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57. 9. März 1900. Nichtamtlicher Teil. 1927 Schädigungen sind auf Hunderltausende zu veranschlagen, wenn auch gern festgestellt werden mag, daß sie durch den Nutzen, den die Einführung des neuen Rechts dem Verlags handel brachte, ganz erheblich übertroffen wurden. Hieran hatte wohl Berlin, als Sitz der Centralbehörden, des Reichs tages und des preußischen Landtages den hauptsächlichsten Anteil. Auch andere Zweige der wissenschaftlichen Litteratur er zielten einen erhöhten Absatz. Namentlich die Technik, die Naturwissenschaften und die Medizin gaben dem Verlag und dem Sortiment Anlaß zu vermehrter geschäftlicher Thätigkeit. An der Berliner Universität waren zu Beginn des Winter semesters 1899/1900 im ganzen 11321 immatrikulierte Stu denten und Hörer, darunter 803 Ausländer, während an der Technischen Hochschule 6554 Studenten und Hörer eingeschrie ben waren. Dazu kommen noch die Studierenden der Land wirtschaftlichen Hochschule, der Bergakademie, der Tierärzt lichen Hochschule u. a. m., sofern sie nicht in den vorstehenden Zahlen bereits einbegriffen sind. Den durch den Ruf der hiesigen Gelehrten in wachsender Zahl aus allen Teilen des Auslandes herbeigezogenen Akademikern verdankt das wissen schaftliche Sortiment Berlins eine große Förderung. Sind doch die ausländischen Universitätsbesucher pekuniär vielfach erheblich besser gestellt als ihre deutschen Komilitonen; außer dem ergiebt sich aus dem einmal angeknüpften Verkehr sehr häufig eine Kundschaft, die nicht selten, nachdem der Aus länder in seine Heimat zurückgekehrt ist, nutzbringend andauert. Damit hängt es zusammen, daß der Anteil des Berliner wissenschaftlichen Sortiments an der deutschen Bücher- und Zeitschriftenausfuhr in erfreulicher Zunahme begriffen ist; der Wettbewerb der alten Buchhandelsstadt Leipzig ist der einzige, der erheblich in Betracht kommt. Das wissenschaftliche Sortiment, namentlich insoweit es sich einem Einzelgebiet zugewendet hat, das es dann zumeist in Verbindung mit Antiquariat und Verlag betreibt, befindet sich in aufsteigender Bewegung. Vom allgemeinen Sorti mentsbetriebe kann man das Gleiche nicht behaupten. Die hier in Frage kommenden Geschäfte — zumeist Klein- und Mittelbetriebe — leiden an zu geringem Umsatz bei zu großen Spesen (für Mieten, Frachten u. s. w.), ferner unter der Kon kurrenz der Spezialgeschäfte und ganz besonders auch unter derjenigen der Warenhäuser. Diese Betriebe haben nicht nur die Brotartikel des Sortiments in ihre Bestände ausgenommen, sondern entziehen ihm auch durch Gewährung von Preisen, bei denen er nicht bestehen könnte, die Kundschaft und ent wöhnen das Publikum davon, die Bücher beim Buchhändler zu kaufen. Auch der Kolportage- und Reisebuchhandel ist — größten teils auf Kosten des Sortiments — in starkem Zunehmen begriffen. Unausgesetzt steigt der Umsatz größerer medizinischer, architektonischer Werke u. s. w., sowie derjenige der Encyklo- pädieen und Konversations-Lexika. Für ihren Vertrieb entstehen überall neue Firmen, deren Jahresumsatz oft nach kurzer Zeit in die Hunderltausende geht. Die Reisenden durchziehen Land und Stadt und bereiten dem ansässigen Buchhandel einen erheb lichen Wettbewerb, der sich namentlich insofern bemerkbar macht, als die Interessenten durch die oft auf Jahre hinaus sich er streckenden Abzahlungsverpflichtungen von anderweitigen lit- terarischen Ankäufen abgehalten werden. Anderseits mag an erkannt werden, daß die in Rede stehende Vertriebsweise die Neigung, für Bücher Geld auszugeben, in weiten Kreisen erst geweckt und dadurch doch schließlich auch dem Sortiments buchhandel neue Abnehmer erzogen hat. Dieser selbst hat sich in nicht wenigen