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vörlrnblatt f. d. Dlschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. ^ 242, 17. Oktober 1916. müssen, mögen auch noch so viel neue Aufgaben an ihn heran- treten. Aber es fragt sich auch hier, in welchen Formen sich dieser Ausgleich abspielt. Ein großer Berussverein kann auf die Dauer nicht darauf verzichten, an seinem Teile an der Ausgestaltung und Entwick- lnng unseres wirtschaftlichen und politischen Lebens mitzuarbei- ten, wenn er mit seinen Forderungen und Wünschen in der Öffentlichkeit gehört werden will, und den Grundsatz, daß, wer nehmen will, geben mutz, wird man vor allem auf einen Verein anwenden müssen, dessen Mitglieder sich so gern bei jeder Ge legenheit als Kulturträger bezeichnen. Soll diese Ausfassung nicht dem Spott verfallen, die Bezeichnung nich! zu einer bloßen Phrase herabsinken, so wird man ihr einen realen Hintergrund geben oder — bestimmter ausgedrückt — dem Worte Taten fol gen lassen müssen. Was der einzelne tut, um der Forderung nach gemeinnütziger Tätigkeit zu entsprechen, bleibt gewiß in seinem Kreise nicht unbeachtet, ein 70 Millionen-Volk aber darf er warten, daß ihr in erster Linie von jenen entsprochen wird, die, an weithin sichtbarer Stelle stehend, berufen sind, alle Kräfte eines Berufsstandes zu einer Einheit zusammenzufassen und seinen Anschauungen einen deutlich erkennbaren Ausdruck z» geben. Daher wird die Tätigkeit eines Berussbereins immer mehr einen öffentlichen Charakter annehmen müssen, nicht nur, weil er wie jeder einzelne in die Interessen der Allgemeinheit hincingezogen wird, sondern mehr noch, weil nur aus dieser Grundlage seiner Arbeit und seinen Bestrebungen Erfolg be- schieden sein kann. Je klarer nun die Notwendigkeit, sich in der Öffentlichkeit einen Platz Seite an Seite mit anderen großen Jnteressenver- bänden zu erkämpsen, erkannt wird, um so mehr wird dadurch eine Entwicklung begünstigt werden, die auf die Bildung von Sondcrvereinigungen innerhalb der Berufe gerichtet ist. Die »Deutsche Buchhändlergilde« ist ein Beweis dafür, und nichts wäre törichter, als zu verkennen, daß das, was hier Form und Gestaltung gefunden hat, einer inneren Notwendigkeit entsprungen ist. Würde nicht alles auf diese Entwicklung hingedrängt und sie begünstigt haben, so hätte der Börsenverein wahrscheinlich selbst im Laufe der Zeit ihr den Weg bereiten müssen. Daran wird sich auch dann nichts ändern, wenn nicht alle Wünsche und Hoffnungen, die ihre Entstehung begleiteten, sich in Wirklichkeit verwandeln. Denn nichts ist natürlicher und folgerichtiger als ein Zusammenschluß des Sortiments, wenn der Erfolg der Gilde auch ganz von der Art, wie sie ihre Ausgaben auffaßt, abhängen wird. Diese Auffassung wird auch bestimmend für die Stellung des Börsenvereins zu ihr sein, eben weil seine Aufgabe, soweit es sich um das Verhältnis zwischen Verlag und Sortiment handelt, lediglich die eines ehrlichen Maklers ist. Werden durch die Arbeit der Gilde brauchbare Unterlagen für eine vermittelnde Tätigkeit des Börsenvereins geschaffen, so ist nicht einzusehen, warum er als der gegebene Mittler zwischen Verlag und Sortiment sich nicht in den Dienst der Parteien stellen sollte. Ja, er müßte es tun, wenn es das Interesse der Allgemeinheit erheischt. Denn für ihn ist nur das Wohl des gesamten Buchhandels maß gebend, so daß er in allen den Fällen eingreifen müßte, wo die Entwicklung aus Wegen geht, die als unvereinbar mit dem Gesamtinteresse anzusehen sind. Bei dieser Tätigkeit wird er sich in erster Linie auf die Kreis- und Ortsvereine stützen, die eine ähnliche Stellung in seiner Organisation einnehmen wie die Bundesstaaten im Deutschen Reiche. Mit ihnen haben sie nicht nur die geographisch-politische Gliederung im großen unl) ganzen gemein, sondern auch die Aufgaben, die in kultureller und Wirt- fchaftlicher Beziehung den Einzelstaaten Vorbehalten geblieben sind. Und wie die Macht des Reiches aus der Stärke der Bundes staaten beruht, so hat auch der Börsenverein die stärksten Wurzeln seiner Kraft in den Kreis- und Ortsvereincn, von denen zwar jeder sein Eigenleben führt, aber doch mit allen Fäden seiner Existenz an den Börsenverein gebunden ist. Wie sollte es auch bei aller örtlichen Verschiedenheit der Verhältnisse anders sein, da Wert und Bedeutung dieser Vereine doch erst durch ihre Stel lung