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2274 Börsenblatt I. d. Dtschtt. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 43. 21. Februar 1912. der Quantität ausgebaut, so die neuen nach dem der Quali tät. Wo früher beispielsweise die Taktzahl (Quantität) des Nachsatzes der des Vordersatzes genau entsprechen mutzte, kann jetzt ein Akkord, ein Ton mehreren Takten das Gegen gewicht halten, sofern ihre qualitative Bedeutung stark genug ist. Wo man also früher eine geklärte künstlerische Wirkung gleichsam durch das Zählen der Takte zu gewinnen suchte, wird diese heute durch das Gewicht, durch die Intensität und die Wahrheit des Ausdrucks angcstrebt. Wegen der Auf hebung der Symmetrie, wegen der intensiven, alte Regeln nicht respektierenden Erweiterung der Harmonie gerät Schön bergs Kunst natürlich in den Rus der Formlosigkeit, der Will kür und der Spielerei, so datz ein Liebhaber der alten Form, welcher dennoch den inneren Zusammenhang der Schönberg- schen Musik dunkel spürte, zu dem entzückenden Wort von der .einheitlichen Formlosigkeit' getrieben wurde. — Intensität des Ausdrucks ist in Schönbergs Musik bis zu weitzglühendem Grad vorhanden. In den .sechs Klavierstücken', Momentauf nahmen eigenartiger, schnell wechselnder Seelenzustände, trägt ihre äußerst gedrungene Kürze zur künstlerischen Wirkung, zur Intensität und Wahrheit des Ausdrucks wesentlich bei. Die seltsam individuelle Gefühls- und Phantasiewelt von Stefan Georges .Buch der hängenden Gärten' wird mit so erstaunlicher Stimmungseinheit, Knappheit, Zartheit und An schaulichkeit von Schönbergs Musik realisiert, daß man sich diese Gedichte ohne diese (aber auch nur gerade diese) Musik nicht mehr denken kann. Das schwierige Problem des moder nen Liedes: wie nämlich Musik zugleich Dienerin und Herrin sein kann, sich dichterischen Einzelheiten fügen und trotzdem ein einheitliches musikalischer Ganzes bilden soll, scheint mir ganz vollkommen hier gelöst. Ebenso vollkommen wie bei Hugo Wolf, nur daß hier die Musik in entlegene Bereiche ein dringt, die Wolf noch nicht sah . . .« Im Konzertleben wird neuerdings häufiger zurück- gegriffcn auf große Werke, deren Ausführung bisher an Äußerlichkeiten, etwa an den gewaltigen Dimensionen oder Bcseyungsschwierigkeiten gescheitert war. Ein solches Kolossalwerk, das Mysterium »Christus«, von Felix Drästcke, erlebte in dieser Zeit in Berlin seine erste Gesamtaufführung seit seiner Vollendung vor 12 Jahren. Das gewaltig an gelegte Werk für Chöre, Soli, Orchester und Orgel besteht aus einem Vorspiel und drei Oratorien, die sich auf drei Abende verteilen. Die Erstaufführung des Lebenswerks Dräsickes ist ein Beweis dafür, datz es heutzutage eigentlich keine unüber windlichen Schwierigkeiten für große Konzerlaufführungen mehr gibt. In der Violinmusik zeigte sich während der letzten Jahre das Bestreben, Werke alter Meister, besonders kleinere reizvolle Stücke in freien Bearbeitungen mehr als alles andere zur Geltung zu bringen. Wo hörte man nicht in den Konzert sälen von Geigern Stücke und Weisen alter Meister, wo sah man sie nicht auf den Pulten der Schüler und in den Händen der Lehrer! Diese Vorliebe für das Alte ist erklärlich, denn sie entspringt der Abneigung des Laien gegen die ihm noch schwer verständliche Melodiesührung und Har monisierung moderner Kompositionsart. Aber vom rein künstlerischen Standpunkte aus sind doch alle diese Bearbei tungen und Neufassungen alter Stücklein zu verurteilen, denn einerseits entstellen sie ja die von den alten Meistern