Volltext Seite (XML)
Redaktioneller Teil. ^ 32, 9. Februar 1916. Im großen und ganzen sind wir der Ansicht, daß die umfang reichen Kataloge sich durchaus nicht bewähren; die Spesen sind im Verhältnis zum Erfolg unverhältnismäßig groß; kleine übersicht liche Kataloge und Spezial-Angebote sind nach unserer Erfahrung am zugkräftigsten und lohnendsten. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß ein Teil der Kundschaft trotz der Teuerung den früher eingeräumten Rabatt unbedingt weiter fordert und bei Nichtbcwilligung mit Entziehung der Aufträge droht. Die Ansicht ist doch immer noch in der Kundschaft verbreitet, daß die Buchhändler unverhältnismäßig viel verdienen und daß man dem nach einen Rabatt beanspruchen kann. Eine große Schuld daran tragen die Gratisspcndcn. Wir finden es eigentlich ganz unrichtig, daß der Buchhandel Millionen von Büchern gratis gespendet hat und noch spendet. Kür ihn ist es doch die Ware, woran er verdienen will. Hätte der deutsche Buchhandel die Bücher nicht gratis abge geben, so wären sie, wenn auch nicht in gleichen Mengen, gekauft worden, denn heutzutage ist auch das Buch ein Artikel, der sein muß, besonders für die Soldaten im Felde und in den Lazaretten. Wir haben noch nie gehört, daß die Wollwarenfirmen Tausende oder Hunderttausende Strümpfe oder Socken gratis verschenkt hätten; er fahrungsgemäß verlangen sie, je nach Nachfrage, einen bedeutend erhöhten Preis. Wir haben empfunden, daß in diesem Jahre Jugendschriftcn bedeutend mehr als sonst verlangt worden sind. Den Bedarf haben wir von unserem großen Lager decken können; überhaupt haben wir nach Möglichkeit das verkauft, was wir vorrätig hatten. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, daß es auch so geht. Ter Sortimenter kann das verkaufen, was er verkaufen will; nur besondere Wünsche müssen selbstverständlich auch durch Bestellung beim Verleger be friedigt werden. Wir haben uns vorzugsweise für alle die Verleger verwendet, die uns mit einem guten Nabattsatze gedient haben, und diese werden mit unseren Umsätzen wohl zufrieden sein können. Nach unserer Ansicht werden sich die Sortimenter in Zukunft so speziali sieren, daß sie sich größere Posten Bücher mit hohen Nabattsäyen hinlcgcn und sich ganz besonders dafür verwenden, dagegen weniger Kommissionsware auf Lager führen werden, die dem Sortiment nur riesige Spesen und Unkosten aufcrlegt. Durchaus befriedigend war das Weihnachtsgeschäft auch in Stuttgart, soweit wir nach dem einzigen Bericht, der uns von dort zugekommen ist, urteilen dürfen. Der Herr Einsender gibt seinem Weihnachtsgeschäft das Zeugnis »gut bis sehr gut«. Bezüglich der Wünsche der Kunden hat er dieselben Wahrneh mungen gemacht, wie sie fast übereinstimmend auch aus anderen Städten gemeldet wurden. Wohl nicht mit Unrecht schreibt er, neben der guten diesjährigen Ernte, insbesondere Weinernte, den flotten Weihnachtsverkauf dem gegenwärtig eingezogeneren Le ben seiner Mitbürger zu, das nicht nur die Leselust wecke, sondern auch, ungeachtet der herrschenden Teuerung, noch manche Mark ersparen lasse, um auch anderen eine Lesefreude zu bereiten. Den Anteil der weniger bemittelten Kreise an dem Umsatz des Weihnachtsgeschäfts betont besonders eine Zuschrift aus einer kleineren w ü r t 1 e m b e r g i s ch e n Stadt: Es zeigte sich in diesem Jahre im Dezember ein besonders er höhtes Interesse für Bücher. Der Verkehr mar recht lebhaft und setzte gleich zu Anfang Dezember ein. Vorherrschend wurden ge kauft: gute Romane, auch ältere, dann namentlich viele Sachen zum Versand ins Feld, ganz besonders Neclam, Wiesbadener Volks bücher, Kürschner usm. Abnehmer waren besonders mittlere Kreise, darunter auch solche, die früher keine Bücher zu kaufen pflegten, dann Arbeiter und ein fachere Interessenten, die oft ein überraschendes Verständnis und gutes Urteil zeigten, und im allgemeinen nur wirklich gute und ernst hafte Bücher und Schriften erwarben. Das Interesse der Bcsserbe- mittelten war nicht besonders rege. Eine fortwährende zweckmäßige Prospektverteilung erwies sich als sehr förderlich, wenn auch kein unmittelbarer Erfolg zu bemerken war. Die hiesigen Buchhandlungen beschränkten sich darauf, einen, höchstens zwei Kataloge zur Verteilung zu bringen; ein Katalog wurde gemeinschaftlich vertrieben. Im allgemeinen pflegt das Pu blikum nicht nach dem Schaufenster zu wählen, obgleich ein gut ge haltenes, gewähltes Schaufenster durchaus nicht unwichtig ist. Es kommt besonders darauf an, das Schaufenster auffällig und hell aus zugestalten, wodurch das Publikum angezogen wird; in den weitaus meisten Fällen aber wird erst im Laden gewählt und eine Entschei dung getroffen. (Fortsetzung folgt.) Weltsprachlerei. IV. (Vgl. Bbl. 191S, Nr. 297, 30«; ISIS, Nr. 8 u. 12.) Von Museumsdirektor Professor Or. S ch r a m m - Leipzig. Nicht um die Welthilfssprachen-Frage im »Börsenblatt« des weiteren zu behandeln, sondern nur um einige Tatsachen festzustellen, ergreife ich, von den verschiedensten Seiten aufgefordert, kurz das Wort. Die ganze Frage ist so verwickelt und so ernst, daß sie in Artikeln für und gegen nicht kurzerhand erledigt werden kann. An folgenden Tat sachen wird man aber nicht vorübergehen dürfen: ! 