung von Angeboten solcher Künstler recht freigebig, die zu gewisser Zeit rudelweise auftreten, wie früher Ueberbrettl, später Kabaretigesellschaften, Lautensänger und -sängerinnen. Selbstverständlich fallen solche Bedenken zum größten Teil in den wenigen großen Städten fort, in denen ein Musikalien händler den Konzert-Billetverkauf als selbständigen Geschäfts zweig betreibt. Ein sehr lohnendes Kapitel: -Die Wohltätigkeits-Konzerte« ließe sich hier anschließen, aber da sie nicht eigentlich hierher gehören, will ich nur kurz darauf Hinweisen, daß der Gedanke des Wohltuns bei den meisten Ausführungen dieser Art als unwichtigstes Motiv erst in allerletzter Linie in Frage kommt, vielmehr oft recht egoistische Gründe die Triebkraft bilden. Auch die grassierenden Konzerte der Blinden sind selten einwandfrei, die Kunst, der sie anscheinend dienen sollen, hat dabei gewöhnlich recht wenig zu tun, dagegen vielmehr ge schäftliche Interessen Gutsehender. Nun gibt es noch eine ganze Reihe von musikalischen Unternehmungen, die die ortsansässigen Vereine, namentlich Gesangvereine, aber auch Konzertgesellschaften, veranstalten, teils um statutenmäßig ihren passiven Mitgliedern schuldende Aufführungen zu bieten, teils um die für diese entstehenden Kosten zu decken. Dazu kommen dann noch Vereine anderer Art, die mit der Musik absolut nichts zu tun haben, aber auch einmal eine günstige Gelegenheit ausnutzen oder vom Zaune brechen, um von ihrer Existenz etwas laut werden zu lassen. Solchen ortsüblichen Darbietungen, ganz gleich, ob sie einem Bedürfnis entsprechen oder höchst überflüssig sind, stellt sich der Mustksortimenter, ohne zu prüfen, xour Is roi äs Lrusso zur Ver fügung. Er handelt dabei nicht etwa aus rein idealen Motiven, o, nein! — hier heißt es: »warme wavuw lavat«; die Vereine brauchen Musikalicn, deren Mitglieder ebenfalls, die Käufer der Eintrittskarten sind Kunden oder können es doch wenigstens werden. Ein weiterer unter Umständen lohnender Nebenzweig ist der Handel mit musikalischen Instrumenten. Eine ganze Anzahl von Abarten ist hierbei zu berücksichtigen, von denen die meisten mehr oder weniger erhebliche Fachkenntnisse vorausfetzen, wenn man diesen Nebenzweig mit greifbarem Nutzen betreiben will. In Nr. 240 vom 20. Juni 1911 habe ich in meinem Artikel »Der Stamm baum des Musikalienhändlers« darauf hingewiesen, daß eine Anzahl der noch heute bestehenden Musikverlage einen Musiker als Begründer Nachweisen können; ein ähnliches Verhältnis trifft bei Musiksortimenten, die gleichzeitig Instrumente führen, zu: Ein geschäftlich veranlagtes Mit glied irgendeiner Stadtkapelle hat vor Jahren damit be gonnen, für sich und seine Kollegen Saiten und Bestandteile einzukausen, die er an letztere mit kleinem Nutzen abgibt. Hin und wieder gelingt es ihm, auch eine Geige oder ein anderes Instrument in gleicher Weise unterzubringen. Später mehren sich die Aufträge; der auswärtige Fabrikant stellt ihm auf Kredit oder gegen bequeme Zahlungsweise ein kleines Lager zur Verfügung, ein vorläufig bescheidener Laden ermöglicht ihm in Gemeinschaft mit Familienmitgliedern, weitere Kreise als Kundschaft heranzuziehen und zu be friedigen. Zu den Instrumenten werden Schulen und Studienwerke sehr bald gefordert, dann schließen sich Unterhaltungsmusikstücke an, bis sich daraus schließlich mit der Zeit das Musiksortiment entwickelt. Nach einigen Jahren wird er auf den Bezug über Leipzig hingewiesen, seine Firma prangt im Bnchhändleradreßbuch, ein