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185, 12. August 1910. Nichtamtlicher Teil. B»-s-ilbl»U s. d. DNchn. Buchhandel. 9151 Diese vorzüglichen, in den verschiedenen Artikeln der revidierten Konvention niedergelegten Grundsätze' sind aber durch einschränkende Paragraphen, die hauptsächlich darauf ausgingen, unter den Verbandsstaaten soviel als möglich die materielle Gegenseitigkeit in der Behandlung der Autoren walten zu lassen, beschnitten worden. Die Zugeständnisse, die den in einigen Ländern tatsächlich noch sehr zurück gebliebenen Gesetzen gemacht wurden, sind bedeutende. Das wichtigste ist die eventuell gestattete Beibehaltung der An wendung der kürzeren Schutzdauer in den Beziehungen zwischen zwei Ländern, von denen das eine die einheitliche Schutzfrist von 50 Jahren post mortem auctoris noch nicht annimmt, wie dies namentlich bei Deutschland, Japan und der Schweiz der Fall ist, sowie auch die Aufrechterhaltung des Status gno (Geltung der geringeren Schutzfrist) hin sichtlich der nachgelassenen, anonymen, pseudonymen und kollektiven Werke. Mit Rücksicht auf die partikularistischen Anschauungen gewisser Landesgesetze wurden auch die Photographien nicht unter die Kunstwerke gezählt, sondern an einen Sonderplatz gestellt, wenngleich ihr Schutz nach dem Prinzip der Gleich stellung mit den einheimischen Erzeugnissen als allgemein verbindlich erklärt wurde. Auch dieser Schutz wurde durch die Vorherrschaft der kürzeren Schutzdauer im Falle von Nichtübereinstimmung der Schutzfristen zweier Länder ab geschwächt. Die Werke der angewandten Kunst oder die kunst gewerblichen Erzeugnisse wurden nicht auf das Verzeichnis derjenigen Werke genommen, die die Verbandsstaaten zu schützen verpflichtet sind; sie erhalten nur insoweit Schutz, als die innere Gesetzgebung eines Landes dies gestattet. Die jenigen Länder, die ihnen den Charakter von Kunstwerken versagen, haben somit keine bezügliche Schutzoerpflichtung übernommen. Die Frage der Chrestomathien und Anthologien wurde wie bisher den Landesgesetzen zur Lösung überlassen, ohne daß irgendeine positive zwischenstaatliche Abmachung über diese Materie getroffen worden wäre. Endlich wurde das neu zuerkannte Recht, die Benutzung der Werke der Tonkunst auf Musikinstrumenten überwachen zu dürfen, in dem Sinne eingeengt, daß die verschiedenen Staaten die Bedingungen zur Anwendung des zugunsten des Autors anerkannten doppelten Grundsatzes der Wieder gabe und öffentlichen Aufführung nach Belieben für ihr Gebiet ordnen dürfen. Im ferneren wurde dieses Recht jeder Rückwirkung hinsichtlich derjenigen Werke entkleidet, die bereits erlaubterweise vor Inkrafttreten der Übereinkunft auf derartige Instrumente übertragen worden sind, was die Industrie ganz bedeutend begünstigt. Und als ob es an diesen Abschwächungen der Tragweite der einheitlichen Grundregeln, die von der Konvention von 1908 theoretisch aufgestellt sind, noch nicht genug wäre, hat man nun auch den Verbandsstaaten gestattet, »vorläufig in bezug auf jeden Artikel diejenigen Vereinbarungen bei zubehalten, die sie vorher eingegangen waren, wie man denn auch erklärt hat, in die Berner Union sogar diejenigen Länder ausnehmen zu wollen, die noch bei den alten Ab kommen, die man eben revidiert hatte, stehen zu bleiben wünschen. Die früheren Vertragsinstrumente von 1886 und 1896 verschwinden also nicht durch Abschaffung, sondern werden durch die neue Übereinkunft nur in dem Maße ersetzt, als die Signatarmächte dies für sich zu bestimmen geruhen. Tatsächlich können sich also engere Unionen für irgend welche Vorschriften bilden, da man diejenigen Artikel nicht zum voraus bezeichnen wollte, die Gegenstand