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VSrsenLlaU f. d. Dtschu. Buchhandel. Redaktioneller Teil. X? 274, 25. Novenrber 1922. Überhaupt kollegialer Geist! Man sollte -meinen, in dieser Zeit schwerer Not müßten sich die Menschen zu gegenseitiger Hilfe und Unterstützung zusammenfindcn, Gemeinschaftssinn zeigen, und aus der eigenen Bedrängnis müßte Verständnis für die gleiche Lage des andern entspringen. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall, und krasser Egoismus herrscht, von bleicher Furcht diktiert. Besonders in dem Verhältnis des Verlags zum Sortiment. Ich bin weder Verleger noch Sortimenter und kann die Vorgänge ganz unparteiisch, wie aus der Vogelperspektive, betrachten. Es ist kein erfreuliches Bild, das sich da bietet. Angst und Mißtrauen auf allen Seiten, ohne innere Berechti gung. Wer den Gang der Zeit vor sich hat, der weiß, daß cs jetzt keine Jahresrechnung mehr geben kann, auch kein Dreimonatsziel, kaum Monatskonten; unschwer wird ein jeder verstehen, daß jetzt, um dem andern Verluste zu ersparen, stets umgehende Zahlung notwendig ist. Sie sehen es alle ein, aber nicht jeder tut es. Die einen sind bummelig und nachlässig — leider gehört zu dieser Sorte eine Anzahl der zahlungsfähigsten und größten Geschäfte —; andere ziehen ihre Zahlungen mit Absicht hinaus und spekulieren auf Gewinn aus dem Verzüge; selbst solche sind darunter, die sich in Börsenblattinseraten gegen die Maßnahmen der Verleger auslehnen. Ich meine, man kann diese beiden Sorten — es sind Ausnahmen — bald kennen lernen und ihnen gegenüber ruhig zu drakonischen Maßnahmen mit erziehe rischer Wirkung greisen. Doch »aus der Wolke, ohne Wahl, zuckt der Strahl«; warum muß man nun auch der anständigen, einsichtsvollen, zahlungs fähigen und pünktlichen Mehrheit ein so verallgemeinertes Mißtrauen entgegeubringen, eine solche Angst an den Tag legen; warum muß mau die »Lieferungsbedingungen« in so schroffem Tone ändern, warum gerade jetzt Barlieseruug und Postnachnahme einfllhren wollen? Auf jeder Neichspostkarte steht: »Nimm ein Postscheckkonto«, aus den Entwertnngsstempeln wird das eindringlichst wiederholt. Au tausend anderen Stellen heißt es: »Zahle bargeldlos!«, Mahnungen, die man gerade jetzt gar nicht ernst genug nehmen kann; denn selbst die Banken haben oft nicht einmal genügend Zahlungsmittel an der Hand, um auch uur die dringendsten Bedürfnisse ihrer kleinen Kunden daran zu befriedigen, von den großen ganz zu schweigen, die sich eigene Notgeldscheine drucken müssen — und ausgerechnet in dieser Zeit schlägt der Verlag alle solche Mahnungen in den Wind, verkennt wieder einmal die Lage und führt die Postnachnahme ein. Und warum? Weil ein Angsthase das vorgcmacht hat! Der weiße Rabe in der buchhändle- rischen Arche Noah, Herr Dr. Otto Bielefeld, spricht zartfühlend von »Leithammel und Hammelherde«, wo doch ganz andere Ausdrücke am Platze wären! Herr Gott, wie groß ist Dein Tiergarten! Daß seine Anzeige im Börsenblatt Nr. 254 vom 26. Oktober schon Nachfolger gefunden hätte, ist mir noch nicht ausgefallen. In ihr allein aber spricht sich der richtige, verstehende und mitfühlende, auch in dieser Zeit noch vertrauende Geist aus, der uns in weitester Verbreitung so bitter nötig wäre. — Von der anderen Seite aber