herangewachsener Sohn wird in die Fremde geschickt, um den Mustkhandel zunftmäßig zu erlernen. Die kaufmännische Tüchtigkeit des Vaters hat er als bestes Erbe bereits vorher in sich verarbeitet, und nach Rückkunft aus der Fremde ent wickelt er das Musiksortiment mit dem Jnstrumentenlager als Ncbenzweig, zuerst gemeinsam mit dem Vater, zu einem nutz bringenden und geachteten. Das ist ein Musterbeispiel, dem manche wenig abweichende noch zuzufügen wären. Auch dafür könnte ich Firmen aufführen, die heute noch bestehen, will aber darauf verzichten, da es nicht jedem angenehm ist, in seinem Stammbaum einen schwachen Zweig nachgewiesen zu sehen. Von den vielen Abarten, die der Jnstrumentenhandel als Nebenbranche führt, fei in erster Linie des Saitenhandels gedacht. Meines Wissens wurden in früherer Zeit in den Groß städten seitens der Mustksortimenter nur ausnahmsweise Saiten und Instrumente geführt, nicht einmal Notenschreibpapier erhielt man dort. Heute hat sich das freilich geändert, aber Feineres sucht man auch jetzt noch nicht bei dem Mustksortimenter der Großstädte, da dort genügend Spezialgeschäfte dafür vor handen sind. Dagegen führen jene ziemlich ausnahmslos jetzt Saiten für alle Schlag- und Streichinstrumente, sowie viel gebrauchte Bestandteile, wohl auch eine Auswahl von Schulgeigen, Patentzithern, Schlagzithern, Okarinas, Har monikas, Lauten, Guitarren, Mandolinen usw. In den Mittelstädten dagegen findet man wohlassortierte Lager aller Musikinstrumente und deren Bestandteile (entweder mit Ausschluß von Klavieren oder doch mit geringer Auswahl); sie funktionieren neben dem Musiksortiment als Spezial- Jnstrurnentengeschäft. Daneben gibt es auch wieder Sortimente, dis insbesondere mit einer Anzahl von Klavieren Vermietungsgeschäfte machen, wohl auch Lager ver käuflicher neuer und gebrauchter führen, bei entsprechendem Bedarf sogar Vertretungen namhafter Klavierfirmen erhalten, die ihnen für gewisse Orte und sogar Kreise den Alleinver kauf übertragen. Bei größerer Ausbreitung dieses Zweiges kann dieser freilich nicht mehr als Nebenzweig bezeichnet werden: er wird dann zum Hauptzweig aufrücken. Ein be sonderes technisches Personal, das für das Sortiment gar nicht verwendbar ist, macht das unerläßlich. Auf der andern Seite hat man auch Klavierhandlungen, die sich im Laufe der Jahre ein Musiksortiment zulegten; doch kann man dieses in den meisten Fällen nur als Nebenzweig ansehen, wie es ja auch der Fall ist, wenn der Buchhändler sich in ähnlicher Weise erweitert. Das bemerke ich nur so neben bei, weil ich ja das Musiksortiment als Hauptzweig und nicht als Anhängsel zu schildern habe. Eine große Anzahl Sortimenter begnügt sich damit, Phonographen, Grammo phone und ähnliche mechanische Musikinstrumente mit ihren auflegbaren Notenscheiben, Rollen und Walzen zu führen, weil dazu keine übergroße Fachkenntnis, sondern ledig lich ein paar Handgriffe, die sich unschwer erlernen lassen, gehören. Gut ist es freilich, eine etwas ge schickte Hand zu besitzen, um kleine Störungen beseitigen zu können, bei größeren muß sowieso die Fabrik in Anspruch genommen werden. Will man aber mit wirklichen musikalischen Instrumenten handeln, so muß man, selbst wenn ein geschickter Operateur, der Holz und Blech gleichzeitig zu heilen versteht, zur Hand ist, eine ge wisse Summe von Fachkenntnissen mitbringen oder sich an eignen, da man sich nicht sowohl beim Ankauf, als auch beim Verkauf ganz aus sein Personal verlassen kann.