geschaf fene künstlerische Urform oder erfüllen einen ganz anderen künstlerischen Zweck, andererseits — und das ist die Hauptsache — stehen sie einer Weiterentwicklung unserer modernen Kunst entschieden im Wege. In neuester Zeit ist auch zu beobachten, datz die großen Violinvirtuosen sich wieder mehr dem Vortrag moderner Kompositionen widmen. Dem Musikalienhandel sollen neue Rabattbe st im mun gen beschert werden. Es erheben sich rings viele Stimmen dafür und dagegen, und ehe die nächste Leipziger Hauptversammlung ein entscheidendes Wort spricht, wird noch vielerlei zur Sache erörtert wer den. Hören wir heute die folgende Meinungsäußerung eines angesehenen Musikalienhändlers, der Verlag und Sortiment betreibt. »Das seit langen Jahren erstrebte Ziel, zur gänz lichen Abschaffung des Rabatts zu kommen, also bei allen Werken nur Nettopreise wie im Buchhandel zu führen, mutz und wird man mit der Zeit erreichen. Dazu ist aber absolut notwendig, datz auch die Musikverleger Mitwirken und Mit arbeiten, indem sie die .Ordinärpreise' abschaffen, einheitliche entsprechende Nettopreise durchgehend einführen und vor allem dem Sortimenter auf diese einheitlichen Nettopreise an gemessenen Rabatt gewähren, nämlich durchschnittlich 40 bis 50 °/». Erst eine solche allgemeine Mitwirkung kann zur voll ständigen Erreichung einheitlicher und ruhiger Preisverhält nisse führen. Ehe die Musikverleger aber in größerem Um fange solche Maßnahmen nicht durchführen, ist es auch noch nicht an der Zeit, die alten bestehenden Rabattbestimmungen auszuheben oder zu ändern. Darum scheint die vom Verein der Deutschen Musikalienhändler beabsichtigte neue Rabatt- Herabsetzung verfrüht zu sein. Es ist eine halbe Maßregel, die uns mancherlei Unerfreuliches und Schädliches bringen wird und nicht als Heilmittel wirkt.« Ich bin natürlich gern bereit, auch andere Ansichten in dieser wichtigen Frage hier zur Sprache zu bringen und Gegenäutzerungen zu berück sichtigen. Robert Lienau. Die internationale Statistik der geistigen Produktion. Zehnjährige Übersicht 1901 —1910. (übersetzt aus »I.S Droit ä'Lutsar« Nr. 12 vom IS. Dezember 1911.) (Fortsetzung zu Nr. 37, 38, 3g, 40, 41 u. 42 d. Bl.) Luxemburg. Die literarische Produktion des Großherzogtums Luxem burg schreitet in ihrer Vergrößerung fort, wie aus der nach folgenden Statistik hervorgeht, die Herr Tony Kellen in Bredeney (Ruhr) nach der in der Monatsschrift »Ovs Uomsobtr (»Unsre Heimat«, in Luxemburg erscheinend) aufgestellt hat: 1. Bücher u. Broschüren, im Buchhandel 1607 1608 1909 1610 erschienen 42 62 73 67 2. Auszüge aus Zeitungen u. Zeitschriften 3. Publikationen der Regierung, von Gemeinden und Gesellschaften (amt 11 27 36 26 liche Berichte usw.) 4. Schriften von luxemburgischen Ver fassern und Schriften über Luxem 47 67 50 58 burg, die im Auslande erschienen sind 39 31 42 36 5. Private Drucke 6 5 2 2 Es sind die Ziffern der ersten der obigen Gruppen, die in Wahrheit die eigentliche literarische Produktion des Groß herzogtums offenbaren. Niederlande. Die bibliographische Arbeit, die für die Niederlande die Firma A. W. Sijthoff in Leiden durch Herausgabe von leistet, trägt ihre Früchte. Wie in den früheren Jahren haben wir die Veröffentlichungen gezählt, die im ersten Teile des Bandes, der wissenschaftlichen Übersicht (»IVotovsobappolijlr Ovoriiobt«) aufgesührt sind, und damit die allgemeine Über sicht über die niederländische Produktion während der ersten Dekade unseres Jahrhunderts durch die Angaben aus dem Jahre 1910 vervollständigen können: