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183, 8. August 1908. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. k. Tisch», Buchhandel. 8441 Warenerzeuger das Recht nicht abgesprochen werden darf, daß er allein über seine Erzeugnisse zu verfügen hat und er keine Verpflichtung hat, seine Waren umsonst abzugeben. Eine Neuregelung wird versuchen müssen, die Interessen der gesamten Nation, als deren Vertreter die Bibliotheken in dieser Angelegenheit zu betrachten sind und die des Buch handels auf einer mittleren Linie zu vereinigen. Der Ver fasser versucht einer solchen Vereinigung der Interessen vorzuarbeiten, indem er Grundsätze für eine Neuregelung aufstellt, die, wenn auch der Buchhandel ihnen nicht ohne weiteres zustimmen sollte, doch als durchaus diskutierbar be trachtet werden können. Zurückweisen müßte man aller dings von vornherein die Ansicht des Verfassers, daß die Höhe dieser Abgabe in der Regel für das einzelne Werk sehr gering sei. »Sie beläuft sich, — da die Pflichtexemplare aus der Zahl der nicht honorierten Freiexemplare genommen werden dürfen, nur auf die Herstellungskosten eines Exem plars^ Diese Ansicht ist ebenso irrig, wie die Gleichstellung der Pflichtexemplare mit Rezensionsexemplaren. Ein Re zensionsexemplar ist ein Vertriebsmittel, dessen Anwendung einmal nicht zu umgehen ist, obwohl die Schäden, die häufig durch Rezensionsexemplare dem Verleger zugefügt werden, allgemein bekannt sind. Die Pflichtexemplare an Bibliotheken sind aber keine Vertricbsmittel, sondern ersetzen Exemplare, die sonst gekauft werden müßten. Deshalb ist es auch irrig, den Wert des Freiexemplars nur als Papierwert zu rechnen. Die Kosten für die Herstellung dieses Exemplars kommen nicht in Betracht, sondern vielmehr der entgangene Betrag für den Ankauf eines Exemplars. Ob der Schaden, den der Verleger durch die Abgabe des Pflichtexemplars dadurch er leidet, daß er in der Bibliothek einen Käufer verliert, durch den Vorteil wettgemacht wird, daß das Pflichtexemplar in manchen Benutzern die Kauflust weckt und hierdurch mittel bar als Reklame wirkt, wie der Verfasser meint, wird sich ebenso schwer beweisen wie widerlegen lassen. Die Belastung des Gesamtbuchhandels durch die Pflichtexemplare ist eine doppelte, einmal beim Verleger durch den Entgang des Nettopreises, das zweite Mal beim Sortimenter durch den entgangenen Verkauf eines Exemplars an die betreffende Bibliothek. Würde der Pflichtexemplarzwang für ganz Deutschland eingeführt, so daß ein Exemplar jedes Schriftwerks z. B. an die Königliche Bibliothek in Berlin abgegeben werden müßte, so würde die Bibliothek in den Stand gesetzt werden, die sämtlichen deutschen Erzeugnisse des Buchhandels nicht mehr kaufen zu müssen. Dadurch würden alle Berliner Sortimentsbuch handlungen, die an die königliche Bibliothek liefern, ihre Lieferungen verlieren. Der Betrag, den die Bibliothek ausgibt, würde wahrscheinlich verwendet werden auf die Ausfüllung von Lücken — was an sich ja sehr wünschenswert wäre — und auf den Ankauf ausländischer Literatur, deren Beschaffung naturgemäß sich in einer oder wenigen Händen vereinigen würde. Es würden also die deutschen Verleger und die Berliner Sortimenter in gleicher Weise benachteiligt werden. Auf der anderen Seite ist zuzugeben, daß es nicht nur wünschenswert ist und kulturell geradezu gefordert werden muß, daß an einer Stelle in Deutschland die gesamten deutschen Schriftwerke gesammelt werden, so daß man weiß, daß an dieser Stelle jeder Nachfrage genügt werden kann. Diese Schriftwerke sämtlich durch Ankauf zu erwerben, würde nicht nur eine sehr große Summe erfordern; es würde auch sehr schwer zu erreichen sein, da ein sehr großer Teil dieser Schriftwerke garnicht im Buchhandel ist, also auch selbst dann nicht gekauft werden könnte, wenn die Bibliothek zu ihrem Ankauf bereit wäre. Dazu kommt noch das Moment, daß keine Bibliothek jemals ungemessene