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Nichtamtlicher Teil. 185, 12. August 1910. Vorbehalte geltend gemacht, daß diesem große Ge schmeidigkeit und eine wohltuende Elastizität innewohne, und daß es unter den Bertragsstaaten einen gesunden Wettstreit zur Herbeiführung fortlaufender Verbesserungen unterhalten werde; in ihren Augen ist dieses auf die moralische Werbe kraft, auf die Macht des guten Beispiels und aus den guten Willen aufgebaute Sustem in Tat und Wahrheit wirksamer als der Zwang oder der auf die zögernden Mächte aus geübte Druck. Was ist an diesen Aussetzungen und an diesen wider spruchsvollen Meinungen begründet? Der seit dem 1. Juli 1S10 eingetretene Rechtszustand wird dies zeigen. Seit diesem Tage gleichen nämlich die Verbands staaten, die die Übereinkunft von 1908 unterzeichnet haben, einer in drei Teile zerfallenden Heereskolonne. Das Gros wird gebildet durch die Truppen, die auf die vorgeschobensten Posten (dargestellt durch die Entscheidungen der Berliner Konferenz) gelangt sind, während gewisse Staaten, sei es mit ihren sämtlichen Truppen, sei es mit einzelnen Divisionen noch die alten Quartiere besetzt halten, mit anderen Worten noch die alten, ganz oder teilweise beibehaltenen Überein künfte von 1886 und 1896 als geltend anerkennen und die nach vorn vorgedrungenen Staaten zwingen, sich mit ihnen nach diesen rückwärts gelegenen Quartieren hin zu ver ständigen. III. Dis deutsche Regierung hatte die Vertreter sämtlicher Verbandsstaaten auf den 9. Juni 1910 zum Austausch der Ratifikationsurkunden nach Berlin eingeladen, da nach der revidierten Konvention der 1. Juli 1910 der äußerste Termin zur Vornahme dieser Vollzugshandlung war. Dieser Termin, der ungefähr zwanzig Monate vom Tage der Unterzeichnung der Übereinkunft entfernt lag, war deshalb gewählt worden, um allen Staaten die Mög lichkeit einzuräumen, für die gemeinsame Inkraftsetzung der neuen Konvention auch wirklich bereit zu sein. Und der 9. Juni dieses Jahres wurde als Tag der Hinterlegung der Ratifikationen bezeichnet, damit die neue Übereinkunft ihre Wirksamkeit vom 9. September 1910 an, also genau vier undzwanzig Jahre nach der Unterzeichnung der ursprüng lichen Berner Übereinkunft, zu entfalten vermöchte. Am genannten Tage waren zwar sämtliche Unions staaten in Berlin vertreten, aber bloß die Hälfte brachte die gewünschte Ratifikation mit, nämlich Belgien, Deutsch land, Haiti, Japan, Liberia, Luxemburg, Monaco und die Schweiz. Wie ersichtlich, sind dies die kleinen Ver bandsländer mit Ausnahme Deutschlands und Japans. Da mehrere Ratifikationen unmittelbar bevorstehend zu sein schienen, entschied man sich dafür, das Protokoll bis zum 1. Juli 1910 noch offen zu lassen, um die ausschließ liche Zustimmung derjenigen im Verzug befindlichen Staaten auch noch einzuholen, die ganz nahe am Ziele angelangt zu sein schienen. Dieses Vorgehen gelang wenigstens hinsicht lich der zwei Länder Frankreich und Tunis, die die Über einkunft noch am Vorabend des 1. Juli ratifizierten und erklärten, sie wie die anderen acht Länder vom 9. September 1910 an vollziehen zu wollen. Spanien befindet sich ebenfalls unter denjenigen Ländern, von denen die Ratifikation erwartet wird und wo sie vielleicht noch vor dem 9. September eintritt, so daß dieses Land dann in bezug auf das Inkrafttreten des neuen Unionsrechtes am genannten Tage mit den andern zehn Ländern in die gleiche Linie rücken könnte. Die Vertreter Spaniens auf diesem Kongreß werden darüber Mitteilung machen können, wie es mit der schon an der letzten Tagung in Madrid zum Vor schein gekommenen Bewegung gegen die Annahme des