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79, 4 April 1912, Nichtamtlicher Teil, Börsenblatt f. d. Dtschn, Buchhandel. 4317 aber cs komme darauf an, daß ein Verleger in seinem Berufe auch Künstler sei, M, E, Reh, der bekannte Buchhändler aus dem Boule vard des Italiens, steht die Ursache für die Krisis in dem Mangel an ernsthafter Kritik, Dem Publikum fehlt eine gute Orientierung, es wird durch Werke, für die eine große Reklame gemacht wird, oft enttäuscht und kommt dann nicht wieder. Es gibt nach seiner Meinung keinen Kritiker mehr, dessen Meinung man folge und dessen Sachkenntnis man schätze. Als Pierre Louys sein Werk »7L p I, r o ä i t s« veröffent lichte, hat ein Artikel darüber von Francois Coppöe den Verkauf ganz bedeutend gesteigert; heule wird selbst durch einen Artikel in den meistgelesenen Zeitungen kein Exemplar mehr abgesetzt. Von dem Tage an, wo ein bedeutender Kri tiker sagen würde: »Ich spreche nicht von Büchern, die auf Kosten der Autoren herausgegeben werden«, würde es keine Amateure mehr geben, die die Verleger bezahlen, um ihr Buch in den Schaufenstern ausgestellt zu sehen. Aber man kann nie mals Leute, die ein Buch erscheinen lassen wollen, daran hin dern, es herausgeben zu lassen! M, Grasset gehört zu den jungen Verlegern, doch hat er mit einigen Werken schon sehr gute Erfolge erzielt (»üoäin, Os I'^rt« und »Obatsnudrianä, Ll, äss Oour <1ins8«, dem der letzte »Orix <4 nnsourt« zugefallen ist). Er findet, daß die Beziehungen zwischen Autor und Ver leger heutzutage die gleichen wie zwischen zwei Fabrikanten seien. Er sieht keinen Unterschied in einem Herrn, der einen Maurer auffordert, ihm eine Mauer zu errichten, und einem Autor, der einen Verleger für sein Buch sucht. Ein Verleger wird zu Anfang seiner Tätigkeit kaum das Geld znrückweisen können, das man ihm anbietet, um ein Werk herauszugcben. Er sagt, daß in England und Amerika nie ein Buch auf Kosten des Autors veröffentlicht wird, aber dort wird auf die Bücher spekuliert. So sind beispielsweise R, Kipling 3 Frcs, für jedes Wort, das er schreibt, geboten worden. Hat der Verleger Erfolg, so kann er viel Geld verdienen, andernfalls ist er ruiniert. Diese Art, Manuskripte zu kaufen, ist in Frank reich unbekannt. Auch macht man im Ausland eine genaue Scheidung zwischen Reklame und Kritik, während in Frankreich der Artikel bezahlt sein kann, M, Grasset glaubt jedoch, daß der Snobismus, der sich in der Literatur der Jetztzeit breit macht, bald sein Ende finden werde. Denn die Jugend wendet sich frühzeitig Be rufen zu, die mehr Betätigung erfordern, als die Literatur, Die Technik erobert viel frische Intelligenzen, so daß anzu nehmen ist, daß in 10 Jahren nicht mehr mit der gleichen Heftigkeit geschrieben wird. Das Ausland aber wird auch fernerhin ein großes Absatzgebiet für französische Literatur bieten. In der Firma P,-V, Stock, die sich gegenüber dem DböLtrs Oransais befindet und als Sortiment und Verlag besonders theatralische Literatur vertreibt, steht man den Grund der Bücherkrisis vor allem in der Veröffentlichung der Werke auf Kosten des Verfassers, Man möge nicht einwerfen, daß der Verleger doch leben und darum die Herausgabe der Werke auf Kosten des Autors betreiben müsse. Es ist niemand verpflichtet, sich an die Spitze eines Verlagshauses zu stellen, der nicht die nötigen Geldmittel dazu hat. Will man eine Automobilhandlung gründen, so gehört Geld, sogar viel Geld dazu, ebenso braucht man Geld, um Verleger zu sein. Die billigen Ausgaben zu 95 Cts, sind bedauerliche Finanzspeku- lationen, die dem Buche zu 3 Frcs, 50 Cts, sehr vielen Ab bruch tun, aber sie werden verschwinden. Es wird bei uns dasselbe eintreten, wie in Deutschland, Dort handelte es sich während einer Zeit darum, wer Wohl das billigste Buch Her stellen könne, und heute ist das Buch dort teuer s? Red,), Glaubt der Autor, daß sein Verleger ihn täuscht, so kann er Börsenblatt für den Deutschen Bucht,anbei. 