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8470 Nichtamtlicher Teil. 262, 10. November 1899. Die gleichen Meinungsverschiedenheiten, die sich schon im Schoße der Kommission gezeigt halten, traten nun auch in der zweiten Sitzung des Kongresses zu Tage. Die Beweis führung der Kommissionsmehrheit mar folgende: Der per sönliche Charakter, der einen: Werke der Litteratur und Kunst anhastet, führe logisch dazu, daß der Autor, wenn er nicht durch Vertrag gebunden sei, der alleinige Herr und Meister über sein Werk bleibe und darüber wie über seine eigene Person verfiigen könne, daß somit ihm allein die Wahl seines Ver legers und die Bestimmung des geeigneten Zeitpunktes für die erste Veröffentlichung sowohl, wie für das Erscheinen späterer Auflagen zustehe; daraus ergebe sich, daß die Rechte der Gläubiger dieses Recht des Verfassers nicht sollten ein schränken können; es sollte ihnen daher jegliche Pfändung oder jeder Verkauf des Vervielfältigungsrechtes oder auch des Ausführungs- und Verlagsrechtes, gegen den Willen des Autors, unter Verhältnissen, die diesen: Schaden bringen können und die allein er richtig zu beurteilen vermag, unter sagt sein. Diesen Argumenten wurde, hauptsächlich von seiten des Herrn Lermina, entgegengehalten, daß, sobald ein Werk veröffentlicht und vollendet sei, der Autor nicht mehr be rechtigt sei, sich der Verpflichtung zu entziehen, aus dem Er trage seiner Arbeit seine Schulden zu bezahlen, denn kein Interesse gehe über die Ehrlichkeit; sonst besäßen die Autoren ganz allein unter allen anderen Menschen das sonderbare Vorrecht, ihre Gläubiger zu hintergehen, indem sie z. B. sich der Neuauflage eines Werkes widersetzen könnten, das ihnen sicheren Gewinn einbringen müßte. Als Lösung, die mehr in der Mitte zwischen diesen Meinungen steht, führte Herr Osterrieth den Artikel 11 des neuen deutschen Gesetzentwurfes an, wonach die Zwangs vollstreckung gegen den Urheber selbst zur Erlangung der Herausgabe einer neuen Auflage nicht stattfinden darf und gegen die Erben nur dann zulässig ist, wenn das Werk er schienen ist, und Herr Nabel verwies auf die von Professor Köhler verfochtene Ansicht, wonach der Gläubiger ein Recht auf Auspfändung einzig und allein hinsichtlich derjenigen Erscheinungsort des Werkes — Druck, Aufführung rc. — hat, die der Autor selbst behufs Veröffentlichung gewählt hat; anderseits wäre die Anfechtungsklage gegen Dritte, denen der Autor seine Rechte ganz oder teilweise in be trügerischer Absicht abgetreten har, um sie seinen Gläubigern zu entziehen, ausdrücklich aufrecht zu erhalten. Endlich beschloß der Kongreß fast einstimmig, die vorgeschlagene Resolution abzulehnen, in der Erwägung, daß durch diesen Beschluß die Frage nicht entschieden, sondern nur auf später zurückgestellt werde. Rechte der Erben und Testamentsvollstrecker. — Das beste Mittel für den Urheber, um faktisch sein Autor schaftsrecht (äroit moral) über seinen Tod hinaus dauern zu lassen, besteht darin, entweder vertrauenswürdige Legatare oder dann Testamentsvollstrecker sich auszusuchen, die sein Andenken gegen Angriffe verteidigen und die Nutzung seiner Werke überwachen sollen; fehlen testamentarische oder Ver tragsbestimmungen, die den Autor bis nach seinen: Tode binden, so besitzen seine Erben das Urheberrecht in: vollen Umsange; die Gerichte sollen ihnen jedoch verbieten können, ein Werk mit entstellenden Abänderungen zu veröffentlichen. Der von den Berichterstattern in dieser Frage über einstimmend eingenommene Standpunkt wurde von Herrn Osterrieth als mit dem Grundprinzip des äroit moral im Widerspruch stehend bekämpft; das Autorschaftsrecht (äroit moral) sei ein wesentlich persönliches Recht, das mit den: Ableben des Autors auch dahinfalle; nur durch eine ganz unzulässige Rechtsauslegung könne man behaupten, die Erben setzten die