Mittel haben wird und Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 7K. Jahrgang. daß die Beurteilung im voraus, wieviel Mittel zu dem Ankauf der gesamten Schriftwerke im nächsten Jahre not wendig sein wird, schwer, ja vielleicht unmöglich ist: reichen die Mittel nicht aus, so wird immer eine Auswahl ge troffen werden müssen, die zur Folge hat, daß Lücken entstehen, die später überhaupt nicht mehr ausgefüllt werden können. Es werden dies häufig Werke sein, die dem Bibliothekar als unwichtig erscheinen, während eine spätere Zeit dieses Urteil des Bibliothekars nicht wird gelten lassen. Der Verfasser will nun auf zwei Wegen versuchen, die Interessen der Bibliotheken und des Buchhandels zu ver einigen. Er will erstens die Pflichtexemplare nur einer beschränkten Benutzung zugänglich machen. »Wenn im folgenden daran festgehalten wird, daß die Unentgeltlichkeit der Ablieferung der Pflichtexemplare gerecht und berechtigt ist, so geschieht dieses unter der Voraussetzung, daß Vorsorge dagegen getroffen wird, daß die Einrichtung der Pflicht exemplare nicht zur unentgeltlichen Büchererwerbsquelle wird, indem die Pflichtexemplare nur einer beschränkten Benutzung, namentlich in dem ersten Jahre nach ihrem Erscheinen und nur zum Zwecke wissenschaftlicher Studien innerhalb der Räume der Bibliothek unterliegen.« Dadurch würden die Pflichtexemplare auch vor einer übermäßigen Abnutzung bewahrt und die Bibliothek wäre genötigt, von einer ganzen Anzahl von Pflichtexemplaren ein zweites Exemplar zu kaufen. Die Klage der Verleger, daß sie durch die Ab lieferung der Pflichtexemplare einen Käufer verlören, würde dadurch gegenstandslos werden. Als zweites Mittel, den Buchhandel mit der Lieferung von Pflichtexemplaren zu versöhnen, schlägt der Verfasser eine teilweise Vergütung vor. Ein solcher Vorschlag ist ja nichts Neues. Tatsächlich ist er auch schon in einigen Staaten in Übung. In Württemberg z. B. wird die Hälfte des 30 ^ übersteigenden Ladenpreises vergütet. Der Verfasser führt an, daß auf der 1901 in Gotha abgehaltenen 2. Ver sammlung deutscher Bibliothekare von dem Direktor der Breslauer Universitätsbibliothek eine Resolution vorgeschlagen worden sei, nach der Verlegern für Bücher, deren Ladenpreis über 50 beträgt, eine Entschädigung etwa bis zur Höhe des halben Ladenpreises zugebilligt werden soll. Diese Resolution sei zwar nicht angenommen worden, aber nicht aus prinzipieller Gegnerschaft, sondern weil man glaubte, eine derartige Regelung den Regierungen überlassen zu sollen. Seiner Arbeit schließt der Verfasser einen Gesetzentwurf nebst ausführlicher Begründung an, der die Gesamtmaterie für das Großherzogtum Hessen regeln soll und der jedenfalls eine brauchbare Unterlage für eine Regelung im ganzen Deutschen Reich bietet, eine Regelung, die über kurz oder lang doch erfolgen muß. Allerdings ist in diesem Entwurf eine Entschädigungspflicht nicht vorgesehen. Wenn ich mit meiner Meinung nicht zurückhalten soll» so würde sie dahin gehen, daß ich es sehr begrüßen würde, wenn innerhalb Deutschlands eine Stelle geschaffen würde, die sämtliche Schriftwerke, welcher Art sie auch sein mögen, die in deutschen Landen, sowie die, die in deutscher Sprache außerhalb Deutschlands gedruckt werden, sammeln würde. Die berufenste Stelle wäre meiner Meinung nach die Königliche Bibliothek in Berlin. Es müßte dem Patriotismus der nichtpreußischen Bibliotheken anheimgestellt werden, zu gunsten der Königlichen Bibliothek auf das ihnen zustehende Pflichtexemplar zu verzichten. Jeder deutsche Verleger hätte also ein Pflichtexemplar an die Königliche Bibliothek in Berlin abzuliefern, dagegen fallen sämtliche anderen Pflicht exemplare fort. Zu erwägen wäre, ob bei teuren Büchern, etwa solchen von 30 ^ an, dem Verleger eine Entschädigung in Höhe der Hälfte des Ladenpreises zuzubilligen wäre. Der Verlag würde dadurch entlastet, insofern er nur ein Pflicht- 1102