79, Jahrgang- gegen diesen Klage wegen Unterschlagung einreichen, der Ver leger wird dann ins Gefängnis wandern müssen, und diese Strafe ist doch wirklich hoch genug I Unsere Firma verlegt keine Werke auf Kosten der Verfasser, aber es sind nur noch wenige Häuser, die ebenso handeln. Das ist bedauerlich, denn die alten Traditionen der französischen Verleger, die sich dieser Art der Herausgabe widersetzten, gaben bessere Resul tate, als die heutigen Praktiken es vermögen, M, Perrin, der Inhaber der bekannten Verlagsbuch- Handlung, findet, daß die Bücherkrisis ein unabwendbares und uraltes übel sei, doch glaubt er nicht an eine Schädigung des Buches zu 3 Frcs, 50 Cts, durch die billigen Ausgaben, Als Beweis dafür teilt er mit, daß ein Werk, das in einer billigen Ausgabe erschienen und darin vergriffen war, von neuem zu 3 Frcs, 50 Cts, herausgegeben wurde und einen guten Erfolg hatte, M, Sansot, der viel Gedichtbände verlegt, sagt, daß manches Buch, das er auf Kosten des Autors herausgäbe, wertvoller sei als ein anderes, das er auf eigene Kosten in Verlag nähme. Er sei oft durch warme Empfehlungen eines Mitgliedes der ^caäömis kranxmws gezwungen, gewisse Werke in Verlag zu nehmen. Beim »lCsrenrs äs Oraues«, der insbesondere die modernen Strömungen in der Literatur unterstützt, erblickt man eine Gefahr für das Buch in der Tatsache, daß die Fran zosen jetzt weniger zum Lesen geneigt sind. Wäre der Ver- lagsbnchhandel allein auf den Verkauf in Frankreich ange wiesen, so würden die Autoren schlechte Geschäfte machen; glücklicherweise kauft das Ausland sehr viel. Infolge der ge steigerten Tätigkeit liebt das heutige Publikum die Lektüre von Anthologien, wodurch es eine Übersicht über eine Reihe ver schiedener Autoren erhalten kann. M, Lemerre, der eine ganze Anzahl der bedeutend sten modernen Schriftsteller zu seinen Autoren zählt, wie P, Bourget, M, Prävost, F, Coppäe u, a,, findet, daß die Autoren von heute viel Geld, und zwar schnell, verdienen wollen. Aus diesem Grunde ist es ihnen gleich, ob ihr Werk billig verkauft wird, wenn cs nur etwas einbringt. Er glaubt, daß die Er zählungen und Novellen, die in den Feuilletons der Tages zeitungen veröffentlicht werden, dem Buche mehr schaden, als der »Amateurismus«, Hin und wieder wird der Verleger sich Wohl dazu entschließen müssen, Werke auf Kosten der Autoren herauszugeben. Man zahlt diesen dann für jedes abgesetzte Exemplar 75 oder 80 Cts,, während sie früher nur 40 oder 50 Cts, erhielten, M, Messein, der Verleger der Werke Paul Verlatnes, findet es schwer, einen Herrn abzuweisen, der mit den höch sten Empfehlungen kommt und sagt: »Was riskieren Sie, da ich Sie doch bezahle?« — Die Verleger, die sich den Luxus gestatten können, nur solche Werke zu verlegen, die ihnen ge fallen, besitzen entweder einen alten, gutgehenden Verlag, der ihnen ermöglicht, behaglich zu leben und die Ereignisse abzu warten, oder verfügen sonst über bedeutende Geldmittel, Es gibt nach Ansicht des M, Messein nur e i n Heilmittel für die gegenwärtige Krisis, das ist das billige Buch, Von dem Tage an, wo man den Preis des Buches auf 2 Frcs, festsetzt, wird man wieder viel davon verkaufen können. Früher kostete das Buch 5 Frcs,, und es war Charpentier mit seiner Bibliothek, der den Preis auf 3 Frcs, 50 Cts, herabsetzte und dadurch einen Riesenerfolg hatte. Die Reklame fruchtet fast nichts, denn ein Artikel, den der Verleger mit 500 Frcs, be zahlen muß, bringt ihm kaum 150 Frcs, ein. Im Hause PIon - Nourrit L Cie,, das mit an der Spitze des Pariser Verlagshandels steht, wird das Vorhanden- ; sein der Krisis anerkannt, doch erstrecke sie sich nur auf den Roman, Die Überproduktion verwirrt die Leser, so daß sie sich nicht an die Bücher der Jungen heranwagen. Es sind da ss«