von Vor behalten werden dürfen. Man hat also nicht die starren Rahmen innerhalb deren engere Unionen entstehen sollen, die dann erst anläßlich des Zusammentrittes neuer Kon ferenzen sich wieder auflösen könnten, zum voraus zu fixieren gedacht, sondern man hat im Gegenteil absichtlich die durch besondere Vereinbarungen geschaffenenen engeren Unionen*) durch beliebig sich bildende engere Unionen ersetzt. Es werden deshalb zwei oder gar drei Kategorien von gegenseitigen Beziehungen möglich fein, und zwar erstens da, wo der Schutz bis jetzt in einer doppelten Etappe ge regelt war, wie z. B. der Schutz der Werke der Baukunst und der Choreographie, des Aufführungsrechtes usw.; letzteres da, wo dieser Schutz sich auf drei Stufen bewegte, wie hin sichtlich des Schutzes der Photographien und des über setzungsrechtes. Jedoch ist daran sestzuhalten, daß einerseits die Staaten nur immer vorwärts schreiten, nie sich auf eine frühere Etappe zurückziehsn, noch einschränkende Bestimmungen, die sie schon aufgegeben haben, wiederherstellen dürfen; anderseits sind sie durch die in den Jahren 1886 und 1896 aufgestellten Bestimmungen gebunden; sie dürfen also nicht etwa ganz neue Lösungen wählen, z. B. die volle Über setzungsfreiheit proklamieren. Zudem wird sich das Vor rücken von einer Etappe auf die andere oder die Annahme der einheitlichen Schutzdauer höchst einfach, nämlich nur durch eine an den schweizerischen Bundesrat zu richtende Mit teilung vollziehen, welche Mitteilung sodann den anderen Regierungen übersandt wird. Im ferneren wird das Ver bleiben auf einer der früheren Stufen von den Schöpfern der neuen Übereinkunft nur als ein »provisorischer» Zustand betrachtet, während die gänzliche, bedingungslose Annahme der revidierten Berner Konvention von 1908 das endgültige Ziel darstellt. Auf diese Weise gelangte man in Berlin dazu, die Unterschrift der Delegierten sämtlicher Vertragsstaaten zu erhalten und auf einige Zeit jedermann zu befriedigen, sowohl diejenigen Länder, die keineswegs wegen der Verlängerung der Schutzdauer sich zu beeilen gedachten, wie diejenigen, die, wie Japan und Spanien, von einer weiteren Ausdehnung des Übersetzungsrechtes nichts wissen wollten, sowohl die Länder, die sich gegen den Schutz der Werke der an gewandten Kunst erklärten, wie die Nichtverbandsländer, z. B. Holland und Rußland, die den Lauf der Debatten mit Spannung verfolgten und speziell hinsichtlich des be schränkten Schutzes des Übersetzungsrechtes ihre Desiderien äußerten. Die Gerechtigkeit gebietet, zu sagen, daß man auf diese Weise einen Mißerfolg der Berliner Konferenz vermied, einen Mißerfolg, der sehr peinlich gewesen, aber sicherlich eingetreten wäre, wenn einzelne Länder ihre Unterschrift radikal verweigert hätten, oder wenn man wie im Jahre 1896 gezwungen worden wäre, zu dem Auskunftsmittel zu greifen, einen, zwei oder mehrere Zusatzakte abzufassen, was einem wirklichen Verzicht auf jeglichen Fortschritt gleich- gesehen hätte. In der Folge wurde aber das System der Vorbehalte, wie es in den Artikeln 25 und 27 der revidierten Über einkunft vorgesehen ist, von den beteiligten Kreisen bitter getadelt. Ist man doch so weit gegangen, daß man von dem Zerfall der Übereinkunft in eine Reihe von Sonder abkommen, von der Zerstörung der jetzigen Einheit und von einer derartigen Vielgestaltigkeit der Gruppierungen oder der verschiedenen besonderen Rechtslagen gesprochen hat, daß in der Berner Union infolge dieser Verwicklungen ein nahezu anarchischer Zustand entstehen müsse. Dem gegenüber haben die Verteidiger des Systems der *> Vgl. die Pariser Zusatzalte, der nur 14 von 16 Verbands staaten beigetreten sind. 1191»