häufen sich die Anzeigen über die vielen zurückgewiescnen (aha!) Barpakete und Nachnahme-^ scndungen, deren Inhalt wieder ausgcpackt und auf Lager genommen ^ wird. Manche wollen die Besteller auch noch für die dadurch ent stehenden Spesen haftbar machen. (Die Kosten einer Postkarte — Mark 14.40 svgl. Börsenblatt Nr. 258; jetzt natürlich weit überholt) — werden das wohl verhindern; auch die eines Zettels über Leipzig sind ja ungeheuer, wenn die größere Leipziger Verlagsbuchhandlung unter Berücksichtigung von: Papier und Satz, Druck und Schneiden, Zeitaufwand, Abnutzung von Stahlfeder und Bleistift und dem anteiligen Besördcrungsgeld durch die Leipziger Bestellaustalt das glltigst ausrcchnen möchte; jeder Verleger, der sie aus diese Weise kennen lernt, wird sie scheuen.) — Gemach! Die zurückgewiescnen Sendungen werden wohl nicht bar oder unter Nach nahme verlangt worden sein. Der Verleger kann hundertmal anzeigen, daß er gewohnheitsmäßig nur unter Nachnahme sendet; wenn jemand »zahlbar nach Empfang« bestellt, so hat er rechtlich keinerlei Befugnis, anders als verlangt zn liefern. Er kann nur schreiben: »Ich schicke aber so nicht!« und muß dann abwarten, wie sich der andere dazu stellt. Ich erinnere mich einer Gerichtsverhandlung. Ein Liefe rant hatte unter Nachnahme geschickt, ohne daß so verlangt worden war. Die Sendung war zurückgegangen, und nnn verklagte er den Besteller auf Abnahme. Dieser, als zahlungsfähiger und Zahlungs williger Mann bekannt, sagte: »Ja, ich habe die Sachen bestellt, ich werde sie auch nehmen und bezahlen, aber vor der Zahlung will ich Ware wie Rechnung prüfen; eine Nachnahme einzulösen, verweigere ich«. Das Gericht entschied, daß es so Rechtens sei. Der Kläger wurde abgewiesen, in die Kosten des Rechtsstreites verurteilt, und cs wurde ihm aufgegeben, dem Beklagten die Ware ohne Nachnahme zuzustellen. 1658^ — Die Prüfung der Ware und der Rechnungen ist aber besonders notwendig; denn es sind noch niemals so unendlich viele Fehler gemacht worden wie gerade jetzt. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß nahezu neun Zehntel aller Sendungen oder Rechnungen falsch sind. Mag es nun zugunsten oder zuungunsten des Verlegers sein; wenn die Möglichkeit vorhergehender Prüfung von Ware und Rechnung gegeben wird, dann werden solche Versehen bei der Zahlnug meist pflichtschuldig geregelt. Wird aber gegen den Wunsch unter Nachnahme geschickt, dann wird gar mancher denken: »Wurst wider Wurst!«, wenn sich der Verleger zu seinem Schaden geirrt hat, und sagen: »Was gcht's mich an; rechne Tu doch richtig!« Daß der »Nachnahme-Verleger« bei der jetzt beliebten Art des Verkehrs manchen Kunden (die Sortimenter sind seine Kunden) schließlich ganz verlieren kann, daß ihm der Absatz vieler wieder ausgepackter Bücher aber sicher entgehen muß, das sei nur nebenbei erwähnt. Daß die Antiquare, diese Handvoll Leute, die sich ihrer Zahlungs fähigkeit wie ihrer Pünktlichkeit nach, zumeist auch noch persönlich, ganz gut kennen, jetzt auch noch anfange», sich gegenseitig Nachnahme sendungen zu machen, das mutet beinahe humoristisch au. Man müßte diese Dummheit wirklich dadurch bestrafen, daß man solche Sendungen ohne Ausnahme zurückgehen ließe! O, ich könnte noch eine lange Liste von Mißständen aufstcllcu, wie