1. Esperanto hat sich nicht nur für den schriftlichen Ver kehr, wie Herr R. L. Prager annimmt, bewährt, sondern im weitest gehenden Maße auch im mündlichen Verkehr. Vertreter der allerverschiedensten Nationen auf internationalen Kongressen haben sich mühelos vermittelst Esperanto verständigt, und zwar nicht nur über alltägliche Dinge, sondern auch in der Debatte über wirtschaft liche, wissenschaftliche, soziale und andere Fragen. Diese Tatsache, die jeden Sprachler zunächst überrascht, erklärt sich aus dem Bau der Hilfssprache Esperanto, der jedem Sprachkundigen infolge der ge- l schickten Ausnutzung der Laute Bewunderung abringt. Zeugen hier für in wissenschaftlichen Kreisen sind genug vorhanden. 2. England und Frankreich benutzen in ausgiebigstem Maße in diesem Weltkriege Esperanto, um gegen Deutschland vor allem in klei neren Ländern mobil zu machen; sie werden sicherlich nach dem Kriege darin nicht Nachlassen, londern, da Englisch und Französisch bei einem Siege der deutschen Waffen als Vermittler-Sprachen insbesondere im Orient zurückgehen, alles einsetzen, um vermittelst der Hilfssprache für sich zu werben. Die vielen kleinen Völker nehmen mehr und mehr Esperanto an. 3. Die Hauptvertriebsstelle für Esperanto ist Paris, mit der be kannten Firma Hachette L Eo. an der Spitze, die, wie ein Blick in ihre Verlagskataloge beweist, ganze Serien von Esperanto-Werken herausgcgeben hat und damit die ganze Welt versorgt. Manche Mark ist auch aus Deutschland nach Paris gewandert, da dort sich die Espe- i ranto-Weltliteratur rasch entwickelt hat. Daß diese Tatsache nicht gleich gültig ist, zumal Hachette L Co. in alle Welt lieferten, wird sich jeder sagen. Die deutschen Verleger haben Esperanto abgelehnt; der deutsche Buchhandel spielt in der großen Esperanto-Literatur, die bereits vorlicgt, so gut wie gar keine Rolle. j 4. Es ist unrichtig, daß der Krieg »das Stückchen Esperantoschaum hinweggeblascn hat«. Wohl ist richtig, daß »die Reklametrommel für das Esperanto verstummt ist«, aber aus dem sehr einfachen Grunde, weil die Esperantisten zur Zeit ernstere Aufgaben haben, deren Er füllung ihnen mehr Freunde schaffen wird, als die »Neklametrom- ^ mel«. Sie haben in der Stille gearbeitet, haben unsere Heeresberichte übersetzt, sie in Tausenden von gelben Zetteln ins neutrale Ausland geschickt und damit anerkanntermaßen viel zur Aufklärung beige- > tragen; sie haben im Samariter-Dienst des Noten Kreuzes, in der ^ Kriegsgcfangenenhilfe und in der Nachforschung nach gefallenen oder 'vermißten Kriegsteilnehmern segensreich wirken können; ja sie haben i selbst während des Krieges zahlreiche neue Kurse eröffnet und wichtige I Werke herausgegeben: kurz, die Esperanto-Bewegung ist nicht »hin- ! wcggcblascn«. 5. Esperanto ist dem Sprachstudium nicht hinderlich; die Erfah- ' rnng hat vielmehr gezeigt, daß durch Esperanto das Studium der lebenden Sprachen in erfreulicher Weise gefördert und deren Ver ständnis wesentlich erleichtert worden ist. Der logische Aufbau der ^ HilfSsprachc hat manchem erst das Verständnis der lebenden Sprayen ^ voll erschlossen und ihn zu deren Studium angeregt. Beweise dafür bin ich gern bereit, bciznbringen. Es ist gerade das Gegenteil von deni erreicht worden, was dem Esperanto vorgeworfen wird: nicht ein Znrückgehen des Sprachstudiums, sondern eine erfreuliche Hebung desselben. Es ist auch nie einem vernünftigen Esperantisten einge- ^ fallen, das Studium lebender Sprachen zu hemmen. Man darf über- ^ triebene Phantasten oder weltverlorene Pazifisten nicht als Kronzenoei» für die »falschen Ideen« und die »vaterlandslose Gesinnung« der Esperantisten anftthren. Auswüchse gibt es in jeder Bewegung, auch in der von den verschiedenen Einsendern der Weltsprache-Artikel viel fach in Parallele gezogenen Stenographie! 6. Wir Deutschen können die Esperantobewegung nicht aufhalten. Abseits stehenbleiben halte ich für taktisch unklug, ja für gefährlich. Wir Deutschen können aber durch Esperanto nicht nur der deutschen Sache, sondern auch der deutschen Sprache großen Vorschub leisten. Dies gilt insbesondere für den Orient. Wenn wir auch noch so schnell Tür- . kiich oder Arabisch lernen, wenn auch im Orient noch so schnell deutsche Kurse eröffnet werden, so kann der wirkliche Erfolg erst in Jahren sich zeigen. »Eine Sprache bedeutet ein Leben«, dies gilt in verstärk- ! tem Maße für den Orient, dessen Gedankenwelt von der unsrigen so 146