innerhalb des Börsenvereins bestimmt werden! Sie strah len daher nur das Licht, gebrochen in den Farben und der Eigen- 1310 art ihres Landes Wider, das der Gedanke einer den gesamten deutschen Buchhandel umfassenden Organisation entzündet hat. Dieses Licht zu hellerer Flamme anzusachcn, wird in Zukunft die Aufgabe des Börscnvereins sein müssen, nachdem durch die Gründung der Deutschen Buchhändlergilde die Möglichkeit einer Verständigung zwischen Verlag und Sortiment gegeben ist, ohne ihn wie bisher bei der Erledigung aller Einzclfragen in Anspruch zu nehmen. Auch wenn man nicht den Anbruch des tausendjährigen Reiches von dem Ende dieses Krieges erwartet und die mensch liche Natur zur Genüge kennt, um sich nicht der eitlen Hoffnung hinzugeben, daß sich alles, alles wenden müsse, wenn erst einmal der Frieden seinen Einzug hält, wird man doch nicht verkennen können, daß große und gewaltige Aufgaben nach dem Kriege unser harren. Alles wird hier indes darauf ankommen, ob wir den ernsten Willen haben, auf diese Entwicklung Einfluß zu nehmen, oder ob wir sie ohne unser Zutun sich vollziehen lassen wollen. Wenn wir die Zeichen der Zeit recht verstehen, so hätte der Buchhandel nach dem Frieden Aussicht auf eine reiche Ernte, trotz aller Verluste, die ihm der Krieg mittelbar und unmittelbar zugefügt hat und die erst nach dem Frieden in voller Deutlichkeit in Erscheinung treten werden. Tausende haben im Kriege den Wert eines guten Buches kennen gelernt und in ihm Erhebung und Ablenkung gefunden. Sollten sie sich daran nicht auch in der kommenden Zeit erinnern, wo sie, zu einer sparsamen Lebensführung gezwungen, kaum in der Lage und gewillt sein werden, die nichtigen Zerstreuungen früherer Zeiten wieder aufzunehmen oder ihr Geld kulturwidrigen Zwecken zu opfern? Kann hierzu nicht der Buchhandel wesent lich beitragen, indem er alle diese, auf eine Verinnerlichung un seres Lebens gerichteten Bestrebungen bewußt fördert und in Wort und Schrift eine Entwicklung vorzubereiten sucht, die dem Buche, sei es als Mittel zur Unterhaltung oder zur Erlangung einer besseren Lebensstellung, eine größere Anteilnahme als bis her sichert? »Es ist wahr, die Erfahrung lehrt, daß der Wind den Samen aus einer Gegend in die andere trägt, und daß auf diese Weise öde Heiden in dichte Wälder verwandelt worden sind; wäre es aber darum weise, wenn der Forstwirt zuwarten wollte, bis der Wind im Laufe von Jahrhunderten diese Kulturverbesserung bewirkt?« Diesen Aus spruch des Nationalökonomen Friedrich List sollte auch der deutsche Buchhandel berücksichtigen, der bisher der Kulturver besserung in seinem Bereich nur geringe Beachtung geschenkt hat und da, wo es geschieht, meist verlangt, daß der Erfolg sich von heute auf morgen einstellen soll. Zu dieser Ausgabe, milzuarbeiten an der Ertüchtigung unseres Volkes durch das Buch, einer Aufgabe, die nicht erst durch den Krieg entstanden, sondern nur durch ihn in eine schärfere Beleuchtung gerückt wor den ist, tritt noch eine nicht minder wichtige Arbeit, die unser nach dem Frieden harrt: die Notwendigkeit, durch dasselbe Mittel, nämlich Buch und Zeitschrift, der Verständigung der Völker unter einander zu dienen, damit in Zukunft so trostlose Zustände auf dem Gebiete des internationalen Lebens, wie sie durch diesen Krieg Herborgerufen worden sind, nach Möglichkeit vermieden werden. Leistet der Buchhandel diese Kulturarbeit, so wird er damit zugleich auch in anderer Beziehung seinen Interessen dienen. Denn man wird viel bereitwilliger das Recht eines Berufs standes auf bessere Entlohnung anerkennen, der kulturell und volkswirtschaftlich wertvolle Arbeit leistet, als es gegenüber dem nur auf die Befriedigung vorhandener Bedürfnisse be dachten Händler geschieht. Allerdings wird hier wie in hundert Fällen nicht das Heil von der Organisation allein erwartet werden dürfen, sondern da- von, daß jeder an seinem Platze seine Pflicht und Schuldigkeit nach bestem Wissen und Gewissen Mt. Die Organisation kann — und auch der Börsenverein macht hierin keine Ausnahme — immer nur die Voraussetzungen für eine solche Tätigkeit im großen und ganzen schassen; im einzelnen muß sich jeder selbst zu helfen suchen, schon weil es bei der Vielgestaltigkeit unserer wirtschaftlichen und'kulturellen Verhältnisse gar kein Allheil mittel gibt und jeder den Besonderheiten seiner Verhältnisse Rech«