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Redaktioneller Teil. /V 29, 5. Februar 1913. gleich auch den nächsten Schritt machte und das Weltsormat 22,6X32 wählte. Wenn dies auch nicht ganz für den Briefordner geeignet ist, diese kleine Unbequemlichkeit hätte im Interesse der Bekämpfung einer schrecklichen, Zeit und Raum fressenden For matungleichheit ertragen werden können, zudem sich nicht alle kleineren und mittleren Sortimenter der Briefordner bedienen. Hier würde es zu weit führen, die außerordentlichen Vorteile einer allgemeinen Einführung des Weltformats an praktischen Fällen Ilarzulegen. Vielleicht ist mir dies später vergönnt. Einige Firmen haben ja für ihre Publikationen das Weltformat schon ausgenommen, so die Firma L. Staackmann-Leipzig für ihre Rundschreiben, die Verlagsanstalt und Druckerei-Gesellschaft- Hamburg für Richters Reiseführer, die Deutsche Kunsthändler- gildc, der Verband deutscher Kunstvereine; die Zeitschriften »Janus« und »Der Winter« sowie »Zeit im Bild« haben sich ebenfalls dafür entschlossen. Solange aber nur einzelne eine solche Bewegung unterstützen, kann natürlich von einer Reform an Haupt und Gliedern keine Rede sein, und im Buchhandel sind leider, leider die Ziele dieses geistig-revolutionären Unternehmens noch viel zu wenig bekannt. Die Einführung des Weltformats bildet nur einen Strebepfeiler in dem ganzen Gebäude. Die Weltregistratur nach dem Dewey- schen System, für deren Durchführung dieses Institut gleichfalls eintritt, ist vor einiger Zeit erst im Börsenblatt behandelt worden. Es bildet dies System für alle Geschäfte, die sich von formaler Arbeit entlasten wollen, Wohl das beste Hilfsmittel. Die ganze Arbeit der Brücke aber dient in erster Linie dem Buch handel, diesem Sammelbecken aller geistigen Arbeit. Alle Unternehmungen, die der Mitarbeit der weitesten Kreise bedürfen, werden, ist die Brücke erst einmal offiziell eröffnet, die beste Quelle in ihr finden. Alle Fäden laufen dann hier zu sammen, und Arbeiten wie das jetzt unternommene Bayerisch- Ssterreichische Wörterbuch, ein außerordentlichen Sammel- fleiß erforderndes Werk, würden hier ihre stärkste Unter stützung finden. Nach oberflächlicher Schätzung wird diese Samm lung aller bayerischen Mundarten etwa 15—20 Jahre in Anspruch nehmen. Nichtsdestoweniger hat es ein Denkfehler oder der böse Druckfehlerteufel vor einigen Wochen schon antiquarisch gesucht. Gemeint war natürlich das bekannte Bayerische Wörterbuch von Schweller, das viele Jahre vergriffen war und mit 160Mark be zahlt wurde. Um es auch denen, die als Mitarbeiter am neuen Werk tätig sind, zugängig zu machen, wurde ein Neudruck (Manuldruck der Firma Ullmann, Zwickau) hergestellt, der den Verkauf zu 80 Mark erlaubt. Das Risiko für diese Ausgabe trägt die Firma H. Hugendubel, München, die den Vertrieb übernommen hat. Selbst Sprachforschungen aus diesem Gebiet können manch mal zu einer unerfreulichen Bekanntschaft mit dem Staatsanwalt führen. Dies mutzte der Schriftsteller Georg Queri erfahren, für dessen Werk »Kraftbahertsch, ein Wörterbuch der erotischen und skatologischen Redensarten der Altbayern« der Vertreter der Staatsgewalt interessiert wurde. Der Bauer, den Queri abkonter- seite in seinen Naturaufnahmen, war allerdings im ganzen Wesen verschieden von dem in den meistgelesenen Dorsromanen geschil derten. Doch war das Werk auch nur für den kleinen Kreis derer bestimmt, die sich für Kulturgeschichte interessieren, für den kleinen Kreis, der bestrebt ist, den Menschen in seinen natür lichen Anlagen, ohne allen ethischen Lack, ohne allen Firnis kennen zu lernen. Queri ist nun ein besonders guter Kenner der niederbaherischen Volksseele. Und so mußte er denn auch das Wort erfahren, datz man die wenigen, die was davon erkannt, die, töricht g'nug, ihr volles Herz nicht wahrten, dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten, von je gekreuzigt und ver brannt. Die Beurteilung der Sachverständigen ist natürlich weit auseinandergegangen. Während der erste dem Werke jede folkloristische Bedeutung abspricht, messen andere ihm eine beson ders verdienstvolle Bedeutung bei. Schriftsteller von der Bedeutung eines Ludwig Thoma, vr. Conrad und L. Ganghofer qualifizieren es als eine sehr nützliche Ergänzung des Schmellerschen Wörter buchs. Recht interessant war die Frage nach der wissenschaft lichen Befähigung des Autors. O, Amerika, du