Persönlichkeit des Autors fort; in Wirklichkeit bestehe aber kein nachgelassenes Autorschaftsrecht (äroit moral xostbums). Sodann komme die Beurteilung der an einem Werke angebrachten Veränderungen der litte- rarischen und wissenschaftlichen Kritik zu, keineswegs aber den Gerichten; sollten diese eine derartige litterarische Polizei ausüben, so müßten sie sich unbedingt auf Sachverständigen gutachten verlassen; diese aber würden je nach den ver schiedenartigen Strömungen der Lehrmeinungen sich ändern. — Dagegen protestierte Herr Lermina lebhaft gegen das Vorrecht, das sich gar oft Erben annraßten, indem sie unter den: Vorwände, ein Werk verjüngen zu wollen, dieses umänderten. So hätten die Erben von Bizet in der Oper »Carmen« ein Stiergefecht eingefügt! Und doch erbten sie das Werk nur als einen materiellen Gegenstand, nicht aber einen Teil der geistigen Schaffenskraft des Autors; somit seien sie gehalten, das ganze geistige Wesen und Sein, die Arbeit, wie sie aus dem Kopfe des Autors ent- spruugen sei, unberührt zu lassen. Wollten sie dagegen ein Werk abändern, so sollten sie dies offen erklären und ihre neue Veröffentlichung auch mit ihrer Unterschrift versehen. —- Diese Ansicht wurde von der weit überwiegenden Mehr heit des Kongresses geteilt. Die Aufklärungen, die der Berichterstatter Maillard noch gab, vermochten auch gewisse Bedenken zu zerstreuen, die hinsichtlich der Unantastbarkeit der zun: Gemeingut ge wordene,: Werke geäußert morden waren. Der im Bericht vorgeschlagene und auch angenommene Beschluß bedeutet einen Kompromiß; es ginge in der That zu weit, wollte man alle und jede Abänderung solcher Werke, auch die in gutem Glauben vorgenommenen, untersagen; kann es sich doch als unumgänglich notwendig erweisen, daß man an einen: Werke einige Streichungen vornimmt und z. B- ein altes Lustspiel, um es überhaupt vor einem modernen Publi kum wieder aufführen zu können, von fünf in drei Akte zu sammenzieht. Hier mit dem Strafgericht zu drohen, wäre in den meisten Fällen ungerechtfertigt. Es genügt, wenn die Richter verlangen können, daß die an: Werke angebrachten Abänderungen als solche dem Publikum auch klar kenntlich gemacht werden (so sollten nach der Bemerkung des Herrn Pfeiffer auf den moderner: Ausgaben der großen Musiker- Mozart, Haydn u. s. w. die daran vorgenommenen, oft sehr- beträchtlichen und willkürlichen Abänderungen angegeben werden). Anders verhält es sich jedoch mit den eigentlichen Ent stellungen eines Werkes, die dem Rufe eines Autors schweren Schaden zufügen können; hier sollten die Richter unbedingt befugt sein, einzuschreiten und solche Verballhornisierungen zu untersagen. Geisteserzeugnisse. — Absichtlich hatte die Kommission in der ersten auf das äroit moral bezüglichen Resolution den Ausdruck gewählt: »Der Verfasser eines jeden Geisteserzeug nisses«. Als es sich im Schoße der Assoziation um die Ab fassung eines Mustergesetzes handelte, da mußte eine ganz exakte Terminologie gesucht werden; heute aber, wo der Heidelberger Kongreß nur in ganz allgemeiner Weise Grund sätze aufzustellen hatte, glaubte die Kommission zum voraus denjenigen entgegenkommen zu sollen, die, wie z. B. Herr Pesce, seit einiger Zeit schon den Wunsch ausgesprochen hatten, die Assoziation möge sich nicht allein mit den Werken der Litteratur und Kunst befassen, sondern auch mit den wissen schaftlichen Arbeiten und den Leistungen der Jngenieurkunst. Immerhin spricht sich der Bericht darüber mit einer hier wohl zu beachtenden Zurückhaltung folgendermaßen aus: »Was die Geisteserzeugnisse anbelangt, bei denen der persönliche Stempel nicht so sehr hervortritt wie bei den Werken der Litteratur und Kunst, z. B. ein Straßenprvjekt, oder diejenigen Erzeugnisse, die wie gewisse wissenschaftliche Arbeiten zu praktischen, Ergebnisse führen, so ist die Sache