sie sich im Gefolge der herrschenden Not leider ausgebildet haben, die aber alle etwas so ungemein Häßliches, Unsoziales und Selbstisches haben, daß einen eine gruselnde Gänsehaut überläuft. Nein, meine Herrschaften, halten Sie ein! Schlagen Sic einander nicht mehr tot; helfen Sie sich vielmehr und stützen Sie sich gegenseitig, und indem Sie dem Vertrauen entgegenbringen, der Vertrauen verdient, setzen Sie alles daran, daß wir dieses Elend gemeinsam überwinden! Wir können es, wenn wir wollen. Aber erst muß der böse Geist hinausge- morsen werden, von dem jetzt die meisten so arg besessen sind. Hin unter mit ihm zur Hölle! Dr. Arthur Bechtold: Kritisches Verzeichnis der Schriften Johann Michael Moscheroschs. sLivLelsedrikten rur küebor- und Uavd8etirikt6llüuud6. Ilor- 3U8g6§6b6n von vr. OeorZ b-oidlnAor und Lrnst 8eüulte- 8tratüau3. Ud. II.) IMneüen: Uor8t 8tobbe Verlag 1922 82 8. mit 15 lakein. 8°. Orundrakl 3, 5. Dr. Friedrich Seebatz: Hölderlin-Bibliographie. Mn26l8eürikten rur Lüeüer- und Uand8elirikt6nlrunde. Uer- au8gegeben von vr. 0. I^eidinger und L. 8eüu1t6-8tratüau8. Ud. III.) lUünelien: Uor8t 8tobbe Verlag 1922. 102 8. 8°. Orundraül 3. Die beiden bibliographischen Monographien, die die Einzelschriften reihe zur Bücher- und Haudschriftenkunde fortführen, lassen für das Gesaintuuternehmeu eine gedeihliche Entwicklung erhoffen und sind um so freudiger willkommen zu Heißen, als bekanntlich der Verlag bibliographischer Arbeiten immer ein Wagnis zu sein pflegt. Aller dings ist die Abneigung gegen die »trockene« Bibliographie nicht ge rechtfertigt. Wer den wertvollen und wichtigen Beitrag zur ange wandten Bücherkunde, der die Moscheroschbibliographie ist, durchsieht, wird mit Vergnügen wahrnchmen, daß auch die bibliographisch-kritische Studie, wenn sie wirklich erschöpfend wird, sich zu einem interessanten Kultur- und literarhistorischen Zeitbilde weitet. Und wer sich in der reichlichen Uberstcht der Hölderlinliteratur mnzüsehen versteht, wird in ihr nicht die Aneinanderreihung und methodische Ordnung blutloser Titel finden, sondern des Dichters Gestalt und seines Werkes Ge staltung im Verlaufe eines Jahrhunderts zu ihrer jetzt erkannten Größe wachsen sehen, sie nicht uur als eine brauchbare Handliste hin nehmen, sondern auch in ihr ein Kapitel aus der deutschen Geistes geschichte lesen. — Michael Moscherosch hat seine »Wunderlichen und wahrhaftigen Ge sichte« in einer der unseren verwandten Zeit ausgehen lassen, ein Warner vor bösen Zcitkrankheiten. Und ein Rater, was ihn noch mehr auszeichnet. Deutsch in der Gesinnung, obschon er fremde Vorbilder sich aneignet, .ein, der Form seines Werkes hier widersprechend, sich nicht in Träumereien verlierender Verstandesmensch, überläßt er sich nicht der überall nachgedcndcn Verzweiflung, glaubt er an eine Besse rung der traurigen Gegenwart, weist Wege, die aufwärts führen. Darin liegen die ethischen Vorzüge seines einst vielbewunderten Haupt werkes, dessen bibliographischer Stammbaum, von Mißverständnissen und Ubcrwucherungen gereinigt, Bechtold durch seine überall tief eindringende Untersuchung den Büchersammlcrn und Schrifttums forschern zum bequemsten Gebrauch gibt; eine notwendige Vorarbeit zu der kritischen Ausgabe, die, wenn sie einmal erst erscheint, dem Werke