Artikels 8 der neuen Konvention, durch den das Übersetzungs- dem Vervielfältigungsrccht gleichgestellt wird, steht.') Dagegen glaubte man noch auf die vollständige und rasche Ratifikation seitens Italiens hoffen zu dürfen; allein der Widerstand, der sich in diesem Reiche besonders gegen die völlige Anerkennung des Übersetzungsrechtes geltend ge macht hat, machte die Erledigung dieses Geschäfts unmöglich, und das Parlament ist vor einigen Wochen in die Ferien gegangen, ohne die Regierungsvorlage, die die absolute Ge nehmigung der revidierten Berner Übereinkunft vorsieht, mit oder ohne Vorbehalt angenommen zu haben. Wir werden zweifellos Erörterungen über diese Haltung zu Gehör be kommen, die übrigens seit der Tagung von Madrid voraus gesehen werden konnte und die im Bericht des ständigen Bureaus ebenfalls Erwähnung findet.") Die Dinge schienen in Norwegen weiter gediehen zu sein; dort war nämlich eine Gesetzesvorlage, durch welche 16 Artikel des Hauptgesetzes vom 4. Juli 1893 über Ur heberrecht abgeändert werden sollten, um dieses Gesetz mit der revidierten Berner Übereinkunft in Übereinstimmung zu bringen, vorbereitet und dem Storthing eingereicht worden. Wenn, wie zu hoffen ist, das Parlament diese Vorlage baldigst behandeln kann, so wird Norwegen die Konvention vollziehen, und zwar ohne daß bisher von der Aufstellung irgendeines Vorbehaltes die Rede gewesen wäre.'") Es bleiben die drei Länder Dänemark, Groß britannien und Schweden übrig. In Dänemark wurde die von der Regierung sehr ge förderte Reform der internen Gesetzgebung — sie umfaßt eine Abänderung des Gesetzes vom 29. März 1904 und eine völlige Umarbeitung des Photographiegesetzes von 1865 — durch eine politische Krisis aufgehalten, scheint aber nächstes Jahr durchgesührt werden zu können und zu einer vorbehaltlosen Ratifikation der Übereinkunft führen zu sollen. Großbritannien muß sich sicherlich der schwierigsten Arbeit unterziehen, nämlich der Kodifizierung seiner zu sammengewürfelten und verworrenen Gesetze über Urheber recht und der Verständigung mit seinen Kolonien zum Zwecke der Ausarbeitung einer Gesetzgebung, die im ganzen Kaiserreich anwendbar wäre, d. h. also in den Beziehungen zwischen den Kolonien und dem Mutterlands, der Kolo nien untereinander und in den Beziehungen zwischen dem englischen Reiche und den Verbandsländern. Die mit den Vorstudien betraute außerparlamentarische Kommission hat außerordentlich wertvolle Daten gesammelt. Sie ist abgelöst worden durch eine Konferenz der Vertreter der Zentralregierung mit denjenigen der großen Kolonien (Indiens und der anderen unabhängig verwalteten Kolonien), die eben auseinandergegangen ist. Die Annahme, daß die Regierung, die sich die Unterstützung dieser Reform sehr angelegen sein läßt, sie auch zum guten Gelingen führen werde, ist deshalb kaum zu gewagt. Allein der zurückzulegende Weg wird vielleicht noch lang und sauer sein, und aller Voraussicht nach wird er mit Zugeständnissen gepflastert werden müssen. Was Schweden anbelangt, so gedenkt dieses Land seine Urheberrechtsgesetzgebung ebenfalls gründlich durchzusehen, allein es ist uns hierüber keine nähere Nachricht zugegangen. Die Lage wird hier dadurch noch verwickelter, daß Schweden die Pariser Zusatzakte nicht sanktioniert hat, sondern auf der durch die ursprüngliche Übereinkunft von 1886 bezeichneten Position stehen geblieben ist. Somit ist der Stand der Ratifikationen folgender: Zehn von den sechzehn Derbandsstaaten haben ratifiziert. '> S. Bericht des Permanenten Bureaus in Bern, S. 37. "> Ebendaselbst, S. IS. '") Die letzten Nachrichten lauten hierüber bedenklicher. (Red.)