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«1k 43, 21. Februar 1912. Nichtamtlicher Teil. «Srl-N«°» < d. rtlchn. vuchSmder 227S Nichtamtlicher Teil. Musik und Musikalienhandel. i. Ich beginne heute mit einem Rückblick auf das Jahr. Was hat sein Jahreslauf mit dem brausenden, tausendfälti gen Musikleben dem deutschen Musikaltenhandel Wichtiges, Gutes oder Schlechtes gebracht? Nicht das langersehnte musikalische Wunderwerk, das dem ganzen Sortimentshandel ein großes dauerndes Geschäft, einen belebenden Aufschwung schasste! Dem »Rofenkavalier«, dem ja ein Welterfolg als Bühnengeschäft beschieden war, ist diese Rolle bis jetzt nicht zugefallen. Der Musiksortimenter hat noch keinen großen Segen davon gespürt. Geschäfte wie vorzeiten der »Trom peter«, die »Cavalleria«, der »Bajazzo« scheint es nicht mehr geben zu sollen. Auch die so viel aufgeführten »Königs- kinder« von Humperdinck sind nur ein Bühnenerfolg ge blieben. Das verflossene Jahr hat keinen wirklich durchschla genden Operettenerfolg gezeitigt, und aus dem Gebiete der Klaviermusik und des Liedes ist kein neuer Meister er standen. Vielleicht lebt er unter uns, aber wir kennen ihn noch nicht. Entrissen sind uns zwei große ausübende Künst ler: Mahler und Mottl, zwei der größten Dirigenten aller Zeiten — ein unersetzlicher Verlust! Gebracht hat uns das Jahr 1911 eine neue »Volksausgabe« in großem Stile, die »Edition Schott«, die in Zukunft Berücksichtigung verdient und auch gelobt wird, die aber doch nur die Konkurrenz er höht und die Lagerspesen vergrößert. Von gewaltigem Ein flüsse aus den Geschäftsgang ist aber der kurz vor Weihnachten erfolgte Preissturz der Wagner-Ausgaben gewesen. Wohl noch niemals in der Geschichte des Musikhandels ist in einer so einschneidenden Weise dem Freiwerden der Werke eines großen Meisters vorgegriffen worden. Es kann jetzt, wo einige Monate der Erfahrung hinter uns liegen, nicht verschwiegen werden, daß, soweit ich es von meinem Stand punkt aus zu übersehen vermag, die Verluste und die Be unruhigung infolge der verfrühten Preisherabsetzungen nicht annähernd ausgewogen werden durch den erhöhten Umsatz und die vermehrte Kauflust des Publikums.*) Erfreulich war eigentlich nur, daß der Rechtsschutz der Autoren und der Verleger weiter verstärkt und verbreitert wor *) Wir können aus eigener Erfahrung über die Wirkung dieser Preisherabsetzung kein Urteil abgeben, wohl aber be grüßen wir die Veranstaltung billiger Ausgaben vor Ablauf der Schutzfrist im allgemeinen sowohl im Interesse des Publikums als auch in dem des Sortiments. Es macht immer einen un günstigen Eindruck auf das Publikum, das die Rechtsverhält nisse zwischen den Verlegern und den Rechtsnachfolgern der Autoren nicht kennt und infolgedessen auch nicht weiß, daß der Verleger oft durch Verträge, mangelnde Einsicht der Erben oder andere Gründe an der Veranstaltung billiger Ausgaben während der Dauer der Schutzfrist gehindert ist, wenn von heute auf morgen das möglich ist, was 30 Jahre und länger nicht durchführbar war. Es mag dahingestellt sein, ob es richtig ist, daß die vor einigen Jahren neu aufgetretenen Bestrebungen zur Einführung der blljährigen Schutzfrist in Deutschland in Zu sammenhang mit dem Ablauf der Schutzfrist Wagners im Jahre 1914 zu bringen sind. Ist es der Fall, so ist das Vorgehen der hier insragekommenden Verleger, Tausenden von Musikliebenden einen Teil der Wagnerschen Werke »vorzeitig« zu billigen Preisen zu erschließen, um so anerkennenswerter, als es zeigt, daß sie sich der Verantwortlichkeit, die ihnen ein so wertvolles Monopol der Öffentlichkeit gegenüber auserlegt, bewußt sind. Auch vom ge schäftlichen Standpunkte aus will uns scheinen, daß kein Ver leger schlecht fährt, der sein Monopol in anderer Weise aus- riutzt als