Fällen den veränderten Zeitverhält nissen angepaßt und die nötigen Einrichtungen getroffen, um auch seinerseits die Kunden aufzusuchen oder diejenigen, die es noch nicht sind, durch persönliches oder schriftliches An gebot als Kunden zu gewinnen. Die Antiquariate sind, insoweit sie das wissenschaftliche Gebiet bearbeiten, meist mit Sortiment und Verlag ver bunden; auf sie findet Anwendung, was oben in betreff des wissenschaftlichen Sortiments gesagt ist. Das Antiquargeschäft mit Seltenheiten wird immer schwieriger, da unsere ein schlägigen Bestände seit Jahrzehnten durch die Verkäufe ins Ausland mehr und mehr gelichtet worden sind. Der Antiquar ist somit in immer größerem Umfange darauf angewiesen, im Auslande zu kaufen, während früher die ausländischen Antiquare ihre Einkäufe in Deutschland bewirkt haben. Hier für wird der Antiquar dadurch entschädigt, daß es dank der großen Ausbreitung der Bücherliebhaberei auch in Deutsch land und namentlich in Berlin neuerdings auch bei uns un verkennbar leichter geworden ist, wertvolle Bücher zu an gemessenen Preisen zu verkaufen. Seit einiger Zeit widmen die Antiquare dem Autographenhandel eine gesteigerte Thätig- keit; große Summen werden hierin umgesetzt und gute Ge winne erzielt. Die Bestellanstalt der Korporation der Berliner Buch händler wird vom größten Teil der Berliner Buchhandlungen benutzt; infolgedessen geben die Ziffern über den Verkehr dieser Anstalt immerhin an, welche Gewichtsmassen im inne ren Verkehr des Berliner Buchhandels zu bewältigen sind. Die Paketausfuhr betrug 901 491 lrZ gegen 883 300 üg im Jahre 1898, wies also ein Mehr von 18 191 üg auf. Im ganzen Verkehr hatte die »Bestellanstalt für den Berliner Buchhandel« in der Berichtsperiode 1536552 üg gegen 1 487 380 lrg im Vorjahre zu verarbeiten; im Durchschnitt waren also täglich 5122 KZ zu bewältigen. ^ F. F. Pawlenkow. IV. 8. Am 20. Januar (1. Februar n. St.) d. I. starb in Nizza an der Schwindsucht im einundsechzigsten Lebens jahre der russische Verleger Florentin Fjodorowitsch Pawlenkow. Er war im Gouvernement Tambow geboren, besuchte in St. Petersburg die Artillerie-Akademie, war einige Jahre Beamter in den Arsenalen von Kijew und Brjansk, widmete sich dann, nachdem er vergebens versucht hatte, Er zieher in einem Militärgymnasium zu werden, dem Berufe eines Uebersetzers, Verlegers und Buchhändlers und wurde in der Ausübung dieses Berufs mehrfach verurteilt und bestraft. Seine ersten schriftstellerischen Arbeiten veröffentlichte er 1862 bis 1865 im »Artillerie-Journal«, im »Photograph« und im »Journal der Manufakturen und des Handels«. Im Jahre 1866 übersetzte er aus dem Französischen einen »Vollständigen Kursus der Physik«, den er auch selbst ver legte; im folgenden Jahre begann er die Herausgabe der Werke des radikalen Krittlers Pissarew. Nachdem er den zweiten Band dieser Werke hatte drucken lassen, wurde er vor Gericht gestellt und zur Verbannung nach Wjatka ver urteilt. Dort übersetzte er noch einige physikalische Werke und verfaßte auch eine »Fibel für den Anschauungsunter richt«, die auf der Wiener Weltausstellung von 1873 durch eine ehrenvolle Erwähnung ausgezeichnet wurde. Während seiner Verbannung gab er auch ein »Vergißmeinnicht aus Wjatka« heraus, das ihm im Jahre 1877 wieder eine ge richtliche Anklage zuzog. Nachdem er 1881 nach St. Petersburg zurückgekehrt war, widmete er sich ausschließlich dem Verlagsbuchhandel, und seine zahlreichen Verlagsarttkel zeichneten sich stets durch wertvollen Inhalt, gute Ausstattung und billige Preise aus. Er gab u. a. die belletristischen Werke von Puschkin, Lermontow, Gl. Uspenskij, Schelgunow, Potapenko, Dickens, Victor Hugo, Erckmann-Chatrian, ferner Bjelinskijs, Piffarews, 258*