hast es besser, bei dir gilt nur die Tat und nicht der Stempelbogen. Doch auch hier mußte schließlich nach dem Urteil der meisten Sachverstän digen eine Freisprechung erfolgen. Da aber der Staatsanwalt trotzdem anderer Meinung war, mutz die erhöhte Nachfrage nach dem Werk, die sich bereits kundgab, Geduld bis zum Verdikt der Berufung üben. Nach einem psychologischen Gesetz verstärkt sich aber Wohl ein Wunsch, der zurllckgedrängt wird l Professor Lujo Brentano, der bekannte Nationalökonom, hat für die Industriellen ein zu boshaft gutes Gedächtnis: »er denkt zuviel, die Leute sind gefährlich«. Die Schlüsse, die sich ihm aus seinen volkswirtschaftlichen Studien ergaben, wurden schließlich recht unbequem. Es mag nicht gerade angenehm sein, wenn man alle möglichen Zuschüsse zu den staatlichen Arbeiterversichernngen leistet, wenn man alle erdenkliche Betriebsfürsorge eingerichtet hat und auf seinen dadurch bewiesenen Altruismus swlz ist, und ein Gelehrter von der Bedeutung Brentanos nimmt seine kritische Lupe und behauptet, datz dieser Mantel der menschlichen Nächsten liebe aus lauter Egoismus gewebt ist. Auseinandersetzungen der Wochenschriften »Die Wehr« und »Der Bund« mit den Leh ren Brentanos, in denen das Problem der Arbeitswilligen be handelt wird, führten zu einer Klage Brentanos, deren Verlauf eine Verurteilung der beiden Redakteure ergab. Als Frucht der in diesen Verhandlungen gepflogenen Er örterungen erschien im November vorigen Jahres eine von vr. Tille verfaßte Broschüre: Lujo Brentano und der akademische Klassenmoralismus, die in ganz bestimmter Weise die Lehren dieses Nationalökonomen verurteilte. Professor Brentano stellte daher auch Klage gegen Verfasser und Verleger, die durch einen Vergleich beendet wurde, durch den sich der Verlag verpflichtet hat, alle Exemplare der Broschüre aus dem Handel zu ziehen und sie dem Kläger zur Verfügung zu stellen. Auffällig war, datz als Sachverständiger über die Bedeutung des Börsen blattes kein Buchhändler, sondern ein Bibliothekar vernommen wurde. Die durchgeführte Sekretierung hätte schließlich auch ein Fachmann bezeugen können. Die Wahrung der Berufsinteressen hat den Bayerischen Buchhändler-Verein veranlaßt, an das Staatsministerium die Bitte zu richten, zukünftig Mittel zu gewähren, die den Behörden und Gemeinden die Haltung der »Bayerischen Staatszeitung« erlauben. Seit 1. Januar ist nämlich Bayern mit diesem Staats organ beglückt, das sämtliche Behörden amtlich abonnieren müssen. Der Kampf, ob eine juristische Berechtigung zu dieser Verpflichtung besteht, ist noch nicht ausgefochten; sollte die opti mistische Hoffnung der ihre Interessensphäre verteidigenden Tagesblätter sich erfüllen, dann wird Wohl diesem staatlichen Ge schäftsbetrieb nur ein kurzes Leben beschieden sein. Durch das jetzt bestehende Zwangsabonnement leidet naturgemäß der Buch handel am meisten, da die Mittel dazu ja dem uns interessierenden Titel entnommen werden. Die Hand- und Gemeindebibliotheken sind leider an und für sich schon in einem kläglichen Zustand. Stichproben auf dem Gebiet der Vagantenpoltzei, des Gewerbe betriebs im Umherziehen, der Gesetze über den Verkehr mit Nah rungsmitteln u. a. ergeben in kleineren Orten häufig einen be trübenden Bestand; von den kleineren Handelsgesetzen ganz z» schweigen. Die Bitte um Etatseinstellung war also recht am Platze. Daß der Buchhandel auch hier in München nicht gerade Seide spinnt, hat die vorletzte Wochenübersicht der Veränderungen im deutschen Buchhandel bewiesen, die leider mit dem Konkurs der hiesigen Firma Aibl anfing und mit dem der Firma Zipperer endigte. Wir wollen hoffen, datz damit das Jahr 1913 sich zu friedengibt. Sollte die bange Befürchtung, daß diese ominöse Zahl ein Kriegsjahr bringt, sich verwirklichen, so wäre dieser Windstoß das Ende von so manchem Kartengebände, das der deutsche Verlag, in der Erwartung stets wachsender Wohlhaben heit, aufgebaut hat. Die Spekulation auf Liebhaberausgaben, die jetzt schon mehr der »Aufmachung« als dem Inhalt dient, erhält damit den Todesstoß. Selbst der Fachmann, der gewiß an Extreme gewöhnt ist, wird an seinem Urteil irre, wenn er die Geistesprodukte der ver schiedensten Richtungen überblickt. Wie bei mancher als schön geltenden Frau nichts als der Geschmack der Schneiderin zu be wundern ist, so ist bei vielen bibliophilen Neuerscheinungen nicht» (Fortsetzung auf S. 1S7I.)