durch eine hohe Preisfestsetzung und selbst das tut, Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. den ist: Die Ergänzung der deutschen Gesetzgebung auf dem Gebiete der mechanischen Musikinstrumente, die wichtige Ent scheidung des Reichsgerichts über die Haftbarkeit der Unter nehmer bei Konzertauffllhrungen und vor allem das neue russische Urheberrechtsgesetz, das grundsätzlich auch den Aus länder schützt, sind drei wichtige Bereicherungen für den Musikalienhandel. Der Musik s o r l i m e n t e r hat ein schweres Jahr hinter sich, und es bestehen vorderhand keine Aussichten auf Besse rung. Der deutsche Musikverlag kann zufriedener sein, namentlich im Exportgeschäft scheint es überall in guter Ent wicklung voranzugehen. Wenn ich nach dieser Rückschau nun den Blick nach vor wärts wende, so bietet sich heute Gelegenheit zu einer Betrach tung über das, was uns aus dem Gebiete ernster Musik etwa in Zukunft beschieden sein mag. Bekanntlich entwickelt sich schon seit Jahren in Frankreich eine neue Richtung der Kom position, die mit der formalen und melodischen Tradition, mit den alten Regeln der Harmonie bricht und auf der Grundlage eigenartiger Harmoniesolgen ganz neue Wege geht. Ich meine Debussy und seine Genossen. Nun beginnen auf solchen Pfaden auch deutsche Tondichter zu wandeln. Arnold Schön- bcrg, der jetzt in Berlin lebende Wiener, der schon mancherlei von sich hat reden machen, gab jüngst ein »Morgenkonzert eigener Kompositionen«. Was Georg Grüner in der »Vossischen Zeitung«, darüber schreibt, gibt einen Vorgeschmack von dem, was unserer harrt: »Man nahm diese Musik, wiewohl ihr Schöpfer sein Kühnstes und Letztes bot, mit Achtung aus, vielleicht in dem Gefühl, daß sich hier etwas vollzog, dem man nicht mit dem ersten Blick bis auf den Grund sehen kann. Will man ausdrücken, worin sich Schön berg von den meisten Komponisten der Gegenwart unterschei det, so wäre etwa zu sagen, daß ihm die Zukunft bereits in Fleisch und Blut übergegangen ist, die Zukunst, um welche die anderen erst nur herumspekulieren, herumschwärmen, Her umspielen. Dementsprechend ist alles, was Vergangenheit heißt, bis aufs kleinste Stäubchen aus seiner Musik heraus- gefcgt. Die alte Symmetrie der Form, die wir gewöhnlich mit der.Schönheit' identifizieren (als Sklaven des Hellenis mus), die programmäßige Art der Themenaufstellung, ihrer Entwicklung, ihrer Durchführung, die steinernen Grenzen der Tonalität — alles ist gefallen. Schon Beethoven stieß Steine aus diesem alten ästhetischen Gebäude heraus, Wagner stürzte cs zur Hälfte nieder (selbst Brahms blieb dabei nicht untätig), Strauß und andere setzten das Werk fort, so gut sie konnten, Schönberg entfernt die Trümmer und macht den Platz frei für die neue, extrem individuelle musikalische Kunst des Seelen naturalismus. Werden die alten Formen nach dem Prinzip was wenig später fünfzig andere Verleger mit Erfolg tun — wenn es sich um einen Autor wie Wagner handelt. An den kleineren Geistern hat ja ohnehin 30 Jahre nach ihrem Tode kein Mensch mehr ein nennenswertes Interesse, obwohl auch ihren Verlegern und dem Publikum vielfach geholfen wäre, wenn Kuliurwerie, ehe sie in der raschlebigen Gegenwart ganz außer Kurs gesetzt werden, zu einer Zeit mit in Ansatz gebracht werden könnten, wo sie noch Gültigkeit haben. Von einer Schädigung des Sortiments wird man in solchen Fälle» nur dann reden können, wenn es nicht rechtzeitig von dem Ge scheinen der billigen Ausgaben unterrichtet und ihm so die Ge legenheit genommen wird, seinen Lagerbestand an teuren Aus gaben den veränderten Verhältnissen anzupassen. Eine derartige rechtzeitige Verständigung aber erscheint uns als selbstverständ liche Pslichi des Verlegers und ist hier Wohl auch nicht Gegen stand der Beschwerde. Red. 2V6